Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.di Berlin

Wohnen ist die neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Zwischen Berlin und München fehlen zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Die neue Wohnungsnot ist politisch gemacht. Die Ungleichheiten, die das Privateigentum an Grund und Boden schafft, werden nicht ausreichend korrigiert. Dafür verantwortlich ist auch eine reformbedürftige Besteuerung des Grundbesitzes. Bereits in der Kaiserzeit besteuerte der deutsche Staat Grundeigentümer. Das ist gut so. Wer Eigentum an Grund und Boden hat, kann ohne eigene Arbeitsleistung Grundrenten und Wertzuwächse abschöpfen. Eigentümer von gut gelegenen Grundstücken können über Nacht reich werden, ohne dafür einen Finger zu rühren. So lassen etwa öffentliche Leistungen – öffentlicher Nahverkehr, Schulen, Theater, Parks und Sportplätze – die Bodenpreise steigen. Diese leistungslosen Vermögenszuwächse rechtfertigen eine gesonderte Besteuerung. Unsere Finanzämter besteuern heute rund 35 Millionen Grundstücke. Die Grundsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle der Kommunen. Sie bringt ihnen jedes Jahr fast 14 Milliarden Euro ein – Tendenz steigend. Die Grundsteuereinnahmen schwanken auch nicht mit der Konjunktur. Mit diesem stabilen Finanzstrom bezahlen Städte und Gemeinden ihre Straßen, Schulen und Schwimmbäder. Dieses Geld ist unverzichtbar.

Die Grundsteuer ist aber sozial ungerecht. Die Steuerlast tragen nicht die Eigentümer. Vermieter können die Abgabe über die Nebenkostenabrechnung auf die Mieter*innen abwälzen. Da einkommensschwache Mieter mehr als 30 Prozent ihrer Einkünfte fürs Wohnen ausgeben, trifft sie die Grundsteuer besonders hart. Doch damit nicht genug. Wenn Finanzbeamte die Grundsteuer berechnen, greifen sie unter anderem auf die Marktwerte der Immobilien zurück. Diese staatlich festgesetzten Werte wurden jedoch im Westen seit 1964 und im Osten seit 1935 nicht mehr angepasst. Die uralten Einheitswerte entsprechen heute in vielen Regionen nicht einmal einem Zehntel der tatsächlichen Marktwerte. Stadtteile, wo in den 60er Jahren niemand freiwillig lebte, sind heute angesagte Szeneviertel. Kurzum: Ohne ein regelmäßiges Update der Marktwerte ist die Grundsteuerlast zu niedrig und ungerecht verteilt.

Folgerichtig urteilten die Bundesverfassungsrichter im April 2018, dass die Grundsteuer gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstößt. Bis Ende nächsten Jahres muss die Politik die Grundsteuer anders berechnen – sonst darf die Steuer nicht mehr erhoben werden. Seitdem streitet Berlin darüber, wie eine verfassungskonforme Grundsteuer aussehen könnte. Finanzminister Olaf Scholz, SPD, will zur Ermittlung der Grundsteuer künftig das Baujahr, den Bodenrichtwert, die Grundstücks- und Wohnfläche sowie die Kaltmiete heranziehen. Dieses sogenannte Ertragswertmodell ist kompliziert. Kritiker bezweifeln, dass alle Immobilien bis 2025 mit vertretbarem Aufwand neu bewertet werden können. Der Deutsche Mieterbund befürchtet, dass Scholz‘ Reformvorschlag ausgerechnet die Mieterinnen stärker belastet, die in teuren Städten leben. Positiv ist jedoch, dass der rote Kassenwart weiterhin die Vermögenswerte einbeziehen will. Immobilienwirtschaft, Grundbesitzer, FDP und Teile der Unionsparteien wollen die Grundsteuer künftig nur noch davon abhängig machen, wieviel Quadratmeter der Einzelne an Grund und Boden besitzt. Dieses Flächenmodell ist zwar einfach umzusetzen, aber sozial ungerecht. Wenn der Boden- und Immobilienwert keine Rolle mehr spielt, zahlt der Villenbesitzer in München-Bogenhausen nicht mehr als die Mieter in einem Chemnitzer Mehrfamilienhaus. Zudem werden Kommunen nicht an Bodenwertsteigerungen beteiligt, die sie durch öffentlichen Leistungen bewirkt haben. Mieterorganisationen und Umweltverbände wollen die Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer überführen. Die explodierenden Bodenpreise sind maßgeblicher Treiber der steigenden Mieten und Immobilienpreise. Eine Bodenwertsteuer würde diese leistungslosen Wertzuwächse abschöpfen, die Spekulation mit brachliegenden Grundstücken eindämmen und den Wohnungsbau ankurbeln.

Eine fortschrittliche Reform der Grundsteuer muss den Wohnungsbau fördern, Einkommen und Gewinne aus steigenden Bodenpreisen abschöpfen, die Steuerlast gerecht verteilen und Einnahmeausfälle der Kommunen vermeiden. Deswegen sollte der Scholz-Vorschlag nachgebessert werden: Notwendig ist ein höherer Steuersatz auf baureife unbebaute Grundstücke. Und die Grundsteuer darf nicht mehr auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden. So kann eine gerechte Besteuerung von Grund und Boden zur Lösung der Wohnungsfrage beitragen.

Die neue Wohnungsnot ist politisch gemacht. Die Ungleichheiten, die das Privateigentum an Grund und Boden schafft, werden nicht ausreichend korrigiert.