Frau mit Klarheit

Jutta Allmendinger ist überzeugend. Mit 36 Jahren Professorin in München. Mit 47 Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Mit 50 nun Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin. Über eine Frau, die gern etwas bewegt

Jutta Allmendinger

1956 in Mannheim geboren. Studiert Soziologie, Sozialpsychologie und Psychologie. Nach ihrem Diplom 1982 zum ersten Mal in den USA, Studium an der Universität in Madison, Wisconsin. Weitere Aufenthalte in den Vereinigten Staaten folgen: 1987/88 Studium an der Harvard-Universität, 1991/92 an der Harvard Business School, 1996 ein einjähriges Stipendium an der Elite-Uni in Stanford. Zwischenzeitlich arbeitet sie immer wieder in Deutschland. 1992 Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 2003 geht sie als Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nach Nürnberg. Ab 1. April wird sie Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Gleichzeitig lehrt sie an der Berliner Humboldt-Universität. Jutta Allmendinger lebt mit ihrer Familie in Bremen.

"Ich brauche den Kontakt zu jungen Leuten und ihrer Begeisterung." FOTO: KAY MICHALAK

Frau der Klarheit

Als Florian Gerster, damals Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Jutta Allmendinger als Direktorin des hauseigenen Forschungsinstituts einstellte, gab er ihr auf den Weg: "Wenn das nichts wird am IAB, können Sie immer noch Präsidentin eines Landesarbeitsamts werden." Es wurde etwas am Institut für Arbeitmarkt- und Berufsforschung (IAB). Doch als Allmendinger jetzt die Forschung am Institut mit ihrer ruhenden Professur in München vereinbaren wollte, ging es nicht mehr. Und den Gedanken, komplett ans IAB zu wechseln, fand sie in Erinnerung des Gerster-Ausspruchs "nicht cool".

Am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das die 50-Jährige ab dem 1. April dieses Jahres leiten wird, kann sie nun Forschung und Lehre vereinbaren. Sie gibt einen Tag in der Woche an der Berliner Humboldt-Universität Soziologie. "Ich unterrichte gern", sagt sie. "Ich brauche den Kontakt mit jungen Leuten und ihre Begeisterung." Zumindest junge Leute, die sich von ihrer Begeisterung anstecken lassen. Denn Jutta Allmendinger ist eine, die gern etwas bewegt. Sie hat eine unkomplizierte Art, versteht es, auf Menschen zuzugehen. Im IAB hat sie viel bewegt. Sie erhöhte kurzerhand die Frauenquote für Führungspositionen auf 39 Prozent. Und hat es in vier Jahren geschafft, dass das Institut auf einer Linie mit der wissenschaftlichen Konkurrenz wahrgenommen wird.

Erfolg durch Offenheit

Wie sie das geschafft hat? Waren Mitarbeiter entweder einseitig praxis- oder wissenschaftsorientiert, hat sie dem entgegengewirkt. "Wir brauchen Wissenschaftler, die beides beherrschen." Jetzt werden die Forschungsergebnisse für verschiedene Gruppen verständlich und damit interessant gemacht. "Dazu musste man wenig tun. Wir brauchten nur klare Aufgaben und klare Adressaten", sagt sie.

Und sie hat es durch ganz persönlichen Einsatz geschafft. Unermüdlich ist sie unterwegs, hält Vorträge, präsentiert das IAB bei Veranstaltungen, arbeitet in vielen Beiräten und Arbeitskreisen mit. Sie fällt auf, nicht nur durch ihre 1,80 Meter Körpergröße.

Sie mag es, wenn um sie herum Trubel ist. Zum IAB wollte sie, weil sie den Umbruch miterleben und begleiten wollte. Florian Gerster hatte begonnen, die Anstalt umzukrempeln, die Hartz-Reformen bekamen Kontur. Außerdem interessierte sie Arbeitslosigkeit als Thema, weil es "extrem nah am Leben" liegt. Doch sie wollte nicht um jeden Preis. Schon während des Vorstellungsgesprächs hat sie Gerster klar gemacht, dass sie das IAB nicht als Instrument der Bundesanstalt für Arbeit sieht. Themen könne man gern absprechen, Ergebnisse aber nicht.

Überzeugt hat sie auch 1992 bei ihrer Bewerbung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Obwohl die nötigen akademischen Weihen fehlten, obwohl erst 36 Jahre alt, bekam sie die Professur. Die Habilitation holte sie ein Jahr später nach, "weil ich es in meiner flapsigen Art den Kollegen versprochen hatte." Gekostet hat sie die Berufung übrigens 100 Mark. Um die hatte sie mit einem US-amerikanischen Kollegen gewettet, der sie auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht hatte. Sie selbst hatte sich keine Chancen ausgerechnet.

Forscherin aus Neugier. Bereits als Zehnjährige interessierte sie, "warum einige Menschen nebeneinander laufen und andere nicht." Mit sozialer Ungleichheit, Fragen der Bildung und des gesellschaftlichen Miteinanders wird sie sich auch am WZB auseinandersetzen. Dort ist das Themenspektrum weiter gefasst als am IAB. Das motiviert sie.

Zeit für den Sohn

Jutta Allmendinger hofft, dass sie auch wieder mehr Zeit für das eigene Forschen findet. "Mir ist erst zu 50 Prozent klar, was die tagtäglichen Herausforderungen sein werden", sagt sie über ihre neue Arbeit. Zumindest sei es für sie besser, zu glauben, sie hätte die Zeit dazu. Schon vor ihrem offiziellen Amtsantritt ist sie regelmäßig Gast in dem Gebäude in der Nähe des Potsdamer Platzes. Geht sie durch die Gänge, grüßt sie mit einem herzlichen Winken und einem freundlichen Hallo. Sie hat sich auch hier schon bekannt gemacht.

Und sie hat sich vorgenommen, mit anderen Instituten und Universitäten in der Stadt eng zusammenzuarbeiten. "Wir müssen uns doch fragen, wie wir Berlin zu einer sichtbaren Wissenschaftsstadt machen können." Das will sie schaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. "Das wäre doch gelacht."

Ihr Sohn lebt in Bremen, "und so nah dran war ich noch nie". Als Wissenschaftlerin ohne Familie hätte sie 2,5 Tage mehr zum Arbeiten, sagt sie. Aber Arbeit am Wochenende ist tabu. Da geht sie mit dem 13-Jährigen auf den Fußballplatz, sie malen oder machen Musik ("Ich spiele alles mögliche, aber nichts richtig gut"). "Qualifizierte Zeit" nennt sie dies. Eine Zeit, in der sie sich intensiv um ihren Sohn kümmert.

Jeden Abend telefoniert sie um 21 Uhr mit ihm. Dafür müssen Gesprächspartner warten, auch wenn es Politiker sind. "Dann denke ich einerseits ,Wie unhöflich, dass die jetzt mit dem Essen warten müssen'. Aber muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich mit meinem Sohn telefoniere?"