Ibeyi: ASH

Eine Geschichte wie die von Naomi und Lisa-Kaindé Diaz kann sich nur die moderne Popmusik ausdenken: Der Vater war ein legendärer kubanischer Perkussionist, die Mutter eine französisch-venezolanische Sängerin. Die beiden Zwillingsschwestern wachsen in Paris auf, verbringen aber regelmäßig Zeit auf Kuba. Nachdem sie dank YouTube vom Chef des saucoolen britischen XL-Labels, das mit Adele und Radiohead reich wurde, entdeckt wurden, beglücken sie - groß geworden zwischen Europa und Karibik, Kapitalismus und Sozialismus, Katholizismus und Geisterglauben, Weltmusik, Jazz und Club-Beats - das internationale Poppublikum mit einer stilistischen und inhaltlichen Polyphonie, wie man sie noch nie gehört hatte.

Tatsächlich waren und sind alle diese Einflüsse deutlich zu hören und verschmelzen doch zu einer faszinierenden Einheit - sowohl auf dem vor zwei Jahren erschienenen Debütalbum als auch auf dem neuen Werk Ash. Was sich verändert hat: Der Erstling verarbeitete noch den Verlust des 2006 verstorbenen Vaters Anga Diaz, der einst für den Buena Vista Social Club trommelte, und den Tod der größeren Schwester, und war entsprechend düster. Mit Ash öffnen sich die mittlerweile 22-jährigen Diaz-Zwillinge nun nicht mehr nur musikalisch der Welt: In Songs wie Valvé finden Ethno-Chöre und spartanische elektronische Beats glücklich zueinander, in No Man Is Big Enough For My Arms wird Michelle Obama zitiert, für andere Tracks haben sie Kamasi Washington, den neuen Saxophon-Star des Jazz, oder die Neo-Soul-Legende Meshell Ndegeocello gewinnen können. Gekonnt adaptieren Ibeyi moderne Pop- und Club-Standards, ohne ihre Einflüsse zu vernachlässigen. Zu denen gehört vor allem die westafrikanische Yoruba-Kultur. Nach dem Yoruba-Wort für Zwilling, denen eine mythische Bedeutung zugewiesen wird, haben sie sich Ibeyi genannt, in Yoruba singen sie neben Englisch, Französisch und Spanisch.

Das Ergebnis ist Weltmusik im allerbesten Sinne. Eben nicht der Ethno-Kitsch, der einem allzu oft unter diesem Label verkauft werden soll, eben nicht afrikanische Klänge, die von westlichen Produzenten vergewaltigt werden, sondern ein organisch aus der Biografie von Naomi und Lisa-Kaindé Diaz gewachsenes Klangbild, das nicht nur das beste aus zwei Welten zusammenbringt, sondern viele Welten stimmig miteinander versöhnt. Thomas Winkler

IBEYI: ASH, XL RECORDINGS / BEGGARS / INDIGO


Götz Alsmann: In Rom

Zimmer frei!, die WDR-Talkshow mit den albernen Späßen und klugen Gesprächen war gestern. Mehr noch als seine TV-Präsenz prägt Götz Alsmann die Musik. Einmal als musikwissenschaftlicher Fachmann und obendrein als praktizierender Sänger, Pianist und Entertainer. Nun lädt er ein zur musikalischen Reise in die ewige Stadt. In Rom ist nach In Paris und Am Broadway der dritte Teil seiner musikalischen Städte-Trilogie. Italo-Klassiker wie Volare, Azzuro und Arrivederci Roma serviert das Universaltalent mit der imposanten Haartolle in einer unnachahmlichen Aufbereitung. Einige Songs gibt es ja schon seit Jahrzehnten in deutschen Versionen. Andere sind neue Übertragungen, immer aber mit italienischem Originaltitel. Alsmanns Kunstgriff besteht in seiner augenzwinkernden, aber die Songs nicht veralbernden Vortragsweise. Stattdessen hoher Respekt für die Qualität der Originale. Denn nur so werden diese zu echten Alsmännern. Und dann liegt's natürlich an seiner Band, die mit enormem Feeling für Bossa Nova, Mambo und Swing diese "Italo-Schlager" in eine kitschfreie Zone überführt. Peter Rixen

CD, BLUE NOTE / UNIVERSAL MUSIC


Maurice & die Familie Summen: Bmerica

Der Deutsche soll ja beim Tanzen an einen Stock erinnern. Erzähl das mal Maurice Summen. Der Labelmacher, Journalist, Radio-Moderator und nicht zuletzt Musiker aus Berlin hat - neben vielen anderen Projekten - nun eine Band gegründet, die mehr als nur eine Musikgruppe sein will, eine Familie nämlich, die den Deutschen das Tanzen beibringen will. Die Idee ist - als offensichtliche Verbeugung - geklaut von Sly Stone, jenem legendären Funk-Musiker, der einst mit seiner multi-ethnisch besetzten Sly & The Family Stone den Funk zum politischen Heilsversprechen aufjazzte. Auch Summen lässt auf Bmerica seine Familie aus befreundeten Musikern - neben stimmungsvollen, mit mondänen Bläsern ausgestatteten Soul-Balladen - immer wieder den Funk spielen, jenen zackigen, in die Beine gehenden Rhythmus, bei dem jeder mitmuss. Und wie sein US-amerikanisches Vorbild Sly Stone begnügt sich Summen nicht mit Arschwackeln, sondern hat eine Botschaft. Er beklagt die Beschleunigung des Alltags und "Die Kommerzialisierung des Lebens", fordert ein "Recht auf Unerreichbarkeit" und stellt die Fragen zur Zeit: "Ist das noch Wetter oder schon Klima?" Antwort: Bei Regen oder Hitze bleibt immer noch der Weg in den nächsten Club. Thomas Winkler

CD, STAATSAKT / CAROLINE INTERNATIONAL