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Film-Still aus „Berlin Alexanderplatz“Foto: eOne Germany

Berlin Alexanderplatz

Es ist diese Stimme, die immer wieder sagt, dass Francis doch eigentlich nur ein guter Mensch werden will und doch immer wieder scheitert. Sie sagt das schon am Anfang des Films, nachdem Francis die Flucht von Afrika nach Europa gerade so überlebt, aber seine Freundin Ida nach dem Kentern des Bootes in den Tiefen des Mittelmeeres verliert. "Dies ist die Geschichte von Francis B., meinem Francis. Ihr werdet sehen, wie Francis nach Berlin kommt, wie er dreimal strauchelt und fällt. Wie er immer wieder aufsteht", sagt dann diese Stimme, eine angenehme, irgendwie verführerische Stimme, die sich erst viel später als die Stimme von Mieze entpuppen wird und noch durch Francis kaputtes Leben führen wird, wenn sie wie Ida im Strudel seines wahnsinnigen Lebens längst ums Leben gekommen ist.

Ida, Mieze, es sind zwei der entscheidenden Schlüsselfiguren in Alfred Döblins 20er-Jahre-Epos Berlin Alexanderplatz, in dem der gerade aus dem Gefängnis entlassene Franz Biberkopf immer wieder Anlauf auf ein anständiges Leben nimmt. Der in Berlin lebende Filmemacher Burhan Qurbani hat sich nicht gescheut, Döblins großen Berlin-Roman, seinen Franz Biberkopf, seine Ida, die Mieze und Biberkopfs Gegenspieler Reinhold in die Gegenwart zu holen. Aus Franz den schwarzen Flüchtling Francis zu machen und aus Reinhold einen linkischen, ständig auf Koks hyperaktiven Mittelkriminellen, der Francis ein ums andere Mal mit in den Abgrund reißt. Qurbani muss auch nicht den Vergleich mit Rainer Werner Fassbinders gleichnamiger Fernsehserie scheuen, der Döblin 1980 verfilmt hat. Qurbani hat aus Döblins Roman den Kern, aus dem alles gewachsen ist, gepult, die universelle Geschichte über das Scheitern eines Menschen, der das Gute will und doch über das Böse stolpert.

Der Filmemacher lässt Francis unter anderem bei Dealern in der Berliner Hasenheide landen, in einem Park, der als Drogenumschlagplatz bekannt ist, und auf einer Großbaustelle in Berlins Mitte. Wie Döblin zu seiner Zeit legt Qurbani die Missstände unserer gegenwärtigen Gesellschaft offen. Und das mit teils gemäldeartig inszenierten Bildern von großer Wucht, mit Hauptdarsteller*innen, die in ihren Rollen aufgehen: Welket Bungué ist Francis, Albrecht Schuch Reinhold und Jella Haase Mieze. Sie geben ihren Figuren eine Stimme im doppelten Sinn. Großes Kino, große Kunst. Petra Welzel

D 2020, R: B. Qurbani, D: Bungué, Haase, Schuch, 183 Minuten. Im Rätsel verlosen wir 5x2 Freikarten zum Kinostart nach der Corona-Krise.

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Vergiftete Wahrheit

Es beginnt wie ein Horrorfilm. West Vir-ginia, 1998. Qualvoll verenden die Kühe von Farmer Wilbur Tennant reihenweise mit bösartigen Tumoren. Schon die Kälber werden mit Verstümmelungen geboren. Der Bauer weiß sich nicht mehr zu helfen. Doch er hat einen Verdacht. Denn das Werk des Chemiekonzerns DuPont in Pakersburg entsorgt seit Jahren heimlich seinen flüssigen Giftmüll in Bächen und Seen. Als größter Arbeitgeber der Region scheint der Chemieriese unangreifbar. Zusammen mit seinem Bruder Jim fährt er deshalb nach Cincinnati. Die beiden wagen sich in die Welt glitzernder Hochhausfassaden, in der die renommierte Anwaltskanzlei Taft Stetti-nius & Hollister residiert. Stur verlangen sie nach Wirtschaftsanwalt Rob Billiot. Der spielte einst als Kind auf ihrem Bauernhof. Und tatsächlich, gegen den Willen seiner Kollegen macht sich der unerschrockene Jurist an die Arbeit. DuPont schüttet ihn mit Akten zu. Der skrupellose Konzern hofft, dass Billiot daran scheitert. Doch er wird fündig. Immer wieder fällt ihm die Formel "PFOA" auf, eine giftige Chemikalie zur Herstellung von DuPonts lukrativstem Klassiker: Teflon. Ein Kampf David gegen Goliath beginnt. Der echte Robert Billiot wurde für seine 20-jährigen Recherchen mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Regisseur Todd Haynes macht daraus einen packenden Wirtschaftsthriller. Wissenschaftler*innen gehen übrigens davon aus, dass mittlerweile so gut wie jeder Mensch den krebserregenden Schadstoff PFOA in seinem Körper hat. Es baut sich nicht ab. Und das ist der eigentliche Skandal. Luitgard Koch

USA 2019, R: Todd Haynes, D: A. Hathaway, M. Ruffalo, W. Jackson Harper, B. Pullman, T. Robbins, M. Winningham, B.Camp, V. Garber, 127 Min., Kinostart wegen Corona verschoben

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Die Unbeugsamen

Sich als Frau im bundesdeutschen Parlament der 1950er und 60er Jahre durch-zusetzen, bedurfte schon eines dicken Schildes, um unqualifizierte Bemerkungen männlicher Abgeordneter abprallen zu lassen und um Griffe, etwa an das Gesäß, abwehren zu können. Und es bedurfte auch einer gehörigen Portion Gelassenheit, das frauenmissachtende und oftmals respektlose Verhalten der Männer über viele Jahre auszuhalten. Aber es hat sie gegeben, diese Frauen. Frauen wie Renate Schmidt von der SPD, die als die Rote Renate in die Bundestagsgeschichte eingegangen ist. Oder Rita Süßmuth von der CDU, mit die erste ernstzunehmende Frauenrechtlerin überhaupt in ihrer Partei. Ihnen beiden und einigen mehr überlässt der Filmemacher und Autor Torsten Körner das Wort, das den Frauen in der Politik bis heute noch viel zu oft abgeschnitten wird. Aber wie heißt es doch so richtig: Die Politik ist viel zu wichtig, als dass man sie den Männern überlassen sollte. Petra Welzel

D 2020, R: Torsten Körner, Dokumentation mit Renate Schmidt, Rita Süssmuth, u.a., Kinostart geplant für den 7.5.2020

Das Buch zum Film Seite 11