Ausgabe 02/2018
Uber überleben
Uber sei die neue Form von Sklaverei schrieb der New Yorker Taxifahrer Douglas Schifter auf Facebook
Douglas Schifter liebte seinen Beruf. Er war stolz auf seine "fünf Millionen Meilen auf der Straße", auf seine "fünf Hurrikane und über 50 Schneestürme" und auf die "mehr als 100 internationalen Prominenten", die er durch New York kutschiert hat. Aber in den letzten Jahren musste er immer länger arbeiten und verdiente doch immer weniger Geld. Zum Schluss reichte es nicht einmal mehr, um seine Wohnung, Autoreparaturen und Arztrechnungen zu bezahlen. Im morgendlichen Berufsverkehr des ersten Montags im Februar fuhr der 61-Jährige in einem schwarzen Mietwagen vor das Tor des Rathauses in Manhattan und schoss sich eine Kugel in den Kopf. In einer letzten Botschaft auf Facebook machte er das App-Unternehmen Uber und die Politiker, die Uber den Weg bereitet haben, für den Niedergang des Taxigewerbes verantwortlich: "Wir leiden", schrieb er: "Dies ist eine neue Sklaverei."
Drei Selbstmorde in drei Monaten
Es war der dritte Selbstmord eines Taxifahrers in New York binnen drei Monaten. Nur wenige Wochen zuvor war ein Kollege von Schifter vom Dach seines Wohnhauses in Harlem gesprungen. Auch er sah keinen anderen Ausweg aus der finanziellen Not. "Schifter hat die Realität beschrieben", sagt die Chefin der Gewerkschaft New York Taxi Workers Alliance (NYTWA), Bhairavi Desai. Sie hat nie so viel Verzweiflung gespürt. An manchen Tagen sitzen weinende Kollegen in ihrem Büro.
Seit 2013 ist die Konkurrenz für die Fahrer der grünen und gelben Taxen und der schwarzen Limousinen jeden Monat härter geworden. Statt der 48.000 Fahrer, die bis dahin in der Stadt unterwegs waren, bemühen sich jetzt mehr als 130.000 Fahrer um eine Kundschaft, deren Zahl sich nur unwesentlich verändert hat. "Die Politiker haben unsere Straßen mit Taxen überschwemmt", schrieb Schifter, "jetzt gibt es nicht mehr genug Arbeit für alle. Das wird Tausende von Familien zerstören."
Fast alle Neuankömmlinge arbeiten für App-Unternehmen wie Uber und Lyft, die auf den spielerischen Fingerstrich übers Smartphone reagieren und ihre Kundschaft für weniger Geld transportieren. Ihr Erfolg beruht auf einer Deregulierung der Branche, die nur für App-Unternehmen gilt: Sie zahlen keine Taxilizenzen und geringere Steuern. Vor allem aber betrachten sie ihre Fahrer als "unabhängige Geschäftspartner", die für ihre gesamten Kosten - inklusive Autokauf und Wartung - komplett selbst verantwortlich sind.
Wie andernorts hat Uber auch seine Ankunft in New York, dem größten Taximarkt der Welt, als "dynamische Störung" und als Verbesserung für die Verbraucher gefeiert. Um die gewünschten Deregulierungen durchzusetzen, jonglierte es mit einer Mischung aus großen Namen und Geld. Es warb prominente Mitarbeiter an, von denen einer - Barack Obamas' ehemaliger Kampagnenchef David Plouffe - direkt aus dem Weißen Haus kam. Andere hatten zuvor in den Aufsichtsbehörden für den Taxiverkehr gearbeitet und die Regeln, die sie nun kippen wollten, teilweise selbst verfasst.
In der Anfangsphase gab Uber zudem mehr Geld für das Lobbying von Politikern aus als die meisten Großkonzerne der USA. Mit dieser Mischung hat Uber nicht nur New York, sondern auch die meisten anderen US-Städte erobert. Wo das nicht ausreichte, wandte das Unternehmen zusätzlichen Druck an. So stoppte es im texanischen Austin jeden Uber-Transport, bis der Gouverneur ein Gesetz unterschrieb, das die gewünschte Deregulierung garantierte.
Am empfindlichsten aber spüren die Fahrer der grünen und gelben Taxen und der schwarzen Limousinen in New York die Veränderung. Nach Angaben der NYTWA ist ihr durchschnittliches Jahreseinkommen von 88.000 Dollar im Jahr 2013 auf jetzt nur noch 69.000 Dollar gesunken. Haben sie Versicherungen und Steuern sowie die Gebühren für die Taxi-Lizenz gezahlt, bleibt den Fahrern davon in der teuersten Stadt der USA nicht genug zum Leben übrig. Um ihre Verluste gering zu halten, arbeiten die Taxifahrer immer länger.
Schifter, der am Anfang seiner Karriere in 40 bis 50 Arbeitsstunden pro Woche genug verdiente, arbeitete am Ende seines Lebens "100 bis 120 Stunden die Woche", schrieb er.
Auch für die Gewerkschaft NYTWA, die seit ihrer Gründung im Jahr 1998 an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Taxifahrer gearbeitet hat, bedeutete die Ankunft der neuen Konkurrenz eine radikale Kursveränderung. Seit fünf Jahren konzentriert sie sich darauf, den Schaden zu begrenzen. Mehrfach organisierte sie auch Demonstrationen und Streiks von Taxifahrern gegen die Deregulierung.
Doch inzwischen spüren auch die Uber-Fahrer, dass sie in eine teuflische Spirale nach unten geraten sind. Als die nationale Transportgewerkschaft Amalgamated Transport Union (ATU) im Jahr 2016 versuchte, Mitglieder unter ihnen zu werben, meldeten binnen Kürze 14.000 Uber-Fahrer in New York Interesse an. Erwartungsgemäß machte Uber klar, dass es die Gewerkschaft nicht anerkennen werde, weil seine Fahrer keine Beschäftigten seien. Und die New Yorker Aufsichtsbehörde Taxi and Limousine Commission (TLC) erklärte sich nicht zuständig dafür, das Beschäftigungsverhältnis zu definieren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Uber bereits die Transportgebühren gekürzt, seinen Fahrern genaue Anweisungen für ihre Arbeit und ihre Kommunikation gegeben und festgelegt, dass bar gezahltes Trinkgeld unerwünscht sei. Für die Fahrer war klar, dass ihre Verdienstmöglichkeiten bei Uber unter dem Mindestlohn lagen. Manche von ihnen arbeiten jetzt für mehrere App-Unternehmen, um ein Einkommen zu erzielen, von dem sie leben können.
Nur für Investoren ist Uber weiter attraktiv. Seit sich der Wert des Unternehmens in der zweistelligen Milliarden-Dollar-Höhe bewegt, sind zahlreiche Wallstreet-Unternehmen eingestiegen. "Uber existiert, um das Einkommen der Fahrer zu senken", ist Chris Townsend von der Gewerkschaft ATU überzeugt, "das ist es, was die Investoren anzieht".
Nächste Katastrophe
Den New Yorker Taxifahrern droht indes die nächste Katastrophe. Und die würde sie arbeitslos machen: selbstfahrende Autos. Uber hat angekündigt, dass es bei den selbstfahrenden Autos wieder Trendsetter sein will. Falls es dazu kommen sollte, könnte das die Kosten für Fahrer gen Null senken.
In seinem Abschiedsbrief hat Douglas Schifter seine Kollegen auch zum Widerstand aufgefordert. Bei einer Mahnwache am New Yorker Rathaus haben Taxifahrer versichert, dass sie seinem Rat folgen wollen. Auch die Vorsitzende der NYTWA will sich nicht geschlagen geben. Bhairavi Desai glaubt, dass die Branche überleben kann. Voraussetzung dafür sind nach ihrer Ansicht drei Dinge: Die Stadt New York muss wieder eine Obergrenze für Taxizulassungen einführen. Sie muss feste Tarife für alle Taxen festlegen - unabhängig davon, ob sie gelb, grün, schwarz oder Uber sind. Und der Anteil der Fahrtkosten, der an die Fahrer geht, muss auf jeden Fall steigen.