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Auch die Uniklinik in Leipzig ist teils kaputtgespartFoto: Hendrik Schmidt/dpa

Leipzig – Eigentlich kennt die Pflege keine sozialen Unterschiede – nur Wirtschaftssysteme und Politik zementieren diese: qualitative Unterschiede in der Versorgung (gesetzlich versus privat Versicherte), aber auch Unterschiede in der Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Seit Jahren fordern Pflegekräfte und Krankenhausbeschäftigte zusammen mit ver.di bessere Personalschlüssel, bessere Gehälter, sowie eine allgemeine Aufwertung ihrer Berufe. Teilerfolge gibt es bereits: Tarifverträge zur Entlastung an verschiedenen Krankenhäusern oder die teilweise Tarifierung von schulischen Ausbildungen im Gesundheitswesen, die dadurch erstmalig eine Vergütung erhalten. Doch jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, offenbaren sich die schwerwiegenden Folgen kaputtgesparter und zunehmend privatisierter Gesundheitssysteme in aller Deutlichkeit – und das weltweit.

Sander: Claudia, Christian, wie hat sich die Corona-Krise in eurem Arbeitsalltag ausgewirkt?

Claudia: Im Patientenkontakt sind wir nun stets dazu angehalten, einen Mundschutz aufzusetzen. Das nervt ganz schön. Ich bekomme Kopfschmerzen, werde müde, bin schneller außer Atem. Zudem wurde eine Station zur Corona-Station umgestaltet, wo die positiv Getesteten als auch die Verdachtsfälle eingeliefert werden. Auf allen Stationen muss nun auch genau erfasst werden, wie viele Patient*innen, Pflegekräfte und Auszubildende anwesend sind.

Christian: Es herrscht generelles Besuchsverbot. Für Patient*innen ist das eine sehr belastende Situation. Man muss sich nun mehr Zeit für Gespräche mit ihnen nehmen, um sie besser durch diese Situation zu begleiten.

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Sander, 31, ist als Organizer an verschiedenen Krankenhäusern in Deutschland mit ver.di und den Beschäftigten für die Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen unterwegs – zuletzt am Universitätsklinikum Halle. Derzeit etabliert er zusammen mit ver.di-Mitgliedern an über 17 Standorten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen das "Netzwerk aktiver Krankenhausbeschäftigter"Foto: privat

Christian: Als die Corona-Station geschaffen wurde, wurden die Pflegekräfte gefragt, ob sie dort arbeiten möchten. Extrem viele haben sich freiwillig gemeldet. Das fand ich sehr cool. Und auch ich als Springer wurde immer sehr gut in die verschiedenen Teams integriert, wenn ich die Station gewechselt habe. Das hat bei mir ein solidarisches Gefühl hinterlassen.

Claudia: Das Team ist spürbar zusammengerückt – in der jetzigen Zeit natürlich nur symbolisch. Uns wird derzeit viel Dank entgegengebracht. Andere Kolleg*innen denken sich aber: Jetzt verlangen Politik und Gesellschaft von uns, dass wir durchhalten sollen. Was soll das ganze Geklatsche? In den Jahren zuvor hat das auch niemanden interessiert. Und: Die Stimmung ist von Kolleg*innen zu Kolleg*innen unterschiedlich: Einige gehören selbst zur Risikogruppe oder haben Familienangehörige, die dazu gehören. Das sorgt schon für Bedenken und zusätzlichen Stress.

Sander: Was nervt in der jetzigen Situation am meisten? Was ist gut?

Christian: Ich finde, die Corona-Krise zeigt, wie wichtig die Arbeit am Menschen ist. Ich bekomme das auch im Privaten zu spüren: Der Zuspruch für meine berufliche Tätigkeit baut mich auf. Das Problem ist aber immer, dass man seine Arbeit im Krankenhaus nicht so durchführen kann, wie man es gelernt hat, was vor allem am Personalmangel liegt, und das nervt ganz schön. Ich möchte in meiner Arbeit gern auch Zeit haben, um mit den Patient*innen mal ein Wort zu wechseln, und nicht immer nur wie am Fließband zu hantieren.

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Claudia, 26, ist seit 2016 fertig ausgebildete Krankenpflegerin und arbeitet am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) in der Angiologie. Claudia ist unter anderem Mitglied im Vorstand der ver.di Jugend Leipzig-NordsachsenFoto: privat

Sander: Wie ist die Stimmung unter den Kolleg*innen?

Sander: Seht ihr Chancen für euer Arbeitsumfeld, die diese Krise mit sich bringt?

Claudia: Meiner Meinung nach hat diese Situation mehr Druck erzeugt, als ein Streik es je hätte erreichen können. Wir sind eine Berufsgruppe, die einen nennenswerten Anteil an der Patientenversorgung ausmacht. Es war auch vorher schon absehbar, dass das Pensum nicht gestemmt werden konnte. Ich erhoffe mir eigentlich ein Einsehen in der Politik, dass es ganz dringend mehr von uns geben muss!

Christian: Die Forderungen, die die Pflegekräfte aufstellen, sind ja schon seit Jahren hörbar. All die Jahre ist aber nichts passiert. Jetzt haben wir die Krise – deren Höhepunkt wohl spätestens dann erreicht war, als die Abgeordneten im Bundestag aufgestanden sind und dafür geklatscht haben. Applaus von denen, die auch dafür verantwortlich sind, dass die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem jahrelang kaputtgespart wurden. Die Krise zeigt, welche Folgen das hat. Das ist jetzt aber auch eine Chance, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Im Moment ist uns die Solidarität aus der Bevölkerung gewiss. Diese Chance müssen wir nutzen.

Sander: Welche Rolle spielt ver.di ganz konkret in Zeiten der Krise, und auch sonst?

Christian: Wenn man in der Gewerkschaft ist, fühlt man sich nicht alleingelassen. Die Gewerkschaft macht Mut und Hoffnung, dass man gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen kann. Ich finde, wir müssen noch mehr Kolleg*innen damit erreichen, und ein Gefühl dafür bekommen, dass wir uns organisieren müssen, dass wir das Heft selbst in die Hand nehmen müssen, dass wir gemeinsam kämpfen müssen, und nicht nur hoffen, dass die Politik das für uns regelt. Dafür ist die Gewerkschaft der beste Ort. Und: ver.di organisiert nicht nur eine Berufsgruppe, zum Beispiel die Pflegekräfte, sondern alle Beschäftigten in einem Krankenhaus, also auch Servicekräfte, das Reinigungspersonal, oder die IT. Das finde ich total wichtig, dass wir hier Solidarität schaffen, und uns nicht gegenseitig ausspielen lassen.

Claudia: Unser Tarifvertrag am Haus ist durchaus vorzeigbar. Den hat ver.di für uns verhandelt. Außerdem erhalten die Kolleg*innen in der Langzeitpflege eine steuerfreie Einmalzahlung von 1.500 Euro. Auch das hat ver.di für uns verhandelt. Darüber hinaus setzt sich ver.di aber auch dafür ein, dass die Kolleg*innen nicht nur ein Dankeschön bekommen oder ein Frühstück oder eine schöne Postkarte, sondern dass ihre Leistung auch finanziell gewürdigt wird. Das hat ver.di schon vor der Krise getan und hat damit alles richtig gemacht. Nun sind es die Kolleg*innen hier am UKL, die einsehen müssen, dass es langfristig Sinn macht, sich zu verbünden, sich zu organisieren – auch sie sind ver.di.

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Christian, 28, arbeitet seit Dezember als Springer im "Pool" am UKLFoto: privat

Sander: Wie sollte die Politik mit der Situation der Pflege oder den Beschäftigten in den Krankenhäusern ganz allgemein umgehen?

Claudia: Die Politik hat deutlich zu spät gehandelt. Ich finde es zum Beispiel skandalös, dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass uns nicht ausreichend Schutzmittel wie Mundschutz, Desinfektionsmittel etc. zur Verfügung standen. So weit hätte es gar nicht erst kommen dürfen. Wir haben uns mit Mülltüten Schutzkleidung gebastelt, um überhaupt zum Patienten gehen zu können.

Christian: Länder wie Spanien oder Italien sind noch massiver von Privatisierung und Unterfinanzierung betroffen als Deutschland. Das zeigt sich jetzt auch in der Krise. Und beweist, dass eine ordentliche Vorbereitung auf solche Notsituationen nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in Europa versäumt wurde. Die Krise wartet nicht auf morgen.

Sander: Wenn ihr die Möglichkeit hättet, drei Dinge im deutschen Gesundheitswesen zu verändern: Welche wären das?

Christian: Die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem allgemein sollten in öffentlicher Hand sein. Im Gesundheitswesen haben Marktlogiken oder Profitmaximierung nichts verloren. Krankenhäuser sind keine Geldvermehrungsanstalten, sondern sie sind dafür da, dass Menschen gesundheitlich und nach ihren Bedürfnissen versorgt werden. Außerdem wünsche ich mir, dass alle Beschäftigten ordentliche Arbeitsbedingungen haben und ordentlich bezahlt werden. Damit meine ich also nicht nur die Krankenpfleger*innen, sondern auch das Reinigungspersonal, Servicekräfte, das Personal in den Pflegeheimen oder in der ambulanten Pflege. Und ich möchte, dass die "Zwei-Klassen-Medizin" beendet wird. Es soll keine Privatversicherung mehr geben, sondern den Anspruch, dass alle Menschen ordentlich versorgt werden.

Claudia: Ich würde mir auch wünschen, dass die Pflege nicht nur als Wirtschaftszweig gesehen wird, sondern die Menschen wieder als Menschen gesehen werden. Ich wünsche mir auch, die Beitragsbemessungsgrenzen so zu verändern, dass die Geringverdiener spürbar entlastet werden, und reiche Menschen, die das nicht so deutlich spüren, einen höheren Beitrag zum Gesundheitssystem leisten. Das würde dann auch die Möglichkeit bieten, die Personalaufstockung zu finanzieren. Es braucht einfach mehr Pflegepersonal – der Fachkräftemangel ist derzeit eine der wichtigsten Ursachen für viele Probleme.

Sander: Fachkräftemangel in der Pflege ist ja seit Jahren ein Problem. Wie kann er überwunden werden?

Christian: Ein sehr wichtiger Punkt ist, den Beruf attraktiver zu machen. Das heißt, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, aber auch mehr Mitspracherecht, zum Beispiel in Bezug auf den Dienstplan. Pflege findet 24/7 statt – sie muss an Wochenenden oder an Feiertagen organisiert sein, wenn andere Leute frei haben. Vor allem kann es nicht sein, dass man manchmal drei oder sogar vier Wochenenden am Stück arbeitet. Auch solche kleinen Änderungen tragen dazu bei, dass der Beruf attraktiver wird. Der Pflegeberuf kann unglaublich viel Spaß machen und sehr erfüllend sein.