Robert Seethaler: Das Feld

Ein alter Mann sitzt auf dem Friedhof auf einer Bank unter einer Birke und denkt über die Toten auf diesem „Feld“ nach. Er kannte viele von ihnen und stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie reden könnten. Wenn ihre Stimmen noch einmal die Gelegenheit bekämen, gehört zu werden. Und dann kommen sie zu Wort: Der Pfarrer, der Bürgermeister, die Blumenverkäuferin, der Autoverkäufer, die Frau mit den vielen Männern ... freundliche und unfreundliche, erfolgreiche und gescheiterte, skrupellose und zaghafte Leute, das ganze Spektrum menschlicher Charaktere mit ihren Geschichten, die von verpassten Chancen, zerplatzten Träumen und Lebenslügen handeln. Einer tauscht die Liebe gegen das Glücksspiel ein, eine bemisst ihr Leben nach der Zahl der Männer, die sie hatte, ein anderer führt das seine wie eine Statistik. Manche verpassen ihre Liebe, andere glauben sich zu lieben und haben sich nie gekannt. Robert Seethaler verknüpft die Geschichten und Schicksale so subtil, wie das Leben eben ist, und findet für jede seiner Figuren einen eigenen Ton. Ein wundervoller Erzähler und ein Meister des Weglassens. Marion Brasch

ROMAN, HANSER VERLAG, 240 S., 22 €


Max Annas: Finsterwalde

Tief im Osten Deutschlands harren tausende Menschen in einem Lager aus. Ihre Hautfarbe ist schwarz. Finsterwalde heißt der verlassene Ort, in dem sich die Eingesperrten zwar frei bewegen dürfen, aber überall an bewachte Zäune stoßen. Marie und einige andere Insassen riskieren trotzdem die Flucht nach Berlin – dort wollen sie drei zurückgelassene schwarze Kinder retten. Max Annas entwirft eine düstere Vision von Deutschlands Zukunft: Nach dem Wahlsieg einer nationalistischen Partei werden alle Bürger ohne deutsche Wurzeln abgeschoben oder zunächst kaserniert. In Kneipen und Restaurants muss Deutsch gesprochen werden. Die EU gibt es nicht mehr. Soldaten, Polizisten und Bürgerwehren machen Jagd auf Fremde. Hochqualifizierte Ausländer dürfen auf Bewährung einreisen, müssen aber einen Überwachungsring am Fuß tragen. Die griechische Ärztin Eleni wagt sich dennoch mit ihren Kindern und ihrem Freund Theo nach Berlin, denn in ihrer Heimat herrscht Chaos. Theo erfährt von den schwarzen Kindern, die Marie sucht, und unterstützt die Frau dabei, die Staatsmacht auszutricksen. Ein unheimlicher, packender Thriller als Warnung, wohin uns Fremdenfeindlichkeit führen kann. Günter Keil

ROWOHLT, 22 €


Myriane Angelowski: Die dunklen Straßen von Köln

In grelles Licht taucht die Kölner Autorin Myriane Angelowksi die dunklen Straßen von Köln – und zwar die, in die man nicht so gerne geht. Armut, Krankheit und Verzweiflung treiben viele ihrer Protagonisten in Obdachlosigkeit, Kriminalität und Gewalt, nach und nach verlieren sie scheinbar unaufhaltsam jeden Halt und jedes Maß in ihrem Kampf ums Überleben. Im fünften Fall mit ihren sympathischen, bodenständigen Kommissarinnen hat die studierte Sozialarbeiterin sich ganz auf Täter und Opfer eingelassen, aus deren jeweiliger Perspektive sie erzählt. So kann sie die sich häufenden menschlichen Katastrophen auf psychologisch nachvollziehbare Weise ausdeuten. Das gelingt ihr faszinierend und so verstörend, dass die Leserin angstvoll mit der jungen Mutter Romy und deren kleinem Sohn auf ihrer verrückten Flucht vor drohender Obdachlosigkeit und den Dämonen einer grausigen Familiengeschichte mitleidet. Bei aller feinen Charakterzeichnung vergisst Angelowski nicht ihr Handwerk der Krimiautorin und spinnt ein äußerst raffiniertes Spurennetz um mehrere Morde, deren Aufklärung spektakulär und letztlich schlüssig gelingt. Ulla Lessmann

EMONS, 331 S., 11,90 €