München braucht neue, vor allem bezahlbare Wohnungen. ver.di-Mitglieder, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder im Handel arbeiten, kommen am freien Wohnungsmarkt kaum mehr zum Zug oder müssen weit mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen.

Neubauwohnungen auf privaten Grundstücken sind für die breite Mehrheit der Stadtbevölkerung unerschwinglich geworden, weil die Bodenpreise explodiert sind. Sie haben sich in den letzten zehn Jahren in München vervierfacht. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob der Boden dem freien Spiel des Marktes überlassen werden darf, obwohl er unvermehrbar und für das menschliche Dasein unverzichtbar ist. Oder anders gefragt: Stehen leistungslose Bodenwertsteigerungen den Grundeigentümern zu oder sind sie für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, wie es auch die Bayerische Verfassung gebietet?

Sehr konkret wird diese Frage, wenn es um die möglichen großen Neubaugebiete im Norden und Nordosten der Stadt geht. So können im Nordosten Wohnungen für 30.000 Menschen entstehen. Verliefe die Entwicklung dieser Flächen aber ungeregelt, würde die Bodenspekulation weiter angeheizt. Der Preis von einem Hektar Ackerland – ungefähr anderthalb Fußballfelder – könnte von derzeit etwa 125.000 Euro auf etwa 50 Millionen Euro steigen.

Die Stadt hat aber die Möglichkeit, diese Gebiete nach den Regeln der SEM zu entwickeln. SEM steht für "Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme". Bei der SEM wird der Bodenpreis zunächst eingefroren. Sodann kann die Stadt bestimmen, dass auf den Flächen im Entwicklungsgebiet überwiegend bezahlbare Mietwohnungen für breite Schichten entstehen. Aus den Grundstücksverkäufen ließe sich zudem ein Großteil der erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen finanzieren: Schulen, Kitas, Nahverkehrsanschlüsse und Grünflächen.

Um die Entwicklung dieser Gebiete gibt es politischen Streit. Wachstumskritiker wollen neue Bebauungen insgesamt verhindern, andere befürchten Enteignungen der derzeitigen privaten Grundeigentümer. Für die sozialverträgliche Entwicklung dieser Gebiete nach den Regeln der SEM hat sich das Bündnis ProSEM gebildet, dem auch ver.di München und alle anderen Einzelgewerkschaften der Stadt angehören. Gemeinsam mit den weiteren Bündnispartnern aus Sozialorganisationen, Mietervereinen und Genossenschaften wissen sie, dass der Bau bezahlbarer Wohnungen eine wichtige Voraussetzung für eine sozial intakte Stadt ist. Die Grundeigentümer sollen dabei fair behandelt werden und gute Preise für ihre Grundstücke erlösen – aber die Bodenspekulation, die muss unterbunden werden.

Christian Stupka

Bayerische Verfassung, Art. 161

(1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Missbräuche sind abzustellen. (2) Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.