Monika Birth, 57, Sozialarbeiterin im Regionalen Sozialdienst am Jugendamt Tempelhof-Schöneberg in Berlin

Wenn ich um halb neun in mein Büro komme, ist der Schreibtisch voller Akten, die To-Do-Liste ist lang, jeden Tag. Zwei Minuten vor neun klopft es, die ersten Klienten stehen vor der Tür. Sie haben einen Termin, und ich bin froh, dass sie da sind, meine Beratung und Unterstützung annehmen. Ohne Pause geht es weiter. Jeden Moment kann eine Kinderschutzmeldung kommen, wie es bei uns heißt, ein Notruf. Dann bleiben die Papiere liegen, die Hilfeplanungen und Dokumentationen. In jeder der Akten, amtlich "Fälle" genannt, verbergen sich Familien mit schwierigen Geschichten, aber auch mit ganz alltäglichen Fragen zur Erziehung, nach einer Trennung oder Scheidung. Sie brauchen Hilfe, meist sofort, oft über einen langen Zeitraum.

Meine Arbeit ist jeden Tag anders - und sehr wichtig. Deshalb bin ich hier. Teil unseres gesetzlichen Auftrags ist das Wächteramt, wir beraten Eltern, Kinder und Jugendliche, unterstützen sie. Die Eltern mit ins Boot zu holen, ist immer unser Anliegen. Denn ein Kind aus der Familie zu nehmen, kann nur der letzte Ausweg sein, im Extremfall. Je älter es ist, desto mehr muss es bei der Entscheidung einbezogen werden. Das alles braucht Zeit, die meine Kolleginnen und ich nicht haben.

Fünf von 21 Stellen sind seit einem halben Jahr bei uns unbesetzt. Potentielle Bewerberinnen und die noch selteneren Bewerber entscheiden sich lieber für die Arbeit bei freien Trägern, die besser bezahlen, oder in anderen Bundesländern. In Berlin wird nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt, nicht nach dem Tarifvertrag, der in den Kommunen gilt. Das bedeutet zurzeit 400 Euro weniger im Monat. Mehrere Kolleginnen bei uns sind krank und fehlen. Viele haben schon Überlastungsanzeigen geschrieben. Gemeinsam mit ver.di Berlin haben wir Aktionen initiiert, Podiumsdiskussionen, Demos. Wir sprechen lieber von Familien als von "Fällen", wir kritisieren die zunehmende Bürokratisierung und wollen weg von der Arbeit allein nach Kosten-Leistungs-Rechnung. Ich will danach entscheiden, was ein Kind braucht, nicht danach, wo die Hilfe am billigsten ist. Mit anderen ver.di-Aktiven setze ich mich dafür ein, dass jede Sozialarbeiterin für 28 Familien da sein soll. Dann wäre fachliche Qualität der Arbeit gesichert, so stelle ich es mir vor. Real bin ich zurzeit für rund 80 Familien mit cirka 200 Kindern da.

Vor meinem berufsbegleitenden Studium war ich 20 Jahre Erzieherin und bin nun schon lange im Jugendamt. Ich bin stresserprobt, ich habe meine "Fälle" gut im Blick. Aber inzwischen gibt es Tage, da habe ich ein Gespräch nach dem anderen, mit Familien, mit Fachkräften anderer Institutionen, Beratungen mit den Kolleginnen über meine und ihre Klienten. Hinzu kommen Hausbesuche und Anhörungen am Familiengericht. Gleichzeitig bin ich mehrmals im Monat von 9 bis 18 Uhr für den Kinderschutzdienst zuständig und bekomme am Handy alle Meldungen von Schulen, Kitas oder Ärzten über Kindeswohlgefährdungen in zwei großen Stadtteilen des Bezirks. Die aktuelle personelle Situation setzt mich unter Druck. Wir versuchen, alle Kinder im Blick zu behalten. Aber es geht kaum noch.

Protokoll: Claudia von Zglinick

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