Und Action! Eine Szene in der S-Bahn wird im Seminar nachgespielt. Wer unterstützt wen, wenn plötzlich Nazi-Sprüche laut werden?

Es sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Neonazis, die mit rassistischen Bemerkungen oder diskriminierenden Witzen andere Leute provozieren. In einer Zeit, in der sich die politische Rechte deutlich radikalisiert hat, trauen sich zunehmend mehr Menschen nach dem Motto "Man wird doch wohl mal sagen dürfen...", rechte Parolen zu äußern. Wer anderer Meinung ist und von solchen Äußerungen überrascht wird, tut sich oft schwer damit, spontan dagegenzuhalten. Vor diesem Erfahrungshintergrund und wegen der Wahlerfolge der AfD ist deshalb im vergangenen Jahr das Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" entstanden. Sein Ziel: Bis zur Bundestagswahl sollen bundesweit in Seminaren mindestens 10.000 Stamtischkämpfer/innen ausgebildet werden: Leute, die wissen, wie rechte Sprüche am besten gekontert werden. Mitte Februar fand in der ver.di-Bundesverwaltung ein Seminar für künftige Teamer/innen statt, die demnächst selbst Stammtischkämpfer/innen ausbilden wollen.

Solidarisches Handeln spielerisch üben

Neulich in der Berliner S-Bahn: Vier Jugendliche, deren Eltern oder Großeltern wohl nicht in Deutschland geboren worden sind, machen Krawall. Sie toben durch den Wagen und lärmen, greifen aber keinen Fahrgast an. Einer Frau in mittleren Jahren ist das laute Auftreten der Jugendlichen dennoch zu viel; sie schimpft vor sich hin, dass es immer schlimmer werde mit "den Ausländern, die wir nun auch noch in großen Massen ins Land holen". Ihr Gegenüber, ein etwa gleichaltriger Mann, stimmt zu und setzt noch eins drauf: Es sei Zeit, mal "richtig aufzuräumen". Die junge Frau, die neben dem Mann am Fenster sitzt, fühlt sich zunehmend unwohl, möchte einschreiten, etwas entgegnen, doch sie traut sich nicht. Schließlich steht sie auf und geht weg von den beiden Hetzern, hat jedoch das Gefühl, versagt zu haben, weil sie den Sprüchen nichts entgegengesetzt hat.

Beim Wochenendseminar in Berlin wird genau diese Szene, die die Teilnehmerin Kathrin erlebt hat, detailliert nachgespielt. Im Unterschied zur Realität diskutieren die Akteur/innen verschiedene Möglichkeiten der Intervention und bauen so das Ereignis um. "Ich werde mich einmischen", sagt Pia, die in der Spielszene auf der anderen Seite des S-Bahn-Gangs sitzt. Kathrin steht wie in der real erlebten Situation auf, bleibt aber jetzt neben den Hetzern stehen und fragt sie, warum ein paar laute Jugendliche sie zu solchen Beschimpfungen bewegen können. Sibylle setzt sich auf den von Kathrin verlassenen Platz und spricht die beiden Pöbler an. Die anderen Mitspieler/innen solidarisieren sich durch Blicke oder Kopfnicken mit Kathrin. Und die beiden Hetzer merken, dass sie mit ihren rassistischen und pauschalisierenden Bemerkungen nicht gut ankommen.

Zweifellos ist das eine idealtypische Versuchsanordnung, wie auch die Seminarteilnehmer/innen selbstkritisch feststellen. "So viele Fahrgäste hätten Kathrin in der Realität wohl kaum unterstützt", sagt Eva. "Aber wenn nur eine einzige Person den Mut hat, sich zu solidarisieren, ist ja schon eine Menge erreicht." Genau das sollen die angehenden Teamer/innen in diesem Seminar lernen.

Großes Interesse an den Seminaren

"Es gibt nicht die eine Reaktion, den einen Satz, mit dem sich rassistische Bemerkungen am besten kontern lassen", sagt die Seminarleiterin Anna Müller, die von Anfang an im Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" mitarbeitet und seit dem vergangenen August schon viele Stammtischkämpfer/innen und Teamer/innen ausgebildet hat. "Wir greifen auf vorhandene Konzepte zurück, etwa aus Rhetorikkursen und Gruppenübungen." Die Seminare treffen auf große Resonanz. Mehr als 2.000 Menschen haben in nur sieben Monaten einen der Workshops besucht - ohne dass das Angebot großartig beworben wird. "Ich habe bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung davon erfahren", erzählt Sarah, die gleich noch ihre Freundin Eva mitgebracht hat. Die beiden jungen Frauen planen bereits, eine eigene Initiative in Berlin zu gründen, die wiederum Stammtischkämpfer/innen ausbildet.

Auch anderenorts kommt das Angebot sehr gut an. Landauf, landab gibt es Anfragen, werden Seminare gebucht. ver.di gehört von Anfang an zu den Unterstützern des Netzwerks, ebenso wie die IG Metall, die häufig Seminare bucht, der DGB, die Jusos, die Linken und andere Organisationen. "ver.di überlässt uns die Räume und Arbeitsmaterialien für die Seminare kostenlos", berichtet Anna Müller. Ohne erhebliches ehrenamtliches Engagement und Spenden könnte die umfangreiche Arbeit allerdings nicht bewältigt werden. Immerhin: Zwei halbe hauptamtliche Stellen kann das Netzwerk inzwischen finanzieren. Neben den Tagesseminaren werden auch noch zweistündige Abendveranstaltungen angeboten, bei denen Interessent/innen sich über das Thema informieren können, um dann zu entscheiden, ob sie auch Stammtischkämpfer/innen oder Teamer/innen werden wollen.

Spontan mit der Kugellagerübung

Ganz ausdrücklich setzt sich das Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" mit der AfD und der von dieser Partei vertretenen rechten Propaganda auseinander. "Wir wollen Menschen in die Lage versetzen, eine eigene Position zu beziehen und klare Kante gegen rechtes Gedankengut zu zeigen", heißt es in einem Aufruf des Netzwerks. "Dafür müssen wir uns hineinbegeben in das argumentative Handgemenge des Alltags."

Beim Seminar in Berlin trainieren die Teilnehmer/innen den gelungenen, spontanen Konter, etwa bei der "Kugellagerübung": Alle stellen sich in zwei parallel angeordneten Kreisen auf, die Menschen im inneren Kreis lesen eine rechte Parole vor, die das Gegenüber im äußeren Kreis möglichst schnell mit einer Bemerkung kontern soll. Gar nicht so einfach, das zeigt sich schnell, gerade weil viele der aus dem AfD-Arsenal entlehnten Parolen so absurd sind. Doch nach und nach fällt den Teilnehmer/innen einiges ein. Simon etwa, der mit dem Spruch konfrontiert wird, in Deutschland dominiere die "Lügenpresse", erwidert ruhig, dass die AfD doch sehr häufig in den Medien auftauche und ihre Vertreter/innen sich in Interviews oder bei Talk-Shows äußern dürften.

Als in einer weiteren Spielszene Isa und Sebastian ein Paar geben, das sich im Bus vernehmlich über die Vorzüge der AfD äußert und dabei eine dicht neben ihnen sitzende Frau rassistisch beleidigt, zeigt sich, dass vor allem das solidarische und vehemente Auftreten Dritter ein probates Mittel gegen Hetze und Parolen ist. "In jedem Fall ist nicht allein wichtig, was ihr sagt, sondern auch das Wie", betont Anna. So üben die Stammtischkämpfer/innen nicht nur mögliche Erwiderungen auf rechte Sprüche, sondern ebenso ihre Körpersprache, Stimmlage und dem Blick. Die Teilnehmer/innen des Seminars sind überzeugt vom Konzept des Netzwerks. "Wir haben eine gute methodische Grundlage erworben und dank der praktischen Übungen eine Anleitung für mögliches konkretes Handeln bekommen", sagt Sarah. "Klar, es gibt keine Patentrezepte, aber das Durchspielen bestimmter Situationen verschafft mehr Sicherheit." So ist es auch vom Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" gedacht: "Wir müssen immer wieder und mit der nötigen Vehemenz für eine Gesellschaft streiten, die nicht auf Ausschluss und Diskriminierung, sondern auf einem solidarischen Miteinander beruht", heißt es im Aufruf. "Wir stehen im Job, in der Kneipe, auf der Straße, im Gespräch mit Freundinnen und überall sonst auf und erheben unsere Stimme." Und mit genügend Stammtischkämpfer/innen werden es rechte Hetzer bald schwerer haben, mit ihren Parolen durchzudringen.

Das Netzwerk

"Aufstehen gegen Rassismus" ist ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften, das mit einer bundesweiten Initiative dem Rechtsruck in Deutschland und der AfD eine gesamtgesellschaftliche Bewegung entgegensetzen will. Ziel ist es, jeweils vor den Landtagswahlen und vor der Bundestagswahl eine sichtbare und breite Öffentlichkeit zu organisieren, die sich gegen Rassismus, rechte Hetze und die AfD stellt. Ein wichtiges Mittel der argumentativen Gegenwehr ist es dabei, zu lernen, wie man rechten Stammtischparolen wirksam entgegentritt.

Wer Fragen zu den Stammtischkämpfer/innen hat, selbst ein Seminar organisieren oder sich zur Teamer/in fortbilden lassen will, kann sich unter der E-Mail-Adresse stammtisch@aufstehen-gegen-rassismus.de an das Netzwerk wenden.

Infos auf www.aufstehen-netzwerk.de

Wer den Aufruf des Netzwerks unterzeichnen will, um seine Unterstützung zu zeigen, kann das unter www.aufstehen-gegen-rassismus.de/mitmachen. Hier finden sich auch weitere Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden.