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Allein die SchwarzStiftung, finanziert aus Lidl- und Kaufland-Stiftung, hat die Technische Universität München mit 20 Professuren für Betriebswirtschaftslehre bedachtFoto: Ekkehart Bussenius/Laif

Letztes Jahr verkündete Facebook, dass der Konzern mit 7,5 Millionen Dollar ein "Institut für Ethik in der Künstlichen Intelligenz" an der Technischen Universität (TU) in München fördern wird. Viele fragten sich, wie unabhängig an dem neuen Ethik-Institut wohl geforscht werden könne. Das fragt sich auch Christian Kreiß, Professor für Finanzierung und Volkswirtschaft an der Hochschule Aalen. Vergangenen Oktober nahm das Institut seine Arbeit auf. Es soll laut Eigenbeschreibung "Leitlinien liefern für die Identifikation und Beantwortung ethischer Fragen der Künstlichen Intelligenz für Gesellschaft, Industrie und Gesetzgeber".

ver.di publik: Ausgerechnet mit Mitteln von Facebook will man die ethischen Folgen und Auswirkungen von algorithmischen Systemen erforschen?

Dr. Christian Kreiß: Absurd! Facebook, das für einen Ethikbruch nach dem anderen bekannt ist. Am Anfang dachte ich, es sei ein Aprilscherz. Gegen Facebook werden in den USA über 30 Prozesse wegen Ethikverstößen geführt, weil sie Daten zu Zwecken verwenden, die nicht erlaubt sind.

ver.di publik: Die Verantwortlichen beteuern, das Geld sei an keinerlei Auflagen oder Erwartungen gekoppelt. Der geheime Vertrag zwischen Facebook und der TU, der Ende letzten Jahres publik wurde, legt anderes nahe.

Kreiß: Es wird massiv Einfluss genommen. Zum einen steht in diesem geheimen Vertrag ausdrücklich, dass der Institutsdirektor Professor Christoph Lütge sein muss und ohne Zustimmung von Facebook nicht abgesetzt werden darf. Facebook bestimmt also die Personalie. Zum anderen steht im Vertrag, dass die 7,5 Millionen Dollar in fünf Tranchen ausgezahlt werden und die Zahlungen jeden Herbst nach freiem Ermessen von Facebook eingestellt werden können. Da werden sich die Forscher*innen natürlich überlegen, welche Ergebnisse sie veröffentlichen. Bestimmt nicht solche, bei denen Facebook schlecht abschneidet. Unabhängige Forschung sieht anders aus.

ver.di publik: Professor Lütge sagte wiederholt, er sei in keiner Weise Facebook verpflichtet.

Kreiß: Selbstverständlich fühlt er sich in keiner Weise gegängelt, er überholt ja Facebook noch rechts außen an Marktliberalismus. Lütge ist bekannt als ein fundamental markt-apologetischer Ökonomievertreter. Er hat unter anderem die Aussage gemacht, dass in einer Marktwirtschaft "die Bündelung von Macht systematisch verhindert wird". Und genau dieser Mann, der sagt, große Konzerne sind gut, Gewinne sind gut, Ethik brauchen wir nicht, wird von Facebook als Institutsdirektor eingesetzt. Da kommen von allein Dutzende von Studien, die alle marktfreundlich sind und Facebook gesundbeten. Mit diesem Mann hat Facebook den besten Vertriebsmitarbeiter, der noch dazu als Unabhängiger mit dem Hut der TU München auftritt.

ver.di publik: Warum war der Vertrag geheim? Ist das so üblich?

Kreiß: Es wird so gut wie keiner dieser Verträge in Deutschland offengelegt. Unsere Gesetze verhindern jegliche Transparenz. Ein riesiger Fehler. Wir reden ja von staatlichen Hochschulen, die überwiegend von Steuerzahlern finanziert sind, die unabhängig sein und wissenschaftliche Freiheit gewährleisten sollen. Mit Offenlegung solcher Verträge könnte man zumindest Fehlentwicklungen gegensteuern. Aber das wird vom Gesetzgeber systematisch unterdrückt. Meiner Meinung nach ein grandioses Gesetzes- und Parlamentsversagen.

ver.di publik: Die Kooperation von Facebook und TU München ist kein Einzelfall. Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Einfluss von Konzernen auf Forschung. Wie weit verbreitet ist dieses Sponsoring der Wissenschaft?

"Heute ist fast jeder zweite Forschungs-Euro an deutschen Universitäten durch Drittmittel finanziert und damit entweder direkt durch die Industrie oder durch politische Administration in Kollaboration mit der Industrie gesteuert."

Kreiß: Die Drittmittel steigen seit 20 Jahren dramatisch. Heute ist – alle deutschen Hochschulen zusammengenommen – fast jeder zweite Forschungs-Euro an deutschen Universitäten durch Drittmittel finanziert und damit entweder direkt durch die Industrie oder durch politische Administration in Kollaboration mit der Industrie gesteuert.

ver.di publik: Wie gefährlich ist der Einfluss von Konzernen auf die Forschung?

Kreiß: Da möchte ich Otto Waalkes zitieren: "Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Rauchen doch nicht schädlich ist. Gezeichnet Dr. Malboro." Wenn Marlboro eine Studie rausbringt, dass Rauchen unschädlich ist, glaubt das kein Mensch. Deswegen hat die Tabakindustrie 50 Jahre lang Wissenschaftler aus der ganzen Welt geschmiert, um falsche Studien zu veröffentlichen. Das ist sehr gut historisch durchleuchtet. Zugunsten der Konzerngewinne wurden wir Menschen systematisch fehlinformiert und aktiv geschädigt. Der Dieselskandal war genau das Gleiche. Wir haben tausende Todesopfer und kranke Menschen, weil Diesel – anders als von den Konzernen behauptet – durchaus schädlich ist. An diesen Beispielen sieht man: Das betrifft das unmittelbare Leben von Millionen Menschen. Und das geht von Tabak über Kaffee, Diesel, PVC, Chemie und so weiter und so fort. Am schlimmsten ist die Pharmaindustrie.

ver.di publik: Ein Beispiel?

Kreiß: 2013 gab es den Paroxetin-Skandal. Das Pharmaunternehmen GSK GlaxoSmithKline hatte ein Psychopharmakon für Kinder auf den Markt gebracht, von dem sie wussten, dass es nicht nur unwirksam ist, sondern dass es massive negative Nebenwirkungen hat, zum Beispiel Kinder in den Selbstmord treibt. Das ist ein dokumentierter Fall, wo ein Medikament, das aktiv Kinder und Jugendliche schädigt, mit vollem Wissen des Konzerns in ganz Europa tausendfach verschrieben wurde. Ein Beispiel, an dem man sieht, dass Gewinn vor Gesundheit geht.

Man kann die Branchen der Reihe nach durchgehen, überall wird systematisch Wissenschaft gekauft. Dieses Prinzip, sich die Integrität und Unabhängigkeit der Hochschulen zu leihen und dabei Vereinseitigung und Täuschung zu betreiben, schädigt Verbraucher, Umwelt, Arbeitnehmer und Gewerkschaften.

ver.di publik: Inwiefern die Gewerkschaften?

Kreiß: In der Zeitung Die Welt ist kürzlich ein Artikel erschienen: "Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit erleidet schweren Rückschlag". Da wird Bezug genommen auf das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, das sagt, die Lohnkosten seien viel zu hoch in Deutschland. Als Konsequenz wird in dem Artikel gesagt, dass sich Gewerkschaften bei Lohnforderungen zurückhalten müssen. Die Medien sind voll mit solchen Berichten, die sich auf arbeitgebernahe Forschung stützen. Die Kapitalinteressen beherrschen längst das Feld. Und das soll über gezieltes Sponsoring und Installieren von genehmen Professoren noch verstärkt werden. Siehe die Lidl-Professoren an der TU München: Die Schwarz Stiftung, die sich aus Lidl- und Kaufland-Stiftung finanziert, hat der TU 20 BWL-Professuren geschenkt. Oder das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht. Diese wissenschaftliche Einrichtung an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde von Arbeitgeberverbänden mit 55 Millionen Euro finanziert. Die drei Jura-Professoren dort produzieren seit vielen Jahren eine gewerkschaftsfeindliche Studie nach der anderen. Und schreiben sich auf die Fahne, ganz unabhängig zu sein.

ver.di publik: Mit schwerwiegenden Folgen ...

Kreiß: Ja. So wird diese neoliberale, marktverherrlichende Weltanschauung bis in die Universitäten hineingetragen – und von dort in Form von vermeintlich objektiven wissenschaftlichen Studien in die Medien. Und andere Stimmen, die sagen, wir müssen die Kaufkraft stärken, die Mindestlöhne erhöhen, Arbeitnehmerrechte stärken, wofür es genauso Argumente gibt im wissenschaftlichen Diskurs, kommen kaum zu Wort, denn die kriegen die Millionen eben nicht. Diese Drittmittel fließen ständig in die kapitalfreundliche und in die arbeitnehmer-, gewerkschafts-⁠, umwelt- und verbraucherfeindliche Richtung. Von einer "Waffengleichheit", von fairem Argumente-Austausch kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Es geht nicht mehr um die Wahrheit, sondern um politische Einflussnahme, um Beeinflussen der öffentlichen Meinung, um das Durchsetzen der Kapitalmacht und das Schwächen der Gewerkschaften. Das finde ich gefährlich – für die Bürger, die Gesellschaft und letztlich für die Demokratie.

ver.di publik: Wie kann man unabhängige Forschung garantieren?

Kreiß: Die Grundfinanzierung, die von Staatsseite kommt, ist die letzten zwanzig Jahre sehr viel langsamer gewachsen als die Studentenzahlen und die Forschungsausgaben, sodass sich da ein Keil aufgetan hat. In diesen sind die Drittmittel geflossen – von Staatsseite, aber auch von Industrieseite. Dadurch sind die Unis quasi in die Knie gezwungen worden. Wir müssen betteln gehen, um noch forschen zu können. Das hat nichts mehr mit auf Augenhöhe zu tun, da kann die Industrie diktieren. Das zweite Problem sind die vielen befristeten Verträge der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die Junior-Professuren. Diese Befristungspolitik hält die Beschäftigten klein. Wenn Sie wissen, Sie haben immer nur für fünf Jahre einen Vertrag, halten Sie die Klappe. Die systematische Befristung zusammen mit der systematischen Unterfinanzierung führt dazu, dass die Kapitalseite die Oberhand bekommt und zunehmend Einfluss nehmen kann. Für unab- hängige Forschung muss die Grundfinanzierung deutlich angehoben, müssen mehr wissenschaftliche Mitarbeiter entfristet werden.

Christian Kreiß, Gekaufte Forschung: Wissenschaft im Dienst der Konzerne, Europa Verlag, 240 S., 18,99€, ISBN 978-3-944305-72-1