Auf der Berlinale tummeln sich neben den Besuchern nicht nur die internationalen Größen der Branche wie Produzenten, Regisseure und Schauspieler. Eine Heerschar von Programmmachern anderer Filmfestivals gehört auch dazu. Darunter Ludwig Sporrer, der für drei Festivals arbeitet. Zwischen zwei Vorstellungen eilt er in die Akademie der Künste zum "Berlinale-Treffen der Festivalarbeiter/innen". Der Clubraum ist gut gefüllt. Sporrer ist wie die drei anderen Begründer der Initiative Festivalarbeit gerecht gestalten ver.di-Mitglied. "Uns fehlt die soziale Absicherung, denn wir arbeiten bis auf wenige Ausnahmen auf Honorarvertragsbasis", sagt er.

Die Wurzeln der Misere

Die prekären Verhältnisse in der Festivalarbeit sind ein gewerkschaftlich noch unbeackertes Gelände. Vermutlich liegt es daran, dass bis Anfang der 1980er Jahre nur sieben Festivals vorrangig mit Beschäftigten im öffentlichen Dienst existierten. Dann ging es los: Junge Cineasten gründeten Filmfeste aller Art, von Trick über Trash bis hin zum Weltkino. Die Bürgermeister der Städte waren erfreut, denn die Einwohner kamen in den Genuss von Events mit internationalem Flair. Es flossen erste Zuschüsse, meist Projektgelder der Kommunen, für welche die Veranstalter Personalkosten oft als Eigenanteil einbringen mussten. Das nahmen die meist gemeinnützigen Veranstalter hin. Das Ehrenamt war für sie damals noch Ehrensache. Mithilfe von Geldern der Länder, der regionalen Filmförderungen und Bundesministerien vergrößerten sich die Budgets. Damit stiegen auch die Erwartungen der Zuschussgeber: mehr Filme, mehr Spielstätten, mehr Stars. Allerdings verfügen die Festivals bis heute im Vergleich zu den öffentlich geförderten Theatern und Museen nur über kleine Budgets. "Der Film wird in Deutschland nicht als die siebte der freien Künste wahrgenommen", sagt eine Teilnehmerin des Treffens in der Akademie der Künste.

Ludwig Sporrer ist Mitbegründer der Initiative "Festivalarbeit gerecht gestalten". Hier sitzt er im Theatinerkino in München.

Aber all diese Festivals zu managen, erforderte zunehmend Personal, das sich entsprechend professionalisierte. Nach ihren Studienabschlüssen blieben die Gründer der Festivals oft in den Teams und kellnerten notfalls, um weiter als Filmkuratoren und Programmverantwortliche zu arbeiten. Auf Honorarbasis, denn mehr gab das Personalkostenbudget nicht her, von guten Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen: "Wir müssen immer Gewehr bei Fuß stehen, flexibel und jederzeit einsetzbar sein wie bei der Bundeswehr. Nur dass wir von deren sozialer und materieller Absicherung träumen können", sagt Grit Lemke, Mitbegründerin der Initiative.

Un(ter)bezahlte Arbeit

Mit den 2000er Jahren leerten sich die Kassen der Kommunen, die Zuschüsse wurden gekürzt. Die Selbstausbeutung manifestierte sich mit den Hartz-IV-Reformen und der berüchtigten "Ich-AG". "Viele Festivalarbeiter machten sich als Einzelunternehmer selbstständig und mussten feststellen, dass sich mit dem Ende der Zahlungen aus dem Existenzgründungszuschuss die Sozialversicherungsbeiträge verdoppelten", erzählt eine andere Teilnehmerin.

Keine Altersvorsorge

Die Festivalmacher saßen in der Falle, und machen bis heute trotzdem weiter. Für sie gibt es kaum einen Ausweg, denn sie sind hochspezialisiert in einer vermeintlichen Nische des Kulturbetriebs, denn mittlerweile gibt es rund 450 Filmfestivals in Deutschland. Um zu überleben, bleibt den freien Mitarbeitern oftmals nichts anderes übrig, als ihre Beitragszahlungen in die freiwillige Rentenversicherung zu kappen.

In der Pause des Vernetzungstreffens diskutieren einige Festivalbeschäftigte über die jährlichen Besuche der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bei den Festivalträgern. Eigentlich soll sie prüfen, ob weisungsgebundene Mitarbeiter als sogenannte Scheinselbstständige auf Honorarbasis beschäftigt werden. Erstaunlich sei, dass die DRV immer wieder die Augen zudrücke. "Das ist politisch gewollt, sonst würde die ganze Kulturarbeit jenseits der großen Häuser zusammenbrechen", sagt eine ehemalige Festivalleiterin, die lieber ungenannt bleiben möchte.

Auf dem Podium kommt eine mögliche Mitgliedschaft der Kuratoren in der Künstlersozialkasse (KSK) zur Sprache, schließlich sei ihre Arbeit doch kreativ. In diesem Falle würden die Sozialversicherungsbeiträge für die Honorarkräfte zur Hälfte von der KSK übernommen. Die jedoch schließt kuratorische Tätigkeiten als "nur organisatorisch" aus. "Mittlerweile gibt es von Seiten der Politik Vorgespräche mit der KSK, unsere Arbeit als künstlerische Tätigkeit anzuerkennen", berichtet Andrea Kuhn, Leiterin des Internationalen Filmfestivals der Menschenrechte in Nürnberg und ebenfalls Mitbegründerin der Initiative.

Grit Lemke

Aufruf

Im Jahr 2016 haben Kuhn und ihre drei Mitstreiter einen Aufruf über soziale Netzwerke gestartet, sich zu organisieren. Er wurde tausende Male geteilt. Kathlen Eggerling von ver.di stellt bei dem Treffen die Chancen vor für den Fall, dass sich die Initiative in einer neu zu gründenden Gruppe innerhalb von ver.di organisiert. "Die politische und institutionelle Lobbyarbeit wäre mit der Marke ver.di als mächtige Gewerkschaft leichter zu bewerkstelligen."

Dem Netzwerk geht es um tarifliche Absicherung, die den Beschäftigten angemessene Vergütung, die Absicherung im Krankheitsfall und einen Urlaubs- und Rentenanspruch ermöglicht. Desweiteren sollen die Festivalarbeiter Zugang zur betrieblichen Altersvorsorge in der Pensionskasse Rundfunk bekommen, analog zu den Filmschaffenden. Die Versammlung beschließt eine spätere Online-Abstimmung darüber, ob sich das Netzwerk als eigenständiger Verband mit oder ohne gewerkschaftliche Anbindung institutionalisiert oder sich ganz unter das Dach von ver.di begibt.

"Wir brauchen Lobbyarbeit bei den Politikern, die die Verantwortlichen in den Ministerien und die Gemeinderäte dafür sensibilisieren, grundsätzlich höhere Personalkosten in ihrer Förderung zu verankern. In Berlin zum Beispiel fließen die Gelder jetzt zwar mit einer Mindestlohn-Auflage, aber die Zuschüsse sind nicht gestiegen", ist aus dem Plenum zu hören. Grit Lemke sagt: "Bisher macht sich auf Bundesebene nur Harald Petzold, Medienpolitischer Sprecher der Linken, für uns stark. Er möchte unser Anliegen in die Ausschüsse tragen." Viele Festivals erhalten nicht einmal eine strukturelle Förderung, deren Verwendung mehr Spielraum für die Beschäftigten zuließe. Ihnen bleiben Projektgelder, für deren Verwendung nur geringfügige Personalkosten - wenn überhaupt gestattet - abgerechnet werden.

Festivalleiter verzweifeln an diesem System. Oft haben auch sie nur einen befristeten Honorarvertrag. Andrea Kuhn gehört zu den Ausnahmen, ihr Gehalt bewegte sich jedoch lange auf dem Niveau einer ungelernten Bürokraft. "Unser Netzwerk muss sich primär um unsere Arbeitsbedingungen kümmern. Die Lobbyarbeit für höhere Zuschüsse wäre die Aufgabe eines bundesweiten Festivalverbands, an dessen Gründung wir ebenfalls arbeiten", sagt Kuhn. Grit Lemke, frühere Programmleiterin von DOK Leipzig, hat 24 Jahre für das Festival auf Honorarbasis gearbeitet. "Als ich danach zweieinhalb Jahre von der freien Tätigkeit in die Anstellung wechselte, stieß ich auf Kolleginnen, die Überstunden abrechnen konnten und Weihnachtsgeld erhielten." In der Veranstaltungsbranche ist es jedoch gesetzlich erlaubt, die Verträge auf ein Jahr zu befristen. So wurde Lemkes Vertrag unter einer neuen Leitung nicht erneuert. Ob auf Honorarbasis oder als Angestellte leben alle Beschäftigten der Festivals, die künstlerisch und inhaltlich arbeiten, mit diesem Risiko. "Wem es nicht passt, der kann weiterziehen, in die nächste Stadt, zum nächsten Festival", sagt Lemke.

Fehlerkorrektur: In ver.di publik 1/2017 wird auf Seite 16 im Interview "Wenn die Träume platzen" fälschlicherweise an einer Stelle Bezug zur Rente genommen. Richtig muss es dort heißen: "Meine Frau hatte 1.000 Euro Verdienst gehabt."