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Residenzbewohnerin zeigt Solidarität mit den PflegekräftenAnette Hergl

"Das ist doch nicht zu fassen", entfährt es Anette Hergl. Die ver.di-Gewerkschaftssekretärin betreut die Beschäftigten der Seniorenresidenz Wohnpark Kranichstein im gleichnamigen Darmstädter Stadtteil. "Jetzt machen die Besitzer eine Kehrtwende. Im Sommer dachten wir noch, jetzt sei alles in trockenen Tüchern."

ver.di hatte seinerzeit mit den Betreibern der Anlage ein Eckpunktepapier vereinbart. Darin ist schon eine fertige Gehaltstabelle mit fairen Löhnen enthalten. Ab Juli sollte sie gelten. Aber: nichts. Dabei hätten die zirka 165 Beschäftigten eine anständige Bezahlung bitter nötig. Stattdessen wollen die Besitzer jetzt eine sogenannte interne Lösung anwenden, sprich: Löhne nach Gutdünken. Das macht die Kolleg*innen wütend. Lisa (Name geändert), 43, arbeitet seit 1999 dort, sie hat als ungelernte Kraft angefangen, sich dann eingearbeitet. "Ich verdiene knapp mehr als 2.000 Euro brutto den Monat. Dafür muss ich 39 Stunden die Woche arbeiten. Der Lohn ist seit 20 Jahren gleich." Er liegt mittlerweile zirka 20 Prozent unter dem Tariflohn der Pflege, haben Anette Hergl und ihre Kolleg*innen ausgerechnet.

Es ist harte körperliche Arbeit. Lisa und ihre Kollegen gehen oft über ihre Belastungsgrenze hinaus – den gut 300 Bewohnern zuliebe: "Wir kommen aus dem Frei, bleiben länger, natürlich unbezahlt, machen Doppelschichten, weil wir immer weniger werden und auch so gut wie keine Kollegen nachkommen." Das Auspressen der Arbeitskraft funktioniert nur, weil die meisten eine starke Bindung an ihren Job haben, sagt Anette Hergl: "Sie fühlen sich verantwortlich für die alten Menschen, sie pflegen sie mit Hingabe und wollen sie natürlich auch nicht im Stich lassen. So herrscht ein hoher moralischer Anspruch, was das Berufsverständnis angeht."

Wie verschüttete Milch

Die Besitzer und Betreiber hatten die Seniorenresidenz vor zirka zwei Jahren von der Stadt gekauft. In die Verhandlungen mit ver.di hatten die Beschäftigten große Hoffnungen gesetzt. Jetzt wollen sie zunächst öffentlich auf die Situation aufmerksam machen. Am 18.Oktober gab es einen ersten Warnstreik mit großer Beteiligung. Weitere Schritte prüft ver.di, sagt Anette Hergl: "Die Herren dürfen doch nicht glauben, sie unterschreiben etwas und können es hinterher wegwischen wie verschüttete Milch." fri