Ausgabe 02/2018
Immer nur billig geht nicht
Die Stimmung ist gut: Wolfgang Pieper beim Verhandlungsauftakt am 26. Februar 2018 in Potsdam
VER.DI PUBLIK: Ende Februar haben die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen begonnen. ver.di fordert 6 Prozent mehr Geld, mindestens aber 200 Euro. Die erste Verhandlungsrunde blieb ohne Ergebnis, die Arbeitgeber weisen die Forderung als unbezahlbar zurück und verlangen "mehr Augenmaß". Was entgegnet ver.di?
WOLFGANG PIEPER: Die wirtschaftliche Konjunktur ist großartig. Wir haben jetzt mehrere Jahre ein Wirtschaftswachstum von um die 2 Prozent, angekündigt ist eine Fortsetzung dieses Trends mit Prognosen, die zum Teil auch schon für 2019 über 2 Prozent liegen. Die Steuereinnahmen sprudeln, und wir hatten im letzten Jahr einen Haushaltsüberschuss der öffentlichen Haushalte von 36,6 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen sollen nach aktuellen Prognosen weiterhin steigen, im Durchschnitt um 4,1 Prozent. Damit ist eindeutig klar, dass auch perspektivisch Möglichkeiten bestehen, den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen.
VER.DI PUBLIK: Warum muss der öffentliche Dienst attraktiver werden?
PIEPER: Erstens: Wir haben Probleme, genügend Fachkräfte zu bekommen. Zweitens: Der öffentliche Dienst wird in den nächsten Jahren eine große Zahl von Fachkräften verlieren. Bei den Kommunen werden das allein in den nächsten 10 Jahren rund 45 Prozent sein, also nahezu die Hälfte der dort Beschäftigten. Dafür brauchen wir Arbeitskräfte, die diese Tätigkeiten qualifiziert im Sinne der Bürgerinnen und Bürger erledigen können.
VER.DI PUBLIK: Der Abstand zwischen der Bezahlung im öffentlichen Dienst und in der Gesamtwirtschaft ist groß, heißt es bei ver.di. Wie hoch ist der Nachholbedarf?
PIEPER: Wir gehen von einem Nachholbedarf gegenüber der Tariflohnentwicklung in der Gesamtwirtschaft von circa 4 Prozent aus. Wir haben jetzt eine Konjunkturlage, die es ermöglicht, diesen Rückstand zu verkleinern.
VER.DI PUBLIK: ver.di sagt, die Steuereinnahmen sprudeln, das Geld ist da, wir haben einen Rückstand, wir brauchen Fachkräfte. Die Arbeitgeber gehen auf diese Argumentation nicht ein, sondern verweisen auf die hohe Verschuldung und auf den milliardenschweren Investitionsbedarf in den Kommunen. Was sagt ver.di zu dieser Argumentation?
PIEPER: Wir haben ja immer auf den Investitionsbedarf hingewiesen. Wir glauben, dass die Kommunen entsprechend unterstützt werden müssen. Sie brauchen einen finanziellen Spielraum, um diese Investitionen tätigen zu können. Das steht aber nicht im Widerspruch zu Lohnerhöhungen. Wir stellen fest, dass überall da, wo das Personal fehlt, der öffentliche Dienst nicht in der Lage ist, bestimmte Projekte umzusetzen. Das sehen wir insbesondere im Straßenbaubereich, wo etwa Ingenieursmangel herrscht. Da hapert es nicht am Geld, da hapert es an den nötigen Fachkräften. Und um diese zu bekommen, brauchen wir eine bessere Bezahlung und müssen die Lücke zur Wirtschaft schließen.
VER.DI PUBLIK: Die öffentlichen Arbeitgeber haben schon im Vorfeld der Verhandlungen die soziale Komponente von 200 Euro angegriffen, die ver.di fordert. Sie sagen, das werde zu einer Verringerung der Arbeitsplätze im kommunalen Bereich führen. Quasi eine Drohung - was sagt ver.di?
PIEPER: Die Arbeitgeber argumentieren folgendermaßen: Zum einen verweisen sie auf zunehmende Ausschreibungspflichten und darauf, dass sie sparsam haushalten müssten. Ja, man muss ausschreiben, aber ver.di arbeitet schon lange daran, und das ist auch teilweise schon durchgesetzt, dass dabei Tarifstandards Geltung haben müssen. Das muss politisch durchgesetzt werden. Es kann nicht darum gehen, die Billigheimer die Arbeit erledigen zu lassen, denn Qualität muss auch eine Rolle spielen. Überall da, wo man Löhne gedrückt und versucht hat, öffentliche Dienstleistungen billig zu erledigen, hat die Qualität darunter gelitten. Insofern brauchen wir gute Beschäftigte auch in den unteren Lohngruppen. Es gibt bei den Busfahrern und Busfahrerinnen einen Bedarf, die Stellen können teilweise nicht besetzt werden. Wir haben bei Facharbeitern auch deshalb einen Bedarf, weil der öffentliche Dienst da in bestimmten Metropolen weit unter den Tarifverträgen der Industrie zahlt. Und insofern sehen wir eindeutig auch in den unteren Entgeltgruppen einen Bedarf.
VER.DI PUBLIK: Gibt es weitere Beispiele?
PIEPER: Nehmen wir den Bereich Bildung, der ja in der neuen Großen Koalition weiter ausgebaut werden soll. Da haben wir einen erheblichen Fachkräftebedarf im Bereich der frühkindlichen Bildung, in den Kitas und in der Kinderbetreuung. Hier muss erheblich investiert werden, wir brauchen eine Verbesserung der Qualität in der Betreuung. Da muss etwas passieren. Das gleiche gilt für die Pflege. Auch hier müssen wir attraktiver werden, weil wir sonst nicht in der Lage sind, diesen Bedarf an Fachkräften zu decken. Und das geht im Endeffekt zu Lasten der Kinder oder der Patientinnen und Patienten. Das sollten wir als Gesellschaft nicht hinnehmen. Auch in der Kinder- und Jugendhilfe und der sozialen Arbeit können viele Stellen nicht mit Sozialarbeitern besetzt werden.
VER.DI PUBLIK: Für die Auszubildenden und für die Praktikanten fordert ver.di 100 Euro mehr im Monat. Und die Übernahme nach erfolgreicher Ausbildung soll wieder festgeschrieben werden. Gibt es darauf schon Reaktionen?
PIEPER: Die Arbeitgeber halten die Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 100 Euro für zu hoch. Sie sagen, dass wir schon im oberen Drittel bei der Höhe der Ausbildungsvergütung im öffentlichen Dienst liegen und dass aus ihrer Sicht der öffentliche Dienst über Bedarf ausbildet. Wenn die Ausbildungsvergütungen zu hoch seien, bestehe die Gefahr, dass Ausbildungsplätze über Bedarf abgebaut werden. Wir halten diese Argumentation für nicht schlüssig, weil der öffentliche Dienst auch in Zukunft einen erheblichen Fachkräftebedarf haben wird. Insofern geht es eher darum, die Ausbildung attraktiv zu halten. Deswegen sind die 100 Euro auch gerechtfertigt. Und wir werden in den weiteren Gesprächen darauf achten, dass die Übernahme nach erfolgreicher Ausbildung wieder tarifvertraglich gesichert ist.
VER.DI PUBLIK: Ein anderer Punkt. In dieser Tarifrunde geht es 28 Jahre nach der Wiedervereinigung nochmals um das Thema Ost-West-Angleichung. Es geht da um Jahressonderzahlungen. Worum geht es insbesondere?
PIEPER: Wir haben bei den kommunalen Beschäftigten in den neuen Ländern noch eine Sonderregelung Ost, das heißt, die Beschäftigten bekommen 75 Prozent der Jahressonderzahlung, die im Westen gezahlt wird. Bei Bund und Ländern haben wir schon eine Regelung getroffen, die eine Angleichung vorsieht. Wir wollen diese Angleichung auch für die kommunalen Beschäftigten tarifvertraglich absichern. Die Arbeitgeberseite macht geltend, dass das hohe Kosten verursachen würde und das in den Verhandlungen kompensiert werden müsse. Das heißt, sie wünschen sich eine Gegenleistung von unserer Seite. Wir müssen sehen, was sich in den Verhandlungen tut. Wichtig ist vor allen Dingen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen bei den Kommunen im Osten deutlich machen, dass sie hinter der Forderung stehen und diese Tarifrunde aktiv begleiten.
VER.DI PUBLIK: Wie ist die Stimmung denn insgesamt? ver.di hat nach dem ergebnislosen Verlauf der ersten Verhandlungsrunde Warnstreiks angekündigt.
PIEPER: Die Stimmung in den Betrieben ist gut. Sie ist noch nicht auf dem Höhepunkt, aber ich glaube, wenn die Argumentationen der Arbeitgeber bekannt werden, wird sich diese Stimmung noch mehr zu unseren Gunsten verändern. Ich rechne damit, dass die ersten Warnstreiks auch dazu führen werden, dass die Diskussionen in den Betrieben intensiver werden. Nach der zweiten Runde müssen wir dann genau prüfen, wie es weitergeht. Wir erwarten, dass die Arbeitgeber in der zweiten Runde ein verhandlungsfähiges Angebot präsentieren, dann bewerten wir das und entscheiden, wie es weitergeht.
VER.DI PUBLIK: Und dann muss die Streiktätigkeit eventuell noch ausgeweitet werden.
PIEPER: Wenn nötig, sind die Beschäftigten bereit, ihre Aktivitäten zu verstärken und die Streiks weiter auszudehnen.
Interview: Maria Kniesburges
Darum geht's
ver.di fordert für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen 6 Prozent mehr Lohn und Gehalt, mindestens aber 200 Euro pro Monat. Gleichzeitig sollen die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Die Vorschrift, Auszubildende nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung zu übernehmen, will ver.di wieder in Kraft setzen. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll 12 Monate betragen. Der Bund wird aufgefordert, das Verhandlungsergebnis zeit- und wirkungsgleich auf die 344.000 Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten sowie 182.000 Versorgungsempfängerinnen und -empfänger zu übertragen.