Ausgabe 06/2017
Attacken auf den Rechtsstaat
Demonstranten präsentieren Präsident Duda die polnische Verfassung
Wer heute in Polen die Zeitungen aufschlägt oder im Internet unterwegs ist, stellt fest: Bei den tobenden Auseinandersetzungen wimmelt es von "Verrätern und Putschisten" und "Zerstörern von Demokratie und Rechtsstaat", von "Kollaborateuren mit den Deutschen" und "Parteigängern Putins". So aggressiv war die Stimmung in der Bevölkerung zum letzten Mal 2005 bis 2007. Auch damals regierte die nationalpopulistische Recht und Gerechtigkeit (PiS), allerdings noch in einer Koalition mit zwei radikalen Splitterparteien. Heute kann die PiS mit der absoluten Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments durchregieren. Der von PiS-Politikern immer wieder befeuerte hasserfüllte Streit aller gegen alle sorgt dafür, dass viele Polen gar nicht merken, wie sehr sich der bisherige demokratische Rechtsstaat bereits in einen autoritären Polizeistaat verwandelt hat.
Unabhängigkeit der Gerichte angegriffen
In den Sommerferien wollte die PiS mit drei neuen Gesetzen die Dreiteilung der Macht in Polen vollends aufheben. Die Unabhängigkeit der Gerichte, insbesondere die der Gerichtspräsidenten und ihrer Stellvertreter, sollte beseitigt werden. Der Landesjustizrat, der über Berufungen, Versetzungen und Ruhestände von Richtern entscheidet, sollte vollkommen umstrukturiert und politisiert werden. Geplant war, das Oberste Gericht aufzulösen und neu zu gründen, sodass es möglich gewesen wäre, alle bisherigen Richter zu entlassen. Doch wieder gingen Tausende Menschen auf die Straße, demonstrierten erst nur in Warschau vor den Gerichten, schließlich auch in anderen Städten und sogar in kleinen Orten. In Sprechchören wurde Polens Präsident Andrzej Duda aufgefordert, dreimal sein Veto einzulegen und so noch einen Rest von Rechtsstaatlichkeit zu retten.
Auf Parteikurs
Und der Präsident, der ebenfalls aus den Reihen der PiS stammt, legte tatsächlich sein Veto ein - doch lediglich bei den beiden Gesetzen, die seine eigenen Befugnisse massiv einschränken würden. Künftig sollte nicht mehr er das letzte Wort bei Richterernennungen haben, sondern Justizminister Zbigniew Ziobro, der zugleich auch Generalstaatsanwalt ist.
Unterzeichnet hat Duda das Gesetz über die Ordentlichen Gerichte. Nachdem die PiS schon die Polizei, die Armee sowie alle Geheimdienste auf Parteikurs gebracht hatte, kann die Partei nun auch auf der unteren Gerichtsebene alle Staatsanwälte und Richter nach Belieben austauschen und einsetzen. Das schränkt die Unabhängigkeit der Richter schon heute massiv ein und öffnet Tür und Tor für politische Prozesse.
Dass die PiS genau solche Prozesse führen will, haben ihre Politiker, allen voran Jaroslaw Kaczynski, in den letzten Monaten immer wieder angekündigt. Fast die gesamte Vorgängerregierung unter dem damaligen Premier Donald Tusk, aber auch die Ex-Präsidenten Bronislaw Komorowski und Lech Walesa sollen nach dem Willen der PiS erst auf der Anklagebank landen und dann hinter Gittern verschwinden.
Propaganda und Verschwörungstheorien
Polens "nationale Medien", wie die einst öffentlich-rechtlichen Medien heute heißen, unterstützen den PiS-Kurs in jeder Hinsicht. Nachrichten, politische Talkshows und sogenannte "Dokumentationen" wirken wie Propaganda-Sendungen. Auch die zahlreichen PiS-nahen Zeitungen und Zeitschriften bringen ein verzerrtes Bild der Realität mit Titelbildern, auf denen in Ungnade gefallene polnische oder auch EU-Politiker als Nazis gezeigt werden, als Vandalen mit Baseballschlägern und abgebrochenen Flaschen in der Hand. Im polnischen Internet wiederum ist eine ganze Armee bezahlter Trolle unterwegs, die immer neue Verschwörungstheorien lancieren.
Doch trotz der Massenproteste auf den Straßen gegen den Abbau von Demokratie und Rechtsstaat würden heute wieder zwischen 37 und 40 Prozent der Wahlberechtigten für die PiS stimmen. Nicht wegen des Kindergeldes oder anderer Sozialleistungen, von denen wesentlich weniger Polen profitieren als zunächst angenommen wurde, sondern aus Angst - vor angeblichen Feinden im Innern, vor Deutschland und Russland und den neuen Feinden in der EU, die ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen gestartet haben.
Gabriele Lesser