Ausgabe 03/2017
„Jeder nimmt noch einen mit“
"Jeder nimmt noch einen mit"
Frei haben am ersten Mai viele - doch wer geht heutzutage zur Feier der Gewerkschaften? Wir haben zwei unserer Mitglieder gefragt, die in den letzten Jahren dabei waren und auch heuer zur Kundgebung des DGB auf dem Münchner Marienplatz kommen. Viele freuen sich über den zusätzlichen Feiertag, "privatisieren" aber lieber, statt auf die Straße zu gehen. Christl Saurer und Max Kadasch nicht. Für sie gehört es zum 1. Mai, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und zu zeigen: "Wir sind viele. Wir sind eins." Dieses Motto hat sich der DGB in diesem Jahr auf die Fahnen geschrieben und es soll sagen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können mächtig sein, wenn sie gemeinsam für ihre Interessen einstehen.
Christl Saurer, früher bei der Post, heute im (Un)Ruhestand, war zum ersten Mal 1965 auf der Maikundgebung, damals noch am Königsplatz. Die Verhältnisse in der Ausbildung und die Jugendvertretung hatten ihr Interesse an sozialen und gewerkschaftlichen Themen geweckt. Für sie ist der 1. Mai immer noch ein großes Familientreffen. Nicht verstehen kann sie, warum heute nicht mehr so viele kommen. Ein gut besuchter 1. Mai sei notwendig wie eh und je.
Für eine Gesellschaft der Menschlichkeit
Max Kadasch ist 22 Jahre alt und das dritte Mal dabei. Er lernt an der Akademie den Beruf des Gesundheits- und Krankenpflegers und ist Jugend- und Auszubildendenvertreter. Für ihn ist es eine schöne Pflicht, am 1. Mai Flagge zu zeigen. Es gehöre auch zur Verantwortung der jungen Generation, den 1. Mai und die Geschichte, die dahinter steht, lebendig zu halten. Schließlich hätten sich die Arbeiter den Feiertag erkämpft.
Christl Saurer: "Es geht um gute Arbeit, gerechte Löhne, Lohngleichheit für Männer und Frauen, Kündigungsschutz, mehr Mitbestimmung - kurz: mehr Gerechtigkeit. Dazu gehört für mich aber auch, dass wir im Alter in Würde leben und dass wir weiterhin in Frieden und Verantwortung unser Leben gestalten können. Es geht mir auch darum, dass öffentliche Daseinsfürsorge nicht privatisiert wird. Ganz wichtig ist, dass wir für eine Gesellschaft der Menschlichkeit und des Friedens eintreten. Wir wollen unsere Solidarität gegenüber den Geflüchteten zeigen. Unsere Vorfahren gingen für ihre Forderungen auf die Straße, überwiegend ging es um mehr Lohn, den Acht-Stunden-Tag, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und den freien Samstag. Dadurch gefährdeten sie ihre Arbeitsplätze, ihre Freiheit und teilweise auch ihr Leben. Heute passiert uns nichts, wenn wir am 1. Mai demonstrieren. Deshalb hoffe ich, dass wieder viele und noch mehr Kolleginnen und Kollegen da sein werden."
Max Kadasch ergänzt: "Die Auszubildenden wissen meist nichts über den 1. Mai, lernen es weder in der Schule noch in der Ausbildung. Klar, dass sie dann auch keinen Grund sehen, teilzunehmen. Deshalb informieren wir vorab als Jugendvertreter. Jeder nimmt einen anderen mit - und wir werden Spaß miteinander haben. Ich habe gemerkt, dass bei Tarifverhandlungen mit genügend Druck etwas erreicht werden kann. So konkret kann der 1. Mai natürlich nicht sein. Da geht es mehr darum zu zeigen: Uns gibt es noch, und wir haben konkrete Wünsche. Das ist besonders heuer wichtig wegen des politischen Rechtsrucks und der bevorstehenden Bundestagswahl. Für mich ist der 1. Mai ein Tag der Solidarität und ich freue mich, mit vielen Gleichgesinnten ‚Schulter an Schulter‘ zu stehen. Dann merkt man förmlich, dass man nicht allein ist und wir viele sind. Gerade in meinem Beruf ist vieles nicht gerecht, zum Beispiel die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung. Deshalb hoffe ich, dass wir noch viel mehr werden. Denn: Wenn wir unten uns solidarisieren, haben die oben ein Problem."
Ernst Edhofer