Die Asylgesetzgebung in der Bundesrepublik ist seit Jahren eine weitläufige Baustelle. Geschraubt wird an vielen Ecken, doch ein vernünftiger Plan ist nicht auszumachen. Umso mehr betreibt die Große Koalition auf diesem Feld Symbolpolitik. Ein Beispiel dafür ist das neue, verschärfte Abschiebegesetz, dessen Entwurf das Bundeskabinett Mitte April beschlossen hat und das von Innenminister Horst Seehofer (CSU) als „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beworben wird. Die Union möchte damit potentiellen AfD-Wählern wohl signalisieren, dass sie es ist, die ausreisepflichtigen Zuwanderern Beine macht. In Brandenburg und Sachsen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt, Thüringen folgt am 27. Oktober.

Auf die Zahl der tatsächlich möglichen Abschiebungen wird das Seehofer-Gesetz wenig Einfluss haben. Für eine große Gruppe von Menschen schafft es einen Status der Duldung zweiter Klasse, den „für Personen mit ungeklärter Identität“. Ihnen bleibt dann der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, Sozialleistungen werden gekürzt, werden als Mittel der Bestrafung eingesetzt.

Steigen soll hingegen die Zahl der Abschiebehaftplätze, auch normale Gefängnisse sollen dafür herhalten. Dorthin wandert, wer sich nicht zu seinem Unglück zwingen lassen möchte: keinen Einsatz dabei zeigt, den Behörden seine Abschiebung zu ermöglichen – wenigstens theoretisch. Die Behörden der Herkunftsländer zeigen nämlich wenig Interesse daran, ihre ausgewanderten oder geflohenen Bürger zurückzunehmen. Flüchtlingshilfeorganisationen laufen künftig zudem Gefahr, wegen Beihilfe belangt zu werden, wenn sie Betroffenen Hinweise auf bevorstehende Abschiebungen geben.

Das Gesetz konterkariert einige ebenfalls beschlossene Verbesserungen für Asylsuchende, wie etwa die Anhebung des Taschengeldes und einen breiteren Zugang zu Integrationskursen. Es setzt auf Abschreckung durch Entrechtung, geht an der Realität einer Einwanderungsgesellschaft vorbei. Die Unionsparteien spielen es beim Poker mit dem Koalitionspartner SPD aus, der das ebenfalls umstrittene Fachkräfteeinwanderungsgesetz durch den Bundestag bringen möchte. Dieses zielt auf qualifizierte Ausländer wie Ingenieure, Handwerker oder Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten.

Soziale Gerechtigkeit entscheidend

Die Gewerkschaften stellen die Frage in den Mittelpunkt, wie Migration politisch so gestaltet werden kann, dass nicht Unterbietung bei Löhnen, Beschäftigungsverhältnissen und sozialer Absicherung den Arbeitsmarkt bestimmen. Sie sehen faire Bedingungen für alle – nach dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ – als entscheidend dafür an, dass Integration gelingen kann und der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht weiter zerstört wird. Denn die Ausweitung von prekärer Arbeit und die soziale Deklassierung von Millionen in der Bundesrepublik bieten rechtspopulistischen Kräften Angriffspunkte.

An ein modernes Einwanderungsgesetz stellt ver.di deshalb die Anforderung, über ein Arbeitsmarktgesetz hinauszugehen und umfassende Teilhabe und soziale Gerechtigkeit zu befördern. Unabhängig davon bleiben die humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik, Flüchtenden Asyl zu gewähren, bestehen. Zu den Forderungen der Dienstleistungsgewerkschaft gehört seit Jahren auch ein „Wahlrecht für alle“. In ver.di selbst besitzen Mitglieder mit einer Einwanderungsgeschichte seit 2011 den Status als Personengruppe. Mit eigenen Ausschüssen ist diese auf allen Ebenen der Gewerkschaft vertreten. Der Anteil der Migrantinnen und Migranten an der Mitgliedschaft ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen.

Am letzten Märzwochenende fand in Berlin die dritte Bundeskonferenz der Migrant*innen in ver.di statt. Beraten wurden politische Forderungen und Anträge an den im September anstehenden Bundeskongress der Gewerkschaft in Leipzig. Noch nicht befriedigend ist in den Augen vieler Kolleginnen und Kollegen aus diesem Spektrum die Vielfalt in den Gewerkschaftsstrukturen: „Wenn die Gruppe von Mitgliedern mit Migrationsbezügen wächst, aber in den Gremien unterrepräsentiert ist, dann gefährdet dies die Zukunftsfähigkeit von ver.di.“, mahnte Romin Khan, Referent für Migrationspolitik in der ver.di-Verwaltung. Der Gewerkschaftsvorsitzende, Frank Bsirske, und sein Stellvertreter, Frank Werneke, bekräftigten in ihren Reden während der Veranstaltung, dass dieses Problem weiter angegangen wird. „Kein Wir ohne uns“ gilt nicht nur für alle Berufe, die ver.di vertritt, sondern auch für Menschen jeder Herkunft.

ver.di braucht dich

In einem Flyer stellen die Migrant*innen in ver.di ihre Arbeit gegen Rassismus und ihre Forderungen vor. Er kann bestellt werden unter migration@verdi.de. Eine Handlungshilfe zur Gründung von Migrationsausschüssen und weitere Tipps und Adressen finden sich auf der Seite www.migration.verdi.de

ver.di stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie Migration so gestaltet werden kann, dass nicht Unterbietung bei Löhnen, Beschäftigung und sozialer Absicherung den Arbeitsmarkt bestimmen.