Ausgabe 01/2017
Wenn die Träume platzen
Hinterbliebene fordern einen gerechteren Rentenfreibetrag, der Witwen und Witwer nicht in Armut und Isolation treibt
Uwe Hansen hat in seinem Leben viel Geld für Bedürftige gesammelt. Dafür bekam er das Bundesverdienstkreuz. Nun als Witwer muss er feststellen, wie knapp seine eigenen Mittel sind. Ein Gespräch über Geldsorgen und die zu kleine Hinterbliebenenrente
ver.di publik - Zahlen sind für viele Menschen ein eher abschreckendes Thema. Was hat Sie dazu bewogen, sich trotzdem intensiv mit der Hinterbliebenenrente zu befassen?
Uwe Hansen - Die Altersarmut steigt, auch im Bekanntenkreis. Das hatte ich schon sehr lange wahrgenommen. Und dann wurde meine Frau mitten aus dem Leben gerissen, sie starb kurz vor Renteneintritt, und ich war plötzlich Witwer.
ver.di publik - Was sehr tragisch ist. Mein Mitgefühl.
Hansen - Nicht nur meine Träume platzten. Was wir noch alles zusammen machen wollten! Auch der geplante finanzielle Lebensabend war von heute auf morgen für mich nicht mehr drin. Das, was ich vorher schon von Bekannten gehört hatte, die mit ihrem Geld als Witwe oder Witwer nicht mehr auskamen, erwischte nun auch mich. Meine Frau hatte 1.000 Euro Verdienst gehabt. Und nach altem Recht hätte mir 450 Euro Hinterbliebenenrente zusätzlich zu meiner Rente zugestanden. Doch seit 1996 der Freibetrag auf die eigene Rente auf 27,9 Prozent festgelegt wurde, sind es nur 200 Euro, die ich als Witwer dazubekomme. Ich musste plötzlich sparen. Aber wo? Die fixen Kosten der Wohnung bleiben ja dieselben, bei mir ist es der Abtrag fürs Haus, bei anderen sind es die Mieten. Die halbieren sich ja nicht. Eigentlich kann man erst einmal nur beim Wasser und bei den Lebensmitteln sparen. Ich rechnete bei mir und anderen nach und stellte fest, dass in sehr vielen Fällen die Hinterbliebenenrente nicht die Hälfte der vorhandenen Fixkosten deckt, die der verstorbene Partner ja mitgetragen hätte.
ver.di publik - Wie sind Sie mit dieser Erkenntnis umgegangen?
Hansen - Zunächst kam ein Ungerechtigkeitsempfinden auf. Ich habe verglichen. Mit Leistungen, die Sozialhilfeempfänger bekommen, mit dem, was sie an Hilfen beantragen können, auch mit dem Unterhalt, den Geschiedene bekommen. Da ist ja der Partner auch aus dem Haushalt raus, doch die Freibeträge bei Unterhaltszahlungen sind höher, das Gesamteinkommen fällt größer aus.
ver.di publik - Und was ist das Ergebnis Ihrer Rechenvergleiche?
Hansen - Es geht nicht ums Vergleichen. Der Freibetrag der eigenen Rente ist einfach zu niedrig. Dadurch wird die Witwenrente zu stark gekürzt. Das ist es.
ver.di publik - Und das wollen Sie so nicht hinnehmen?
Hansen - Genau. Daran muss sich was ändern. Also habe ich Briefe geschrieben, an mindestens zehn Bundestagsabgeordnete, auch an Frau Merkel. Einen Abgeordneten habe ich persönlich getroffen. Er hat gesagt, ich soll mir eine kleinere Wohnung nehmen. Auch das habe ich nachgerechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich dann in zwölf Jahren den Erlös aus dem Hausverkauf auch ausgegeben habe. Ich will aber 100 werden. Am 3. März werde ich 70.
ver.di publik - Eine kleinere Wohnung suchen, ginge das überhaupt? Sie wohnen in Hamburg. Die Mieten sind dort hoch.
Hansen - Der Abtrag fürs Haus ist vergleichbar mit einer Kaltmiete von 300 Euro. Darunter finde ich niemals was. Ich wohne im ländlichen Süden. Alle meine Freunde und Bekannten wohnen dort. Wegzuziehen wäre auch ein starker sozialer Einschnitt. Die gewohnte gegenseitige Hilfe fällt dann weg. Die Wege wären plötzlich weiter. Zudem ist eine 1,5-Zimmerwohnung heute meist teurer als eine Jahrzehnte gemietete Drei-Zimmerwohnung. Freunde von mir haben es versucht und eine kleinere Wohnungen gesucht. Doch im Laufe der Jahre haben sich die Mieten verdoppelt. Nur eine von 15 Bekannten hat eine günstigere Wohnung gefunden. Der Nachteil ist, dass sie, ebenfalls Witwe, jetzt allein in einem anderen Stadtteil lebt. Und dann bin ich wieder beim Rechnen und sage den Politikern, wenn man keine Altersarmut bei Hinterbliebenen verantworten will, dann muss mindestens die Hälfte der Kaltmiete durch den Anteil der Hinterbliebenenrente gedeckt sein. Das ist aber mit dem 1996 festgelegten Freibetrag auf die eigene Rente kaum möglich.
ver.di publik - Und die Miete ist ja noch nicht alles. Sie sprachen auch von Freizeitplänen...
Hansen - Man steigt immer aus dem gemeinsamen Lebensstandard aus. Man koppelt sich dann ein bisschen ab, weil Ausgehen teurer wird. Man kann niemanden mehr einladen, lernt dadurch auch schwerer jemanden wieder kennen. Meine Frau und ich sind oft ins Theater gegangen, jetzt kann ich mir das nur noch gelegentlich leisten. Auch bei Reisen kürze ich. Wir waren zwanzig Jahre lang ein Reisekreis mit zehn Ehepaaren, haben große Reisen gemacht, nach Mexiko, in die damalige UdSSR, nach Ungarn, Thailand. Mein Domizil ist jetzt der Bayerische Wald. Im Bekanntenkreis sind einige Partner weggestorben und die Hinterbliebenen können sich diese Reisen auch nicht mehr leisten.
ver.di publik - Sie hatten ein geselliges Leben. Was bedeutet Ihnen das Soziale?
Hansen - Das ist mir wichtig. Ich bin hier auch verwurzelt durch die vielen Ehrenämter, die Gewerkschaft, den Sport, die Freunde, die alle im Hamburger Süden wohnen. Als Jungredakteur, ich habe über Fußball geschrieben, hat mich beispielsweise sehr gestört, dass die acht Wilhelmsburger Fußballvereine verfeindet waren. Ich habe dann eine Auswahlmannschaft mit den ehemaligen Ligaspielern gegründet. Das war vor 50 Jahren, als die Sozialgesetzgebung nicht einmal Rollstühle für behinderte Kinder bezahlte. Mit der Fußballaltherrenauswahl sind wir in finanzielle Lücken gesprungen. Wir haben im Laufe der Jahre über eine Million Euro eingespielt und für behinderte Kinder gespendet. Ein Spieler hatte ein behindertes Kind und konnte sich den Rollstuhl nicht leisten, das hatte mich auf die Idee zu dem Hilfsfonds gebracht. Später haben wir Einrichtungen wie zum Beispiel die Sprachheilschule gefördert. Aus der Erfahrung der finanzierten Therapieräume entstand durch engagierte Lehrerinnen ein neues Leselernbuch, das mittlerweile in ganz Deutschland eingesetzt wird. Kindertagesstätten erhielten spezielle Sportgeräte für motorisch gestörte Kinder. Behinderteneinrichtungen bekamen Kleinbusse, um die Menschen aus ihrer Isolation zu holen. Für mein Engagement habe ich das Bundesverdienstkreuz bekommen.
ver.di publik - Sie haben sehr vielen bedürftigen Menschen finanziell aus der Not geholfen, geht es Ihnen bei der Hinterbliebenenrente auch um andere?
Hansen - Das ist der Punkt. Mir geht es nicht so schlecht. Aber ich habe es im Freundeskreis mitbekommen, wie Hinterbliebene um ihre Existenz kämpfen. Und deshalb engagiere ich mich weiter. Ich wünsche mir von den Politikern, dass sie sich ernsthaft mit dem Thema befassen, statt mir die aktuellen Gesetzestexte zurückzuschicken, die ich längst kenne. Das haben sie nämlich auf meine Briefe hin gemacht. Aber sie müssen verstehen, die Rente muss zum Leben reichen. Und dazu trägt auch die Hinterbliebenenrente bei. Deshalb wünsche ich mir, dass sich die Politik noch einmal ernsthaft damit befasst. Für die Zukunft wünsche ich mir einen gerechten Freibetrag, der die Witwen und Witwer nicht in die Armut und Isolation treibt. Der jetzige ist deutlich zu gering.
Interview: Marion Luehring
Meine Frau hatte 1.000 Euro Verdienst gehabt. Jetzt bekomme ich statt 450 nur 200 Euro Witwenrente dazu. Ich musste plötzlich sparen. Aber wo?