Im Kampf um die Arbeitszeit

Hackeln sagt man in Österreich, wenn man schuftet oder ackert – 100.000 Österreicher/innen wollen das ganz gewiss nicht 12 Stunden am Tag

Das letzte Juni-Wochenende war für Österreich ereignisreich. In den Salzburger Bergen feierte die Regierungsspitze den Beginn der EU-Ratspräsidentschaft, die das Land in der zweiten Jahreshälfte innehat. Doch während die Koalition aus konservativer Volkspartei (ÖVP) und der rechten Freiheitlichen Partei (FPÖ) ein PR-Ereignis der Sonderklasse vor Alpenkulisse inszenierte, gingen in der Bundeshauptstadt Wien etwa 100.00 Menschen auf die Straße. Sie protestierten gegen eine weitreichende Gesetzesänderung zur Arbeitszeit, die schließlich wenige Tage nach der Großkundgebung mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen wurde.

Österreichischen Unternehmern ist es danach künftig möglich, ihre Beschäftigten täglich bis zu zwölf Stunden sowie bis zu 60 Stunden wöchentlich arbeiten zu lassen. In vielen österreichischen Betrieben sind derart lange Arbeitszeiten schon längst Realität. Allerdings handelte es sich dabei bisher um Ausnahmen, denen die Betriebsräte zustimmen mussten. Nach der Gesetzesnovelle bleibt zwar weiterhin die gesetzliche Normalarbeitszeit von acht Stunden täglich aufrechterhalten, allerdings wird es für Unternehmer künftig viel einfacher sein, die Mitarbeiter über dieses Pensum hinaus arbeiten zu lassen.

Die Regierung zeigte sich von der Großdemonstration unbeeindruckt. Am Donnerstag, den 5. Juli, wurde das Gesetz zum Zwölfstundentag im Parlament beschlossen. Wenige Stunden, bevor der Nationalrat zusammentrat, überraschte die ÖVP-FPÖ-Koalition mit der Ankündigung, dass die neue Regelung bereits am 1. September in Kraft treten werde. Zuvor war stets der Jahresbeginn 2019 als Stichtag genannt worden. Vertreter des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) kritisierten dieses überstürzte Vorgehen, das sie als Reaktion auf die Proteste interpretierten. „Wer glaubt, damit die Aktivitäten der Gewerkschaft zu stoppen, ist am Holzweg“, sagte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian zum früheren Inkrafttreten der Arbeitszeitänderung.

Im Schnellverfahren durchgejagt

Bereits zuvor war es einer der Hauptkritikpunkte der parlamentarischen Opposition an dem Gesetz gewesen, dass die Regierung dieses ohne ausführliche Begutachtung verabschiedete. Bisher war es üblich, bei weitreichenden Beschlüssen Vertreter/innen der betroffenen Bevölkerungsgruppen in die Gesetzgebung einzubinden. Die Arbeitszeitnovelle jedoch wurde per Initiativantrag der Regierung im Schnellverfahren durch die parlamentarischen Gremien gejagt. Das führte auch dazu, dass bis zuletzt unklar war, wie sich die Verlängerung der Arbeitszeit auf bestehende Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen auswirken werde.

Die Arbeitswelt wird schöngeredet

Nur wenige Wochen vor der Verabschiedung des Gesetzes etwa hob nach einer Diskussionssendung im Österreichischen Rundfunk (ORF) eine öffentliche Debatte darüber an, ob es für Überstunden weiterhin Zuschläge geben werde. Während der ORF-Sendung hatten Vertreter von Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer erklärt, dass bei sogenannten Gleitzeitregelungen Überstundenzuschläge künftig wegfallen werden. Nach einem medialen Aufschrei dementierte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) am nächsten Tag die Aussagen der Unternehmervertreter. Diese erklärten daraufhin, man werde die genauen Auswirkungen des neuen Gesetzes prüfen. Ähnlich verhielt es sich mit der Frage, ob Unternehmer künftig jederzeit Überstunden anordnen dürfen. Entsprechende Kritik wiesen Regierungsvertreter mit dem Hinweis darauf zurück, dass Beschäftigte „freiwillig“ länger arbeiten könnten und dies mit den Unternehmern individuell ausmachen würden. Dabei wurde deutlich, dass ÖVP- und FPÖ-Politiker sehr eigenwillige Vorstellungen von den Kräfteverhältnissen in der Arbeitswelt haben. Während einer Debatte im Fernsehsender Puls 4 im Mai wurde etwa FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache von einer Zuschauerin gefragt, wie sie zwölf Stunden Arbeit mit der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder vereinbaren solle. Der FPÖ-Obmann antwortete, dass es „jeder Chef akzeptieren wird“, wenn jemand kurzfristig angeordnete Überstunden ablehnt.

Österreich hat jetzt seine N0-12-Stundentag-Königin

Für die FPÖ könnte die Einführung des Zwölfstundentages zur Zerreißprobe werden. Immerhin hat die rechte Partei sämtliche Wahlen der vergangenen Jahre mit dem Versprechen gewonnen, Politik im Interesse der „kleinen Leute“ machen zu wollen. Bei vielen Wählerinnen und Wählern stößt es auf Unverständnis, dass die Mannschaft um Strache nun ganz offen langjährige Forderungen der Industriellenvereinigung umsetzt. Aber auch in den eigenen Reihen rumort es. So trat Anfang Juli der Tiroler Obmann und stellvertretende Bundesobmann der FPÖ-Gewerkschaftsorganisation „Freiheitliche Arbeitnehmer“, Heribert Mariacher, aus seiner Partei aus. Als Grund nannte er gegenüber der Tiroler Tageszeitung, dass es sich bei der Regierungspolitik um „keine Arbeitnehmerpolitik mehr“ handele, „dafür haben uns die Menschen nicht gewählt“. Mit der neuen Arbeitszeitregelung würden „die Rechte der Betriebsräte ausgehebelt“, so Mariacher.

Die Gewerkschaften geben nicht nach

Genau das dürfte eines der Ziele von ÖVP und FPÖ sein. In Erklärungen zum Zwölfstundentag hieß es immer wieder, dass Betriebsräte und Gewerkschaften die Beschäftigten „bevormunden“ würden. Medien und Opposition wirft die Regierung vor, ein falsches Bild vom Verhältnis zwischen Unternehmern und Beschäftigten zu zeichnen. Diese seien „Partner“, keine Gegner. Auch wenn sich die Regierung von den Protesten gegen die Einführung des Zwölfstundentages bisher unbeeindruckt zeigte, wollen Österreichs Gewerkschaften nicht nachgeben. Bereits am Montag nach der Großdemonstration in Wien versammelten sich tausende Beschäftigte bei den Österreichischen Bundesbahnen zu Betriebsversammlungen. Wenige Stunden später fand auch am steirischen Standort der Voestalpine, dem zweitgrößten Industriebetrieb des Landes, eine Betriebsversammlung statt. Bei dieser Kundgebung sprachen sich die Beschäftigten per Resolution für weitere gewerkschaftliche Maßnahmen gegen die Einführung des Zwölfstundentages aus.