Moka Efti Orchestra: Erstausgabe

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Wer wünscht sich das nicht, einmal in einer Zeitmaschine in die Vergangenheit zu reisen? Nikko Weidemann war es vorbehalten. Und es hat sein Leben verändert. Der Berliner Musiker fühlte sich während der Dreharbeiten zu Babylon Berlin immer wieder zurückversetzt in die zwanziger Jahre – und ist nun mit dem Moka Efti Orchestra, das er für die Erfolgsserie zusammenstellte, so erfolgreich wie nie zuvor.

Aber woher kommt er, der späte Erfolg für den 57-Jährigen? Die Menschen, die in die Konzerte seines Orchesters kommen, sagt Weidemann, sind "oft Menschen, die Angst vor der Welt haben". Denn die Zeiten, die das Moka Efti Orchestra heraufbeschwört, waren den heutigen sehr ähnlich: Viele haben das Gefühl, alles ändere sich, und stürzen sich in den Tanz auf dem Vulkan. Die beiden ersten Staffeln von "Babylon Berlin" spielten mit diesem Gefühl und entführten die Zuschauer mit ihrer üppigen Ausstattung und dramatischen Erzählbögen zurück in die "Goldenen Zwanziger Jahre". Zugleich boten sie eine Fluchtmöglichkeit aus der Realität. Diese Sehnsucht nach Eskapismus befriedigt auch das Orchester, das in der Serie die Hausband des legendären Berliner Tanzcafés Moka Efti darstellt. Während der Wartezeit auf die dritte Staffel, die seit Januar bei einem Streaming-Dienst zu sehen ist und im Herbst in der ARD gesendet wird, hat Weidemanns Projekt ein überaus erfolgreiches Eigenleben entwickelt, geht regelmäßig auf Tour und bringt nun sein sehr gelungenes Debütalbum heraus.

Auf Erstausgabe finden sich viele der Kompositionen, die man bereits aus der Serie kennt. Allen voran "Zu Asche, zu Staub", jenen Hit, den Weidemann, der bei den beiden ersten Babylon Berlin-Staffeln für die auf der Bühne inszenierte Musik verantwortlich zeichnete, "einen Glücksfall"nennt. Und das nicht nur, weil der Hit sehr heutig klingt, obwohl er allein mit den instrumentellen Möglichkeiten der späten Zwanziger eingespielt wurde. Sondern vor allem auch, weil er Weidemann eine späte Prominenz ermöglicht, auf die der Musiker mit der Augenklappe schon längst nicht mehr zu hoffen gewagt hätte.

Denn Weidemann ist kein Unbekannter. In seiner mehr als vier Jahrzehnte währenden Karriere hat er Bands wie "Flucht Nach Vorn", "1. Futurologischer Congress", "Mad Romeo", "Nikko & The Passion Fruit" gegründet, mit und für Berühmtheiten wie Nick Cave, Nena, Rio Reiser, Einstürzende Neubauten und Robbie-Williams-Intimus Guy Chambers gearbeitet und in London und New York am Durchbruch gebastelt. Aber so richtig wollte sich der Erfolg nie einstellen. Weidemann, der 2005 bei einer Auseinandersetzung vor einer Berliner Kneipe sein rechtes Auge verlor, blieb sein Leben lang ein respektierter Musiker mit einem Lehrauftrag an der Uni, Aufträgen für Filmmusik und einem feinen, aber kleinen Publikum für sein zwischen Musik und Erzählbühne changierendes Solo-Projekt "Ich seh' Monster".

Doch dann kam Babylon Berlin, kam das Moka Efti Orchestra, und Nikko Weidemann spielt nun den Soundtrack zum aktuellen Tanz auf dem Vulkan. Thomas Winkler

D, Motor Entertainment/Edel

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Grimes: Miss Anthropocene

Als Claire Elise Boucher mit der Musik begann, war sie 18 Jahre alt. Als die Kanadierin unter dem Künstlernamen Grimes mit gewagtem Electro-Pop erste Preise abräumte, immerhin schon Anfang Zwanzig. Eine Frühreife, die nun einem anderen Wunderkind, Greta Thunberg, unter die Arme greifen will. Ihr fünftes Album soll, so die Absicht der Künstlerin, den Menschen die Angst davor nehmen, sich gegen den Klimawandel zu engagieren. Dazu hat sie ein Konzeptalbum komponiert: Die titelgebende Miss Anthropocene ist eine Personifizierung der gewaltigen Veränderungen, die wir gerade erleben, eine Art negative Superheldin, die Grimes nun durch Songs begleitet, in denen das Fräulein Anthropozän immer neue Arten ihrem Aussterben zuführt. Die Lieder heißen folgerichtig "Delete Forever" oder "You'll Miss Me When I'm Not Around", tanzen aber dann doch ganz fröhlich auf den verblichenen Knochen der ausgestorbenen Arten. Die Rhythmen sind flott, die Melodien eingängig, und das Klangdesign eröffnet, wie man es von Grimes kennt, immer wieder neue aufregende akustische Welten. Ob's Greta gefällt? Deren Fans haben jetzt jedenfalls einen neuen Soundtrack für die nächste FFF-Demo. Thomas Winkler

CD, 4AD/Beggars Group/Indigo

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Wolfgang Haffner: Kind Of Tango

Man muss kein Tango-Fan sein, um sich auf "Kind of Tango" einzulassen. Der Titel sagt ja schon, dass hier einer den Tango nach ganz eigenen Vorstellungen angeht. Dadurch entgeht das erstklassige deutsch-französisch-schwedische Sextett von vornherein der Versuchung, argentinischer sein zu wollen als die "amtlichen" Repräsentanten dieses Musikstils. Aufnahmen, in denen Nicht-Argentinier sich vom Flair dieser Musik und ihrer gestalterischen Möglichkeiten inspirieren lassen und in einer Mischung aus Respekt und Unbefangenheit Tango spielen, haben halt Ihren ganz besonderen Reiz. Genau das ist Haffners Ansatz. Dabei hatte der Schlagzeuger vor vielen Jahren während einer Tour in Buenos Aires sogar die Gelegenheit, gemeinsam mit der Tango-Legende Astor Piazzolla aufzutreten. So finden sich auf Haffners Album neben Eigenkompositionen aus dem Kreis seines Sextetts auch Piazzolla-Klassiker wie "Libertango" und "Close Your Eyes And Listen". Dieser Aufforderung folgt man gern und wird dann mit einem makellos transparenten Sound und einem ausgesprochen entspannten Tango belohnt. Peter Rixen

CD, ACT