von Fanny Schmolke

Tut mir leid, wir haben leider keine Kapazitäten mehr frei – Protest der Sozialarbeiter*innen in Berlin

Berlin – „Kinderschutz braucht Kinderschützer“ steht auf einem der vielen Transparente. Dahinter stehen Sozialarbei-ter*innen des Regionalen Sozialpädago- gischen Dienstes (RSD) des Jugendamtes Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Sie haben sich mit Kolleg*innen aus anderen Ämtern am 20. November 2018 an der Frankfurter Allee unweit des Bezirksamtes versammelt, um für eine bessere personelle Ausstattung, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung zu protestieren. Etwa 150 Beschäftigte sind gekommen, um auf die fatalen Zustände in den örtlichen Jugendämtern aufmerksam zu machen.

Die Personalnot ist enorm, der Krankenstand hoch, die Fluktuation groß. Stellen bleiben unbesetzt. Schlechte Bezahlung und hohe Arbeitsbelastung schre- cken den Nachwuchs ab. In vielen Jugendämtern können die RSD ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen. Angebote für Eltern, Kinder und Jugendliche bei Erziehungsfragen und familiären Problemen gehören dazu. Aber nur noch schlimme Fälle können bearbeitet werden, für präventive Arbeit bleibe kaum noch Zeit, so Anna Sprenger, zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin, die den Protest mit organisiert hat. Der Kinderschutz sei nicht mehr gewährleistet. „Der fängt ja nicht erst an, wenn eine Situation eskaliert und das Kindeswohl akut gefährdet ist“.

Eine Kraft für bis zu 150 Familien zuständig

In Friedrichshain-Kreuzberg sind zurzeit in einer Region von 14 Sozialarbeiter*innen nur noch sieben übrig. „Wenn es nicht akut ist, werden die Kinder und Familien in die Warteschleife geschickt“, sagt Sprenger. Und das nicht nur bildlich. Beim RSD Kreuzberg gibt es seit Monaten nur noch einen eingeschränkten Dienst, erzählt die 32-jährige Sozialarbeiterin Madeleine Griesbaum. Familien, die nicht im Kinderschutz eingeordnet werden, kommen auf eine Warteliste und müssen sich nach acht Wochen wieder melden. Erst dann wird der Fall bearbeitet und der Familie geholfen. Für Griesbaum ist das furchtbar: „Es ist schlimm, den Familien zu sagen, ich verstehe Sie, Sie sind am Ende, aber wir können Ihnen nicht helfen.“ „Man hat das Gefühl, man stopft nur Löcher“, sagt die 61-jährige Sozialarbeiterin Angelika Regulski. „Wir haben diesen Beruf erlernt, weil wir Kinder, Jugendliche und Familien unterstützen wollten, aber durch unsere Situation bedingt kann man ihnen gar nicht gerecht werden.“

Auf die prekäre Situation wird seit Jahren aufmerksam gemacht. Passiert ist bisher wenig. Damit die Jugendämter ihre Aufgaben erfüllen können und die Sozialarbeiter*innen dabei nicht ausbrennen, fordert ver.di eine adäquate personelle Ausstattung und eine sofortige Begrenzung der zu bearbeitenden Fälle auf 28 pro Sozialarbeiter*in. Derzeit gibt es keine Begrenzung, und eine Sozialarbeiterin ist teilweise für bis zu 150 Familien zuständig.„Man muss zu Gerichtsterminen gehen, wo es um maßgebliche Entscheidungen geht, obwohl man die Familie vorher noch kein einziges Mal gesehen hat“, sagt Griesbaum. „Das finde ich einfach schrecklich. Ich will so nicht arbeiten.“ Viele werden krank, brennen aus. „Viele flüchten aus den RSD, suchen sich einen Job, der nicht so anstrengend und belastend ist“, sagt Anna Sprenger. Damit nicht noch mehr Beschäftigte weglaufen, müsse sofort gehandelt werden. Neben einer Fallzahlbegrenzung sei auch eine deutlich bessere Bezahlung erforderlich.

„Man wird heutzutage bedauert, wenn man im Jugendamt arbeitet“, sagt Regulski. „Das ist gesellschaftlich nicht richtig. Wir leisten eine wichtige Arbeit, und das muss einfach wertgeschätzt werden.“ Immerhin: Bewegung scheint es zu geben. Die Senatsverwaltung kündigte an, man wolle die Fallzahl auf 65 Fälle pro Sozialarbeiter*in begrenzen und die Bezahlung um eine Gehaltsstufe anheben.

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