Ausgabe 01/2017
Mit so wenig Geld hebt niemand ab
Rund 220 Millionen Passagiere sind 2016 von deutschen Flughäfen aus geflogen. Das sind rund 45 Millionen mehr als noch zehn Jahre zuvor. Die Beschäftigten der sogenannten Bodenverkehrsdienste fertigen Fluggäste und Gepäck ab, kümmern sich um Reinigung und Flugzeugservice, tanken die Maschinen auf, erledigen Vorfelddienste und tragen damit ein großes Stück der Verantwortung dafür, dass das Fliegen sicher bleibt.
Allerdings: Die Bedingungen haben sich deutlich verschlechtert. In den 1990er Jahren hat die EU die Branche liberalisiert. Mittlerweile gehören nur noch ein Drittel der Anbieter zu den Flughäfen in öffentlicher Hand und fällt damit unter den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst. Ein weiteres Drittel sind ausgegliederte Töchter von öffentlichen Flughäfen, hinzu kommen private Dienstleister. Der Kostendruck durch die Fluggesellschaften ist enorm, sie finanzieren billige Flugpreise mittlerweile auch dadurch, dass sie Abfertigungskosten drücken. Und das geht in einem so personalintensiven Bereich wie der Bodenverkehrsdienstleistung nur, indem Löhne und Gehälter gesenkt und der Arbeitsdruck erhöht werden. Der Wissenschaftler Markus Helfen von der Freien Universität Berlin spricht davon, dass die Bodenverkehrsdienst-Beschäftigten in den zurückliegenden 15 Jahren zu den wenigen Branchen gehören, die reale Nominallohnverluste hinnehmen mussten.
Autowaschanlage wird zur Konkurrenz
Hinzu kommt, dass die prekäre Beschäftigung zugenommen hat, insbesondere bei Neueingestellten. Viele von ihnen müssen aufstocken. Am Flughafen Düsseldorf arbeiten bei Aviation Handling Services (AHS) 60 Prozent der Beschäftigten befristet, bei Stuttgart Ground Services (SGS) in Stuttgart sind es rund 40 Prozent der 300 Beschäftigten. In Hamburg kommen Neueingestellte auf einen Einstiegslohn von 9,02 Euro pro Stunde. Roy Kleemann, ver.di-Vertrauensmann bei den Bodenverkehrsdiensten am Hamburger Flughafen und Mitglied des Bundestarifausschusses von ver.di, wundert es da nicht, dass es schwierig ist, neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu gewinnen, zumal sie meist nur befristet und in Teilzeit eingestellt werden. Zur Konkurrenz werden da schon Betreiber von Autowaschanlagen, die Neueingestellten einen unbefristeten Vertrag in Vollzeit für 12 Euro pro Stunde bieten.
Die Arbeitszeit ist überall ein weiteres Problem. Beispiel Berlin: Hier gilt ein Branchentarifvertrag für alle Bodenverkehrsdienstleister an den drei Flughäfen mit 10,30 Euro pro Stunde zum Einstieg. Allerdings gilt eine Grundarbeitszeit von 90 bis 140 Stunden, Vollzeit wären 163 Stunden. Fällt mehr Arbeit an, können die Beschäftigten mehr arbeiten. Ist das nicht der Fall oder sind die Beschäftigten krank oder im Urlaub, wird auf Basis der niedrigeren Stundenzahl gezahlt. "Die Unternehmen wälzen ihr Risiko auf die Beschäftigten ab", kritisiert ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. 83 Prozent der Beschäftigten sagten in einer ver.di-Umfrage, dass ihre Arbeit nicht existenzsichernd sei.
Derzeit laufen bundesweit an acht Standorten Haustarifverhandlungen, erstmals koordiniert im Rahmen der ver.di-Initiative "Damit fliegen sicher bleibt". Gefordert werden Tariferhöhungen um ein bis zwei Euro pro Stunden sowie die Einführung neuer Gehaltsgruppen. Doch die Arbeitgeber sind bislang wenig entgegenkommend. Sollte das so bleiben, sind Streiks nicht ausgeschlossen.
Mittelfristig will ver.di einen einheitlichen Branchentarifvertrag durchsetzen. Außerdem bemängelt ver.di das Fehlen einheitlicher Qualifikationsstandards und vor allem auch die steigenden Belastungen der Beschäftigten.
hla