Von Monika Goetsch (Text) und Stefan Pielow (Fotos (3))

Wiesen und Felder, Weiler, in der Ferne die Bergkette: Das Ostallgäu ist hübsch und aufgeräumt. Hier, in Biessenhofen, wurde vor fünf Jahren einer der ersten Lang-Lkw Deutschlands auf die Straße gesetzt. Gigaliner nennt man das Ding auch. Monstertruck, sagen die Gegner. Ein Ungetüm, bis zu 25,25 Meter lang und damit rund sechseinhalb Meter länger als der längste Schwerlaster, der jemals auf deutschen Straßen fahren durfte.

Die Firma Ansorge beteiligte sich an der fünfjährigen bundesweiten Testphase. Einer der Fahrer der Lang-Lkw ist Jürgen Bannasch, 56. Ein breitschultriger, vertrauenserweckender Mann, der Fernfahrer wurde in einer Zeit, als Auf Achse im Fernsehen lief, 86 Folgen Abenteuer, cool hinterm Steuer: Manfred Krug.

Tatsächlich ist der Laster, zu dem Bannasch führt, riesig. Wer noch nie in einem Lkw saß, gibt sich sofort geschlagen. Die Höhe, die man hinauf muss, um den Beifahrersitz zu erklimmen! Die vielen Meter, die dieser Mann hinter sich herzieht, mit denen er rechnen und arbeiten muss. Eingeladen sind Paletten und Metallrahmen für Lebensmittel. Vorn hat Bannasch einen indianischen Traumfänger vor die Windschutzscheibe gehängt und links und rechts Blumen befestigt, ein weißer Becher mit Punkten fährt mit, eine Tüte Halsbonbons und ein Taschenmesser.

Das Gerät holt aus

Er schiebt "das Gerät", wie er sagt, über das 13 Hektar große Firmengelände. Über ihm die Loretokapelle, auf gerader Hügellinie errichtet, rotes Dach, Zwiebelturm, schmales Kreuz obendrauf. Unten Lagerhallen, in denen Keramik eines Sanitärherstellers eingelagert wird. Auf dem Parkplatz einige Lkw, rot leuchtend im kalten Grau des Tages, ebenfalls lange Dinger, jeder Laster ist ja irgendwie zu lang und zu hoch, wenn man nicht gerade einen Umzug plant und froh ist, was da alles reingeht.

Bannasch fährt um die Lagerhalle herum. "Man sieht, wie schön er ausholt", sagt er, Neunziggradwinkel, schmale Straße, daneben Wiese. Kurz steht der Lkw abgewinkelt im Eck der Halle. Dann weiter, raus aus dem Gelände, zum Kreisverkehr und den Blumenrabatten, um die er kreiselt und kreiselt, dass einem schlecht werden könnte, es läuft wie geschmiert.

Auch rückwärts könne er im Kreis fahren, sagt er, problemlos. Er tut es aber nicht, zum Glück.

Von Anfang an war er fasziniert von der Vorstellung, so einen Laster zu fahren. Die reinen Eckdaten, erzählt Bannasch, hätten ihn neugierig gemacht. Dann allerdings war das Auffälligste für ihn, zu sehen, "dass der Unterschied gar nicht so groß ist". Da sei zwar diese Länge. Die Kamera hinten. Die Sicherungssysteme überhaupt. Dazu die Tatsache, dass man auf der Autobahn achtzig, auf der Landstraße sechzig fahren darf und überholen nur kann, wenn ein Fahrzeug mit bis zu 25 Stundenkilometer unterwegs ist. Aber schon bei der Einweisung merkte Bannasch, dass das Ding problemlos zu fahren ist. "Die Länge vermittelt sich nicht so", sagt er. "Der Lkw bleibt der Gleiche, er wird ja nur nach hinten raus länger."

Beim Rückwärtsrangieren gebe es Unterschiede, findet er, der Lang-Lkw sei auch etwas träger. Aber sonst?

Weder Pkw-Fahrer noch Fußgänger, so Bannaschs Erfahrung, können in der Regel erkennen, ob da ein langer Lkw oder ein echter Lang-Lkw im Verkehr unterwegs ist. Nur das Schild hinten, auf dem Anhänger, weist die Neuzulassungen als Lang-Lkw aus.

Dennoch: Die Stimmen der Kritiker waren laut, als Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, die Testphase ansetzte, und sie blieben es in den Jahren, die folgten. Nicht nur viele Politiker und Verbände waren dagegen, auch die breite Öffentlichkeit entsetzte die Vorstellung, künftig würden sich noch längere Laster durch Deutschland schieben. Dagegen zu sein, war mehr als einleuchtend. Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer: Alle haben eine Meinung zu Lastwagen, und meistens keine gute. Lkw behindern die Sicht und stauen den Verkehr, sie stinken, können umkippen oder beim Rechtsabbiegen Radfahrer und Fußgänger in den Tod reißen. Ein Viertel des Energieverbrauchs im Straßenverkehr geht auf ihr Konto. Die Treibhausgasemissionen von Lkw sind immer noch viel zu hoch. Neuerdings werden Lastwagen auch für Terroranschläge genutzt. Bilder, die man nicht so leicht loswird.

Effizienter, tüchtiger Störfaktor

Andererseits wird mit Lastwagen Arbeit erledigt, die getan werden muss. Jeder Haushalt, die gesamte Wirtschaft hängt davon ab. Über drei Milliarden Tonnen Güter pro Jahr transportieren allein die 2,8 Millionen heimischen Laster innerhalb Deutschlands. Und die Warenströme werden größer, aktuelle Studien, so das Bundesverkehrsministerium, rechnen mit einer Zunahme der Güterverkehrsleistung von 2004 bis 2025 um rund 70 Prozent. Die umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen sind immens. Selbst, wenn es gelänge, die Bahn stärker am Güterverkehr zu beteiligen: Der Lastwagen bliebe, was er ist: ein effizienter, tüchtiger Störfaktor.

Bannaschs Vorgesetzter, Geschäftsführer Wolfgang Thoma, sagt: "Man braucht Lkw, auch wenn man sie nicht mag."

Der Chef von 500 Mitarbeitern an sechs Standorten und Herr über einen Fuhrpark von insgesamt 150 ziehenden Einheiten, 300 Sattelaufliegern und 800 Wechselbrücken sagt, auch er wolle "keine schmutzige Luft einatmen". Um sein Unternehmen in die Zukunft zu führen, setzt der studierte Jurist seit Jahren auf Grün.

2011 ließ Thoma eine Photovoltaikanlage auf seinem Gelände bauen, die den Strombedarf von 350 Haushalten decken könnte. Er nutzt Regenwasser zum Betrieb der Lkw-Waschanlage. Und: Nicht nur der Firmenchef fährt Elektroauto, er führte auf dem Firmengelände vor Kurzem auch eine vollelektrische Sattelzugmaschine ein.

Vor allem anderen aber ist Thoma, wie er selbst sagt, "ein Spediteur, der die Bahn sucht". Und das seit langem. Schon 1987 hat er auf Kombibetrieb gesetzt. "Die Branche ist straßenlastig", sagt er. "Wir dagegen sehen in der Bahn die ideale Ergänzung für lange Strecken."

Bannasch erinnert sich noch gut, wie es war, als Thoma in den Achtzigern beschloss, Langstreckenfahrten durch die Schiene zu ersetzen. Eine solche Entscheidung war und ist in der Branche wenig populär. Den alten Fahrern, erzählt Bannasch, fiel der Umbruch schwer. Alles "eingefleischte Trucker", die tagelang unterwegs waren, einsam, auf der Straße, und das Vagabundenleben liebten, die Unabhängigkeit, die Ruhe, die hatte man ja noch in Zeiten des Münztelefons. Heute sind die Männer, die bei Ansorge in Biessenhofen arbeiten, Heimkehrer. Sie können mit der Familie Abend essen, Sport treiben, sie sind sozial eingebunden. "Der einsame Wolf ist tot", sagt Bannasch. Eine tiefe Veränderung war das.

Hochrisikogefährt auf engstem Raum

Dann kam die Digitalisierung der Arbeit. Alles eher anspruchsvoller heute. Das Fahren allein genügt ja nicht mehr. Ein guter Umgang mit dem Kunden sei gefragt, sagt Bannasch, "da zeigt sich die Qualifikation"; man muss seine Ware kennen, die Elektronik beherrschen, alles "in Sichtweite" des Unternehmens.

Das kann auch der Gigaliner: manövrieren auf engstem Raum. "Die Länge vermittelt sich nicht so", sagt Fahrer Jürgen Bannasch. "Der Lkw bleibt der Gleiche, er wird ja nur nach hinten raus länger."

Vieles hat sich verändert in den vergangenen Jahrzehnten. Von einem normalen auf einen längeren Lkw umzusteigen, ist für Leute wie Bannasch ein Klacks dagegen.

Man fragt sich natürlich, warum ausgerechnet ein Firmenchef, der auf Grün setzt, vor fünf Jahren bereit war, am Testversuch Lang-Lkw teilzunehmen, als jenseits der Transportbranche alle Welt die Gigaliner hasste, die "Allianz pro Schiene" ebenso wie die Grünen, der Verkehrsclub Deutschland, einige Bundesländer und viele Journalisten. Auch die Gewerkschaft ver.di und die Europäische Transportarbeiter-Föderation sahen skeptisch drauf. Man befürchtete Unfälle. Eine Beschädigung der Infrastruktur. Mit dem Lang-Lkw, so die Erwartung, dringe ein Hochrisikogefährt in die Kommunen und Städte ein, das letztlich nicht beherrschbar sei. Der Gigaliner wurde zum Symbol dafür, dass mal wieder die Straße subventioniert wird, statt verstärkt auf die Schiene zu setzen.

Thoma probierte die Sache einfach aus. Setzte zwei Lang-Lkw zusammen aus den Modulen, die er ohnehin hatte: Wechselbrücken-Lkw, Dollyachse, Sattelauflieger.

Er ließ sich schulen. Lud Presse und Öffentlichkeit zur Jungfernfahrt ein. Saß im Schneetreiben hoch oben, in der Fahrerkabine seines Lang-Lkw, über 20 Meter Fahrzeug hinter sich. Zuckelte aus dem Gelände raus zum Kreisverkehr, schob den Lkw um die bereits erwähnten Blumenrabatten herum und zeigte den staunenden Besuchern, dass das geht: manövrieren, auf engstem Raum. Dann fuhr er zum Kombibahnhof München Riem und wieder zurück. "Es hat wunderbar funktioniert."

Im Hauptgebäude der Firma, das ganz aus Glas zu bestehen scheint, präsentiert er fünf Jahre später Zahlen und Fakten zum Lang-Lkw per Power Point. "Aus drei mach zwei" lautet die Zauberformel, auf die sich die Befürworter, aber auch manche ehemalige Skeptiker inzwischen geeinigt haben. "Durch die Bündelungseffekte der Lang-Lkw", so Thoma, "sparen wir uns einen Fahrer von dreien; wir verbrauchen im Verhältnis weniger Energie, zahlen weniger Maut, produzieren weniger Feinstaub, Stickoxide und CO2."

Nichts für Bruchpiloten und Temposünder

Die Gigaliner sind zwar länger als andere, dürfen aber nicht mehr wiegen: 40 Tonnen, beim kombinierten Verkehr, also Transport mit dem Lkw und der Bahn, 44 Tonnen. Hohe Sicherheitsstandards wurden eingeführt, die man sich für die üblichen Lkw nur wünschen kann: Ein Lang-Lkw muss ein automatisches Abstandsregelsytem haben, ein elektronisch gesteuertes Bremssystem, er verfügt über ein Spurhaltewarnsystem und eine Kamera am Heck, die Achslast wird automatisch überwacht.

Seit dem Start vor fünf Jahren fahren die langen Laster der Firma Ansorge von Biessenhofen an den Kombibahnhof München Riem oder nach Kempten, sie transportieren Papier, Lebensmittel, Sanitäres. Seine Mitarbeiter, sagt Thoma, seien "richtig scharf darauf", die Lang-Lkw zu fahren, "die fühlen sich berufen", müssen sich allerdings erst qualifizieren. Eine makellose Schadensbilanz muss vorweisen, wer einen solchen Lkw steuern will. Auch die charakterliche Eignung sei wichtig, so Thoma. "Bruchpiloten brauchen wir nicht. Temposünder auch nicht."

Wolfgang Thoma, Geschäftsführer von Ansorge Logisitik

Gesucht sind Vorzeigefahrer wie Bannasch. Natürlich sei ein "Riesenlaster eine Riesenverantwortung", sagt der. Aber die Angst vor den Gigalinern habe die Presse geschürt, der ganze große Wirbel sei völlig unnötig gewesen. "Wir fahren ja nicht zum Endverbraucher, sondern nur zwischen großen Lagern hin und her."

Auch sein Chef Thoma findet: "Lang-Lkw sind schon vor Beginn des Feldversuchs medial in Verruf geraten." Er führt das auf "politische Agitation" zurück. "Von Anfang an standen die Lang-Lkw grundlos unter Beschuss."

Tatsächlich sperrten sich viele Bundesländer gegen den Versuch. Vor allem in Baden-Württemberg gab es Streit zwischen Industrie und Politik. Zuletzt entzogen sich nur noch drei Bundesländer der Testphase. Die Proteste sind weitgehend abgeflaut. Die Studien, die den Feldversuch begleiteten, kommen zu dem Schluss, dass von den Lang-Lkw keine besondere Gefahr ausgeht. Die vorgeschriebenen Sicherungssysteme, heißt es, helfen dabei, die Fahrten unfallfreier zu machen. Eine Beschädigung der Straßen sei nicht zu befürchten, weil sich das Gewicht der Lang-Lkw auf mehr, nämlich acht Achsen verteile. Hinzu kommen strenge Regeln, die auch weiterhin gelten: Strecken, auf denen Lang-Lkw fahren dürfen - im Moment 11.600 Kilometer in Deutschland - müssen beantragt und freigegeben werden. Innenstädte bleiben weiterhin tabu.

Vom Feldversuch in den Regelverkehr

Entsprechend positiv fiel das Fazit des Verkehrsministers Alexander Dobrindt aus: "Der Lang-Lkw ist sicher, spart Sprit und führt weder zur Verlagerung von Verkehr auf die Straße noch zu einer stärkeren Belastung unserer Infrastruktur."

Anfang des Jahres kritisierte das Bundesumweltministerium allerdings, der Übergang in den Regelbetrieb sei ein Alleingang des Verkehrsministers. Die Auswirkungen der Lang-Lkw, so die Kritik, seien noch nicht ausreichend untersucht. Vizeregierungssprecher Georg Streiter ging darauf nicht ein. Wie er mitteilte, solle die Verordnung weiterhin gelten.

So vollzog sich der Übergang vom Feldversuch in den Regelverkehr vergleichsweise leise. ver.di-Vize Andrea Kocsis sagt: Wenn Lang-Lkw "mit Augenmaß, unter strengen Auflagen und ohne einer weiteren Verlagerung von der Schiene auf die Straße Vorschub zu leisten effektiv eingesetzt" würden, sei das tragbar. Sorge, weil durch die Lang-Lkw Arbeitsplätze abgebaut werden könnten, hat ver.di nicht. Es gehe hier um anspruchsvolle Tätigkeiten, und qualifizierte Fahrer werden in der Branche händeringend gesucht. Wichtig ist der Gewerkschaft allerdings, dass die Speditionen auf kombinierten Verkehr setzen, wie dies in Biessenhofen geschieht.

Die "Allianz pro Schiene" dagegen bleibt bei ihrer Ablehnung. Riesenlaster seien umweltschädlich, weil durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs Güter von der Schiene auf die Straße abwanderten, sie seien teuer für den Steuerzahler, weil größere Lastwagen die marode Infrastruktur überproportional schädigten. Und: Sie seien gefährlich für die Autofahrer.

Bei der "Allianz pro Schiene" fürchtet man einen großen Anstieg von Gigalinerfahrten in Deutschland. Firmenchef Thoma dagegen geht davon aus, dass der im Januar vollzogene Übergang vom Feldversuch zum Regelbetrieb für den Lang-Lkw-Einsatz "keinen wesentlichen Schub" bedeuten wird. "Durch das restriktive Positivstreckennetz und die Gewichtsbeschränkung auf 40 Tonnen beziehungsweise 44 Tonnen wird aus meiner Sicht der Lang-Lkw nur ein Schattendasein fristen."

Er selbst hat bereits neue Pläne. Gerade entwickelt Ansorge mit Unterstützung der Bayerischen Staatsregierung einen vollelektrischen Schwerlastschlepper auf 40/44-Tonnen-Basis. Zunächst soll dieser Schlepper, sagt Thoma, im Umkreis von 200 Kilometern eingesetzt werden und den Verbrennungsmotor mit all seinen schädlichen Emissionen stufenweise ersetzen.

"Meine Vision ist es", sagt er, "die Elektromobilität auch im Schwerverkehr einzusetzen." Natürlich kann sich Thoma vorstellen, auch dann noch im kombinierten Verkehr Lang-Lkw einzusetzen. Allerdings: mit Elektromotor. Keine Frage, dass Männer wie Jürgen Bannasch dann mit von der Partie wären.