Studentische Beschäftigte demonstrieren in Berlin

Rockmusik schallt über den Bebelplatz, während sich über 1.000 junge Menschen in der Mitte von Berlin versammeln. Die nahe gelegene Humboldt Universität ist in goldenes Licht getaucht, und die Sonne treibt die Temperaturen an diesem klaren Tag Mitte Januar bis knapp über den Gefrierpunkt. Immer mehr Menschen treffen ein, mit Schildern und Plakaten in den behandschuhten Händen. Von der Bühne sind flammende Reden zu hören. Matthias Neis aus der ver.di-Bundesverwaltung spricht gar von einem historischen Ereignis. Denn die jungen Leute, die sich hier zu einer Protestkundgebung versammelt haben, sind allesamt studentische Beschäftigte an einer der Berliner Hochschulen. Und sie befinden sich im Warnstreik. Es ist der erste Streik der studentischen Beschäftigten seit 32 Jahren.

Mitten in der Menge steht Yannick, warm eingepackt und mit einem Becher Tee in der Hand. Der 24-jährige Geographiestudent arbeitet als studentische Hilfskraft, so lautet die offizielle Betitelung der studentischen Beschäftigten, an der Humboldt Universität (HU). Er leitet als Projekttutor eine eigene Lehrveranstaltung, die sich mit dem Thema kritische Stadtforschung auseinandersetzt. In seinem Vertrag sind für diese Aufgabe 41 Arbeitsstunden im Monat vorgesehen, zeitlich befristet auf ein Jahr. Da Yannick kein Büro an der Uni gestellt bekommt und auch keine unmittelbaren Kolleg/innen hat, mit denen er sich abstimmen muss, arbeitet er isoliert. Und "zeitlich entgrenzt", sagt er. Neben der eigentlichen Lehrveranstaltung, sowie Vor- und Nachbereitung, seien E-Mails zu beantworten, Abschlussberichte zu verfassen und Sprechzeiten einzuhalten. Heute müsse er eigentlich die Materialien für sein Tutorium vorbereiten, um sie seinen Studenten dann über die Online-Plattform Moodle vor der morgigen Sitzung zur Verfügung zu stellen.

Tutorium zum Thema Streik

Natürlich ist dem Tutor bewusst, dass seine Studenten diesen Warnstreik als erste zu spüren bekommen. Für das anstehende Tutorium hat Yannick deshalb das Thema Streik auf die Tagesordnung gesetzt. Dafür braucht zumindest er selbst keine extra Vorbereitung. Denn er ist überzeugt von der Wichtigkeit des aktuellen Arbeitskampfes. "Wir stehen hier auch für kommende Generationen von studentischen Beschäftigten", sagt Yannick.

Neben der Erhöhung des Stundenlohns auf 14 Euro fordern die studentischen Beschäftigten vor allem eine dynamische Anpassung des Lohns an die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst. Die letzte Lohnerhöhung für die studentischen Beschäftigten gab es vor 17 Jahren. Momentan liegt der Stundenlohn laut Tarifvertrag bei 10,98 Euro, genau wie im Jahr 2001. Yannick kommt so auf etwa 450 Euro im Monat. Ohne sein Stipendium könnte er sein Leben davon nicht finanzieren. Denn im Gegensatz zu seinem Lohn sind die Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren stark angestiegen. "Die von uns geforderte Lohnerhöhung entspricht lediglich dem Inflationsausgleich seit 2001", schallt die Stimme von André Pollmann, Gewerkschaftssekretär beim ver.di-Landesfachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung über den Platz.

17 Jahre ohne Lohnerhöhungen trotz öffentlicher Zuwendungen

"Ohne uns läuft hier nichts!"

Insgesamt 8.000 studentische Beschäftigte von 11 Berliner Hochschulen sind von ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum Streik aufgerufen. "Ohne uns läuft hier nichts! Also holen wir uns, was uns zusteht!", ruft Celia von der Bühne und erntet lautstarke Zustimmung. Die studentische Mitarbeiterin der HU ist vor allem ihren Vorgänger/innen dankbar, die 1986 den Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in Berlin auf den Weg brachten. Wochenlange Streiks waren dafür notwendig. Auch heute noch ist der sogenannte TVStud bundesweit der einzige Tarifvertrag für studentische Beschäftigte. Und den verteidigen sie.

"Wenn nötig, bin ich bis zu meinem Uni-Abschluss bei diesem Kampf dabei", sagt die 24-jährige Franziska. Auf der Protestkundgebung steht sie am Rand der Menschenmenge. Mit einer Streikweste über der dicken Winterjacke hat die Studentin der Sozialwissenschaften während der Kundgebung einen Ordnerposten übernommen. Gute Arbeitsbedingungen sind Franziska "mega wichtig". Sie ist Studentin an der HU, studentische Beschäftigte und freigestellte Personalrätin. Bis zu 10 Stunden in der Woche investiert sie darüber hinaus in ihre Arbeit bei der Initiative TVStud. Und: Franziska hat noch einen zweiten Job. Trotz der teilweise "recht hohen" Zeitbelastung arbeitet sie zusätzlich auch an der Technischen Universität Berlin (TU) als studentische Beschäftigte in einem Forschungsprojekt. Für 60 Stunden im Monat.

Zwei Jobs und Studium

Die HU wollte ihren 41-Stunden-Vertrag nicht aufstocken, sagt Franziska. Den Mehrverdienst aber könne sie gut gebrauchen. Schon allein für Miete und Nebenkosten zahle sie etwa 400 Euro im Monat. Daher ist sie sehr dankbar für ihr Stipendium und das Kindergeld, das ihre Eltern an sie weitergeben. Für einige Monate muss Franziska die Dreifachbelastung von zwei Jobs und Studium noch stemmen, dann wird sie nur noch an der TU arbeiten. An ihrem Engagement für einen neuen Tarifvertrag aber wird das nichts ändern, sagt sie. Denn studentische Beschäftigte dürften nicht länger als billige Arbeitskräfte betrachtet werden, die feste Angestellte ersetzen.

André Pollmann hat auch hierzu die passende Botschaft, die er während seiner Rede der Menge zuruft: Geld für eine bessere Bezahlung der studentischen Beschäftigten sei genug da. Seit 2010 erhielten die Hochschulen finanzielle Mittel für den TVStud und auch die ab 2018 geltenden Hochschulverträge sähen Lohnsteigerungen vor. Doch bei den studentischen Beschäftigten kommt dieses Geld nicht an. Yannick steht unter den Streikenden und schüttelt den Kopf: "Ich finde es schockierend, dass so lange nichts passiert ist, obwohl die Hochschulen Geld vom Senat erhalten, um unsere Löhne anzuheben."

Die TU hat inzwischen beschlossen, den Stundenlohn für ihre studentischen Beschäftigten ab Januar 2018 auf 12,50 Euro anzuheben. Doch wann studentische Beschäftigte wie Franziska wirklich mit der ersten Auszahlung dieses Stundenlohns rechnen können, dazu äußerte sich die TU auch auf Nachfrage nicht. Auch die Gründe für diese einseitige Erhöhung wollte die TU nicht preisgeben. Matthias Neis sagt, dass eine tarifliche, verlässliche Lösung dringend notwendig sei - und meint damit eine für alle Hochschulen.

Inzwischen gehen die Streiks weiter. Ende Januar haben ver.di und GEW die studentischen Beschäftigten erneut zu ganztägigen Warnstreiks aufgerufen. Und wieder sind weit über 1.000 studentische Beschäftigte dem Streikaufruf gefolgt. Denn die Arbeitgeber haben nach wie vor kein verbessertes Angebot vorgelegt. Und ohne ein überarbeitetes Angebot bräuchte man sich nicht wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, sagt Matthias Neis, der ver.di-Verhandlungsführer. "Wir haben jetzt den Anfang für eine streikfähige Bewegung gelegt, aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen, sondern müssen noch einmal eine Schippe drauf legen." Yannick, Franziska und Celia werden wieder mit dabei sein.


Was bisher geschah

Nach fünf Verhandlungsrunden seit April 2017 haben ver.di und GEW die Tarifverhandlungen mit den Berliner Hochschulen unter Federführung des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Berlin (KAV) für den TVStud im Dezember 2017 für gescheitert erklärt. Das letzte Angebot der Arbeitgeber sah eine Anhebung des Stundensatzes von 10,98 Euro auf 12,13 Euro zum 1. Januar 2018, auf 12,35 Euro zum 1. Januar 2020 und 12,50 Euro zum 1. Januar 2022 vor, ohne Anbindung an die weitere Lohnentwicklung der anderen Hochschulbeschäftigten und ohne Weihnachtsgeld. Verhandelt wurde für die studentischen Beschäftigten an der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität der Künste Berlin, der Hochschule für Wirtschaft und Recht, der Beuth Hochschule für Technik Berlin, der Alice Salomon Hochschule Berlin, der Hochschule für Technik und Wirtschaft, der Hochschule für Musik Hanns Eisler, der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und der Kunsthochschule Berlin Weißensee.