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Als noch die ganze Fassade aus Muschelkalk war – das alte Karstadt am Berliner Hermannplatz von der Hermannstraße aus gesehen. Die Häuser rechts und links haben den Krieg überstanden – im Gegensatz zum KaufhausBildarchiv Foto Marburg

Es ist eine Art Deco-Teekanne von WMF aus den Dreißiger Jahren, die den Blick des alten Mannes im beigen Mantel auf sich zieht. Silbern glänzt der Bauch der Kugelkanne, die grazil auf ihren Füßchen steht. Nicht im 3. Stock von Karstadt am Berliner Hermannplatz, dort wo Haushaltswaren, Geschirr und ein Fissler-Kochtopfset für 99 Euro im Angebot sind, sondern oben im vierten neben dem Fließband für die Geschirrrückgabe des Restaurants. Dort steht die Kanne in einer Vitrine, aufgebahrt wie eine Reliquie und genau an der Stelle, an der früher melancholisch und kaum beachtet ein riesiges Modell des Original-Karstadt-Gebäudes stand, erbaut in den Jahren 1927 bis 1929 von Philipp Schaefer. Ein Traum im Stil des Expressionismus und mit 72.000 Quadratmetern Verkaufsfläche fast so groß wie Macy's in New York. Ob der alte Mann sich noch daran erinnern kann?

Aus schnödem Beton

Das Modell ist ein paar Meter weiter gerückt und nun Teil der Ausstellung "Kiezgestein", die anlässlich des 90. Geburtstags der Filiale mit eher bescheidenen Mitteln den Glanz vergangener Tage beschwören soll. Die alte Pracht im Muschelkalkgewand, dort auf Fotos zu bestaunen, währte ja nur bis 1945, dann wurde das Gebäude von der SS gesprengt, weil im Keller Vorräte lagerten, die nicht der Roten Armee in die Hände fallen sollten. Übrig blieb nur ein Bruchteil des alten Gebäudes, an das sich die bescheideneren, funktionalistischen Wiederaufbauten der Nachkriegszeit schmiegen.

Doch das soll nun anders werden – und die Ausstellung ist bereits ein Teil dieses Vorhabens: Eröffnet wurde sie im September von der Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Timo Herzberg, CEO von SIGNA Real Estate Germany. Der österreichische Immobilienkonzern SIGNA, Eigentümer sowohl der Karstadt- als auch der Kaufhof-Kaufhäuser, will das über die Jahrzehnte gewachsene "Kiezgestein" nämlich abreißen und – nach Art des Berliner Stadtschlosses – die alte Fassade aus schnödem Beton wieder aufziehen. Dahinter dann: 100.000 Quadratmeter Nutzfläche auf neun Etagen, entworfen vom Architekturbüro Chipperfield: ein Hotel, Büros, Wohnungen, eine überdachte Markthalle. Das eigentliche Karstadthaus soll dann nur noch einen Teil der genutzten Fläche ausmachen.

Sagenhafte Pläne eines Konzerns, der sich in den Händen von René Benko befindet. Eines Milliardärs, den der ehemalige FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache während einer heimlich auf Video aufgezeichneten Ibiza-Sause als mutmaßlichen Finanzier seiner rechtspopulistischen Partei geoutet hatte. Und womöglich inspiriert von der 20er-Jahre-Fernsehserie "Babylon Berlin", in der das alte Karstadt in einigen Szenen schon einmal digital simuliert wurde. Die Wirklichkeit am eher rauen, manchmal räudigen Berliner Hermannplatz ist eine andere. Auch wenn hier im Alltag auch nicht alle nüchtern sind, im Gegenteil. Obdachlose trinken ihren Alkohol; ansonsten ist er ein Umschlagplatz für Obst, Gemüse und billige Drogen.

Einmal im Monat zu Karstadt

Widerstand gegen das Projekt hat sich längst gebildet, die "Initiative Hermannplatz – karSTADT ERHALTEN". Extreme Mietsteigerungen haben die ursprünglich migrantisch geprägte Anwohnerschaft rund um Karstadt in den letzten Jahren schon massiv unter Druck gesetzt. Trotzdem ist das Leben hier an der Grenze zwischen den Bezirken Kreuzberg und Neukölln noch immer vielfältig und daher hoch lebendig. Biodeutsche Ureinwohner mit alten Mietverträgen, amerikanische Hipster auf der Durchreise und europäisches Prekariat leben hier zusammen und allesamt treffen sich auf der "arabischen Straße", der Sonnenallee, die auf den Hermannplatz mündet und zu einem Zentrum der syrischen Diaspora gewachsen ist.

Und, natürlich, geht man auch mal zu Karstadt. "So einmal im Monat bin ich hier, unten bei der Post, bei den Schreibwaren, die Lebensmittel sind ja zu teuer – und hier oben war ich in meinem ganzen Leben vielleicht sechs Mal", sagt Joachim Haske, 70, der mit seiner Kappe auf dem Kopf und der schwarzen Kleidung eher in eine der Coffee-Bars in den umgebenden Kiezen passen würde als hierher in das Restaurant von Karstadt, das die Atmosphäre einer gestrandeten Skandinavien-Fähre verströmt – mit dem Speisenangebot einer deutschen Autobahnraststätte. Haske, Mitglied bei den Linken und bei ver.di, engagiert sich in der Initiative Hermannplatz. Er hat auch Material mitgebracht, einen der Flyer zum Beispiel, die er zusammen mit Gerhard V., 68, regelmäßig am Stand der Initiative verteilt. Unten auf der Straße, gleich beim Kartoffelpufferstand an der Hasenheide, der bei einer Umsetzung des Bauvorhabens ganz sicher verschwinden würde, und zwar für immer.

"KEIN ABRISS UND KEIN GIGANTISCHER NEUBAU! KEINE AUFWERTUNG DES HERMANNPLATZES!", so steht es im Flyer geschrieben, in orangenen Großbuchstaben. Alle denkbaren Argumente gegen den Neubau werden aufgelistet: Kritik am historisierenden Fassadenzauber, Umweltbelastung durch den Neubau – vor allem aber die zu erwartenden steigenden Mieten und die Verdrängung der Kleingewerbetreibenden. "Also, da werden die Leute auf jeden Fall aufmerksam, wenn wir ihnen sagen, dass das hier für die nächsten fünf bis zehn Jahre eine Baustelle sein wird. Die meisten unterstützen unseren Protest", sagt Joachim Haske. Daran ändere auch die neue Mietbremse nichts, die die Mieten für die nächsten fünf Jahre einfriert.

Auch Gerhard V. ist zu dem Treffen gekommen, er lebt seit den Sechzigern im oberhalb gelegenen Schillerkiez, Haske seit 1983 im benachbarten Reuterkiez. Gerhard V. legt eine andere Broschüre auf den Tisch, die vom Bezirk entworfene, die den Wandel der Gegend thematisiert. "Jung, bunt und erfolgreich" steht darauf. "Aber wir sind ja eher alt, unbunt und nicht erfolgreich", sagt Gerhard, und nun müssen beide aus vollem Herzen lachen.

Gegenwind gibt es reichlich

Die Initiative Hermannplatz, die rund um die Sprecherin Niloufar Tajeri, einer jungen Architektin mit Migrationshintergrund, und ihre Freunde entstanden ist, versammelt mittlerweile einen Querschnitt jener Menschen, die im Kiez um Karstadt herum wohnen und weniger um seine manchmal ein bisschen aus der Zeit gefallenen Schrulligkeiten fürchten als vielmehr um die dort bestehenden Arbeitsplätze. "Das Geschäft für Tierbedarf ist ja schon längst verschwunden, auch die türkischen Kulturvereine können oft die Miete nicht mehr zahlen. "Sogar die hippen Cafés haben Probleme, denn eigentlich bringen ja nur noch Bars, in denen rund um die Uhr gesoffen wird, genug Geld für die Miete", sagt Gerhard V.. Die beiden älteren Herren stemmen sich gegen diese Entwicklung: "Morgen ist schon wieder Versammlung, und dann muss ich auch wieder raus an den Stand. So lange ich die Kälte aushalte", sagt Joachim Haske.

Gegenwind gibt es schon jetzt reichlich. Nachdem der Berliner Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Vorhaben offiziell abgelehnt hatte, begann SIGNA sich erst richtig ins Zeug zu legen. Die Beratungsfirma von Joschka Fischer, ehemals grüner Vizekanzler, wurde an Bord geholt, um die Öffentlichkeit im Sinne des SIGNA-Konzerns zu beeinflussen – der auf Anfragen von ver.di publik gar nicht erst reagiert. Und auch die Pressestelle von Karstadt hüllt sich in Schweigen auf die Anfrage, wie realistisch denn wohl die Ankündigung sei, den Betrieb und somit auch die Beschäftigung der Mitarbeiter*innen während des Baus aufrechtzuerhalten.

Doch selbst wenn Presseanfragen unbeantwortet bleiben, weiß man bei SIGNA um die Bedeutung von PR, wenn es um Prestigeprojekte geht. Mit einigem Aufwand wurde ein "Dialog am Hermannplatz" eröffnet: mit einer temporären Begegnungsstätte, im Karstadt-Hinterhof aus hellem Holz zusammengedübelt, in der Carrot Cake und Café Latte gereicht werden. Mit einem extra über den Parkplatz verlegten Fahrradweg und ein paar Urban-Gardening-Rabatten soll wohl ökologische Partizipationskultur simuliert, werden, wie oben im 4. Stock die Muschelkalkfassade aus den Zwanzigern.

"Die Investoren haben halt auch dazu gelernt, da wird nicht mehr einfach alles platt gewalzt wie früher", sagt Gerhard V.. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Dialogbox hatte es Proteste gehagelt, "aber das haben die einfach geduldet. Es gibt dafür ja einen Begriff: repressive Toleranz". Auch Joachim Haske lässt sich nicht beirren: "Dialog am Hermannplatz, das würde ja bedeuten, dass die Sache noch nicht entschieden ist – ist sie aber: Die wollen hier ihr Ding machen. Und SIGNA geht es vor allem um die Immobilie und maximalen Gewinn."

Derweil gehen die Auseinandersetzungen weiter. Die oppositionelle CDU ist inzwischen voll in das Thema eingestiegen und fordert den Neubau, der Regierende Bürgermeister Müller (SPD) ist auch dafür – während die Grünen offensichtlich gespalten sind und nur die Linken eindeutig dagegen.

Joachim Haske und Gerhard V. aber schreckt das alles nicht: "Wir sind Rentner, wir haben viel Zeit." Und es geht ja um die Zukunft.