Wissenschaftlerin fordert eine saubere Abgrenzung verschiedener Begrifflichkeiten in der Diskussion über die angeblich zu hohe Abgabenbelastung

von Heike Langenberg

Im Herbst wird ein neuer Bundestag gewählt, da sind plötzlich mögliche Steuersenkungen wieder ein großes Thema in der Politik. Mitte Mai hatte der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Prognose vorgelegt. Die Expert / innen erwarten bis 2021 Mehreinnahmen in Höhe von 54,1 Milliarden Euro. Insbesondere die CSU und Teile der CDU wollen das Geld für Steuersenkungen nutzen. Der DGB hingegen spricht sich allenfalls für eine zielgenaue Entlastung der Arbeitnehmer / innen aus.

Vor einigen Wochen hatten mehrere arbeitgebernahe Wirtschaftsinstitute Studien veröffentlicht, nach denen die Abgabenbelastung in Deutschland ausgesprochen hoch sei. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zählt Deutschland in Sachen Abgaben für Steuern und Sozialversicherung zur Weltspitze - höher als hierzulande seien diese nur in Belgien. Sie habe sogar noch zugenommen, stellt unter anderem das Online-Portal der Tageszeitung Die Welt und des Nachrichtensenders N24 fest, obwohl die Steuereinahmen "dank der guten wirtschaftlichen Lage ohnehin sprudeln".

"Je alarmistischer Darstellungen daherkommen, desto wahrscheinlicher ist, dass wesentliche Größen nicht sauber vonein-ander abgegrenzt werden", sagte jetzt Katja Rietzler, Expertin für Finanzpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Sie hat Mitte Mai eine Untersuchung über die Einkommenssteuerbelastung von Durchschnittsverdiener / innen in unterschiedlichen Familienkonstellationen vorgestellt.

Rietzler identifiziert in der öffentlichen Berichterstattung und zahlreichen Studien drei Fehlerquellen: Erstens werde das Durchschnittseinkommen in Deutschland häufig überschätzt. Sie beziffert es auf 49.915 Euro, wobei hier nur Vollzeitverdienste und auch hohe Verdienste, etwa von Manager / innen, einbezogen werden. "Rund 65 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten bekommen weniger", so die Wissenschaftlerin.

Zweitens weist sie darauf hin, dass das zu versteuernde Einkommen in der Regel niedriger sei, weil Freibeträge abgezogen werden. Da Steuerzahlende durch Änderungen in den vergangenen Jahren immer mehr absetzen konnten, beispielsweise Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, seien sie bereits weiter entlastet worden. "Steuerkritiker blenden das immer wieder aus", kritisiert Rietzler.

Und drittens werde in vielen Studien häufig der durchschnittliche Steuersatz mit dem Grenzsteuersatz verwechselt. Denn niemand zahle auf sein gesamtes Einkommen den gleichen Steuersatz. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent falle bei einem Single erst auf jeden Euro an, den er ab einem zu versteuernden Einkommen von 53.665 Euro verdient. Das entspreche ungefähr einem Bruttoverdienst von knapp 64.000 Euro im Jahr. Daher komme es bei der Ermittlung der Steuerbelastung auf deren Durchschnittswert an. Und der liege zwischen 1,4 und 19,2 Prozent, inklusive Solidaritätszuschlag. "Damit liegen Durchschnittverdiener deutlich unter dem Spitzensteuersatz", ist Rietzlers Fazit.

Die geforderten Steuersenkungen hingegen hält sie für verteilungspolitisch problematisch. Eine breite steuerliche Entlastung belaste die Haushalte von Bund Ländern und Gemeinden selbst in einer guten konjunkturellen Lage wie derzeit stark. Lasse die Konjunktur nach, zöge das wegen der Schuldenbremse schnell kräftige Kürzungen nach sich. Stattdessen sprechen sich Rietzler und ihre Kollegen in ihrer Studie dafür aus, einkommensschwache Haushalte weiter zu entlasten und im Gegenzug die Bezieher/innen hoher Einkommen stärker zu besteuern. Mit den vorhergesagten Mehreinnahmen könnten die öffentlichen Haushalte ihre Handlungsfähigkeit verbessern und mehr in Infrastruktur und Bildung investieren.

Katja Rietzler, Birger Scholz, Dieter Teichmann, Achim Truger: IMK-Steuerschätzung 2017-2021. Staatliche Handlungsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen. IMK Report Nr. 126, www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_126_2017.pdf

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