Billig geht der Arsch auf Grundeis: Vor allem junge Leute lockt der Schnäppchenpreis. Osteuropäische Fahrer erhalten davon 2,85 die Stunde

Renate will mit ihrem Mann heute zum ersten Mal per FlixBus fahren – nach Hamburg geht es vom Berliner Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) aus los, und in Anbetracht eines Ticketpreises von 19 Euro pro Person kann da eigentlich nicht viel schief gehen, meint sie. Auch Nils locken die Schnäppchenpreise. Er ist regelmäßiger FlixBus-Nutzer auf der Strecke Berlin – Leipzig und zurück.

Reger Betrieb herrscht an diesem Freitagvormittag am Berliner ZOB. Was auffällt: Die grünen FlixBusse mit den markanten orangefarbenen Pfeilen sind hier in der Überzahl. Wer genau hinschaut, stellt jedoch fest, dass die Busse tatsächlich ganz vielen unterschiedlichen Unternehmen gehören. Deren Firmennamen stehen winzig klein an der Vordertür. Pawel kommt aus einem kleinen polnischen Dorf bei Poznan und spricht sehr gut Deutsch. Was er über seine Arbeitsbedingungen und die Bezahlung berichtet, ist quasi die Vorbedingung für die niedrigen Ticketpreise.

Miese Jobs für osteuropäische Busfahrer

„Ich kriege den polnischen Mindestlohn von umgerechnet 2,85 Euro pro Stunde und bin meistens zwölf Tage am Stück unterwegs. Die Arbeit ist anstrengend, denn ich muss vor der Fahrt das Gepäck verladen, später dann den Bus saubermachen, das Klo leeren. Aber ich finde keinen besseren Job als Berufskraftfahrer. Lkw fahren ist noch schlimmer.“ FlixBus setzt gerne osteuropäische Busunternehmen ein, denn die fahren besonders billig, weil sie in der Regel nur den in Polen oder Tschechien geltenden Mindestlohn zahlen. Und wenn Busfahrer eine Landesgrenze überfahren, dürfen sie – wie Pawel – zwölf Tage hintereinander fahren. Die tägliche Ruhezeit beträgt nur elf statt der üblichen zwölf Stunden und kann überdies zweimal wöchentlich auf neun Stunden verkürzt werden.

Den beiden tschechischen Busfahrern, die im August für FlixBus zwischen Stockholm und Berlin unterwegs waren, dürften die verkürzten Ruhezeiten zum Verhängnis geworden sein. Früh am Morgen kam der in Dresden zugelassene Bus der tschechischen Firma Umbrella ohne Fremdbeteiligung bei Linstow auf der Autobahn A 19 von der Fahrbahn ab und kippte um. Einer der Busfahrer und 15 Fahrgäste wurden verletzt. Die Polizei vermutete, dass Übermüdung die Ursache für diesen Unfall war, denn die beiden Fahrer hatten die lange Strecke ohne echte Ruhepausen zurückgelegt.

„Ein Fahrer fährt viereinhalb Stunden, der andere legt sich in die Schlafkoje – so geht das hin und her“, sagt Klaus Schroeter, Gewerkschaftssekretär und Tarifkoordinator in der ver.di-Bundesfachgruppe Bahnen und Busse. „Richtig ausschlafen kann sich auf die Weise keiner, und dann kommt es leicht mal zum Sekundenschlaf – mit schlimmen Folgen.“ Dass die Europäische Kommission die Ruhezeitenansprüche der Bus- und Lkw-Fahrer noch weiter verringern wollte, sei dabei skandalös, findet Klaus Schroeter. Glücklicherweise habe das EU-Parlament im Juli diesen Vorstoß abgewiesen. Dass er damit endgültig vom Tisch ist, glaubt der ver.di-Mann nicht.

Die FlixBus-Chefs kümmern sich herzlich wenig um die Arbeitsbedingungen der Busfahrer, die ja schließlich nicht bei ihnen, sondern bei einem der vielen kleinen bis mittelgroßen Busunternehmen angestellt sind, die die Fernfahrten im Auftrag von FlixBus erledigen. In einem Interview wiegelte FlixBus-Mitgründer Jochen Engert jedenfalls ab. Es gebe nur wenige osteuropäische Unternehmen und Fahrer, vor allem auf den internationalen Linien. Doch ein Blick auf die Webseite von FlixBus belegt, dass das Unternehmen tatsächlich sehr viele polnische und tschechische Firmen beauftragt.

Ausnahmsweise gute Bedingungen

Wenn die Arbeitsbedingungen in einem der kleinen Busunternehmen tatsächlich mal anständig sind, dann liegt das ausschließlich an der dortigen Betriebskultur, da FlixBus ihnen keine Vorgaben zu Entgelt und sonstigen Arbeitsbedingungen macht. Insofern hat Heiko, ein mittelalter Busfahrer aus dem Ruhrgebiet, der bei der Firma Theo Verhuven aus Xanten angestellt ist, richtig großes Glück gehabt. Er macht auf einem Parkplatz am Rastplatz Avus eine kurze Pause, bevor er Richtung ZOB startet, wo er die FlixBus-Linie Berlin – Düsseldorf und zurück bedient. „Mein Arbeitgeber zahlt übertariflich, und wir haben auch einen Betriebsrat. Wenn etwas schlechter geworden ist, dann hat es mit FlixBus zu tun.“

Früher war Heiko für MeinFernbus unterwegs, ein Unternehmen, das von FlixBus geschluckt wurde. „Gab es Stau auf der Autobahn, dann haben wir das an die Zentrale durchgegeben, die sehr schnell alle anderen Busfahrer informiert hat. Bei FlixBus werden solche Meldungen ignoriert“, sie bringen keinen zusätzlichen Gewinn.

Streikbrecher für Ryanair

FlixBus – seit dem Einstieg ins Bahngeschäft mit FlixTrain nennt sich das Unternehmen FlixMobility – beschäftigt selbst rund 1.000 eigene Mitarbeiter/innen, die sich allein um die Organisation des Fernreiseverkehrs sowie den Verkauf der Tickets kümmern. Die Firma streicht die Fahrkartenpreise ein und erreicht damit einen Gewinnanteil von über 20 Prozent. Die Busunternehmen erhalten festgelegte Gebühren. „FlixBus ist deshalb auch gar kein klassisches Busunternehmen, sondern eher eine Vertriebsplattform“, so Klaus Schroeter von ver.di.

Angesichts des risikoarmen Geschäftsmodells, bei dem Einnahmen und Gewinne sprudeln, ohne dass FlixBus eigene Fahrzeuge und Busfahrer vorhalten muss, kann das Unternehmen sich dann auch mal demonstrativ großzügig geben – wenn es darum geht, einer artverwandten Firma zu helfen. Als am 12. September dieses Jahres ver.di zum ersten Streik der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter beim irischen Billiganbieter Ryanair aufgerufen hatte, spendierte FlixBus kostenlose Busfahrten für gestrandete Fluggäste unter dem Motto: „Dein Flug ist ausgefallen? Keine Sorge, wir helfen dir aus der Patsche!“

Ein ausgefülltes Formular und der hochgeladene Flugschein reichten für eine beliebige Freifahrt im europäischen FlixBus-Liniennetz. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe; wirbt fürs eigene Unternehmen und lässt die Busfahrer zu unfreiwilligen Streikbrechern einer Fluglinie werden, die für besonders miese Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhne bekannt ist. Ob sich allerdings bei einem – höchst unwahrscheinlichen – Streik der Busfahrer Ryanair mit kostenlosen Flugtickets für gestrandete FlixBus-Fahrgäste revanchieren würde, darf dann doch bezweifelt werden.

Flix von A bis Z

Anfang: 2013 gründeten drei junge Münchner Männer FlixBus. Mit dem Ende des Bahnmonopols im Fernreiseverkehr waren Privatanbieter im Fernbus-Linienverkehr zugelassen – und das neue Unternehmen ging mit Niedrigpreisen die Konkurrenz, wie Mein FernBus, Postbus, Berlin Linien Bus und andere, scharf an.

Dominanz: FlixBus dominiert inzwischen das Geschäft, hatte nach Angaben des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) 2017 national einen Marktanteil von 92,6 Prozent. Europaweit verbindet FlixBus nach eigenen Angaben mehr als 1.700 Ziele in 29 Ländern und hat 2017 rund 40 Millionen Fahrgäste von A nach B befördert.

Expansion: Das Unternehmen heißt heute FlixMobility, ist auch in den USA in den Fernbusverkehr eingestiegen und in Deutschland mit FlixTrain auch auf der Schiene zwischen Stuttgart und Berlin unterwegs.

Zentral: Am wirtschaftlichen Erfolg wollen viele teilhaben, etwa die European Bus Holding, die mit 34,21 Prozent den größten Teil am Unternehmen hält und hinter der General Atlantic, Uber, AirBnB und Snapchat stecken. Die drei Gründer sind mit 26,18 Prozent der Anteile an zweiter Stelle. 15,42 Prozent hält der Holtzbrinck-Verlag, die Daimler Mobility Services 5,37 Prozent.

gg