Gewerkschaften sind traditionell Männerbünde. Umso fortschrittlicher, dass ver.di sich bei ihrer Gründung 2001 als erste Gewerkschaft Gender Mainstreaming in die Satzung schrieb und sich für Gremien, Konferenzen und bestimmte hauptamtliche Positionen eine Frauenquote gab. Aber wie sieht es im Alltag aus? Kristin Ideler vom hessischen ver.di-Fachbereich Gemeinden hat das in ihrer Doktorarbeit "Gender Mainstreaming in Gewerkschaften – Eine mikropolitisch inspirierte Untersuchung im Arbeitsalltag der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di" untersucht.

Dazu hat sie zunächst ver.di-Materialien und -Beschlüsse einer Anlayse unterzogen. Anschließend führte sie Interviews mit Hauptamtlichen der Bundes- ebene. Forschungsleitend war die Frage, was ist Anspruch, was steht geschrieben und was ist Wirklichkeit. Die Ergebnisse zeichnen ein widersprüchliches Bild von ver.di, erklärt Kristin Ideler: "ver.di hat sich früh und stark zu Gender Mainstreaming bekannt, ohne einen langfristigen für alle verbindlichen Fahrplan zu haben, wie das in ganz ver.di erreicht werden kann. Fortschrittlich sind die Umsetzung der Quote sowie die Genderkompetenz in einzelnen Bereichen wie der Bildungsarbeit. Gute Beispiele strahlen aber zu wenig in andere Bereiche aus, wo es Genderpolitik nur als Rhetorik gibt, aber keine strukturellen Veränderungen vollzogen wurden. Ich spreche in Bezug auf ver.di daher auch von einer Gender-Kluft."

Die Untersuchungsergebnisse belegen, dass neue Politikkonzepte sowohl von oben entschlossen befördert, als auch von unten akzeptiert und getragen werden müssen, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Bei ver.di ist das leider oft nicht der Fall. So sollte Geschlechtergerechtigkeit tagtäglich ins Handeln von Gewerkschaftssekretär*innen und deren Analysen der betrieblichen Situation mit einfließen.

Es gibt diese genderkompetenten Gewerkschafter*innen in einzelnen Feldern, aber angekommen ist Gender Mainstreaming in vielen Bereichen der Organisation dennoch nicht. Idelers Fazit: "Gerechtigkeit und Diversität sind zentrale Markenzeichen von ver.di, die im Gewerkschaftsalltag eben auch aus einer Geschlechterperspektive umgesetzt werden müssen. Denn ver.di ist in der Mitgliedschaft und bei den Streiks zunehmend weiblicher und diverser, also sollten wir das auch intern bei uns neu denken und leben können." fri

Die ganze Doktorarbeit: archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2019/0217/pdf/dki.pdf

Ein ausführliches Interview über die Dissertation: hessen.verdi.de