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ver.di Chemnitz lud ins Autokino ein, 460 Beschäftigte aus Handel, Stadtverwaltung, Gesundheits-, Sozial- und Erziehungsdiensten sind gekommenFoto: Benjamin Jenak

Abends mal wieder raus, entspannen, den Kopf frei bekommen: Erfüllt hat sich der Wunsch für rund 460 Beschäftigte aus sogenannten systemrelevanten Berufen. Im Mai sind sie von ver.di ins Autokino eingeladen worden und amüsierten sich über "Die Känguru-Chroniken". In dem Film geht es um ein kom-munistisches Känguru und seinen Mit- bewohner, die gemeinsam gegen einen rechtspopulistischen Immobilienhai ankämpfen, um ihre Wohngemeinschaft zu retten. "Ein bisschen Kapitalismuskritik", sagt Dominique Amboss und lacht. "Das passt doch gerade ziemlich gut."

Amboss ist freigestellte Betriebsrätin am Chemnitzer Klinikum. Sie nutzt den Abend unter anderem für ein Schwätzchen mit ihrem Kollegen Marko Schubert, der sich als Intensivpfleger um schwerkranke Menschen kümmert. An ihrer Klinik hätten sie bisher Glück gehabt, erzählt Amboss, Chemnitz und Sachsen seien bisher von einem schweren Verlauf der Pandemie verschont geblieben. Auch hier habe man wochenlang Betten für Corona-Patienten freigehalten, genutzt werden mussten nur wenige. "Einige Kolleginnen und Kollegen konnten deshalb endlich mal Überstunden abbauen."

Gut so, findet Robin Rottloff. Der ver.di-Gewerkschaftssekretär weiß, wie überlastet das Pflegepersonal in Kliniken und Altenheimen seit Jahren ist. Er hatte die Idee mit dem Abend im Autokino: "Wir wollten einfach ein bisschen dafür sorgen, dass es neben dem ganzen Stress auch schöne Momente gibt." Eingeladen hat er neben vielen Pflegekräften auch Beschäftigte aus Kitas, Horten, dem Handel und der Stadtverwaltung – der Tag der Pflege am 12. Mai sei dafür eine ideale Gelegenheit gewesen. Dass man damit noch die Chemnitzer Kinos unterstützen konnte, die das Autokino in der Zeit der Zwangsschließungen zuwege gebracht haben, um wenigstens ein paar Einnahmen zu haben: umso besser.

Überfälliger Dank

Rottloff ist froh, dass die Corona-Pandemie die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit wenigstens ein bisschen auf die Angehörigen der Berufe gerichtet hat, die auch unter normalen Umständen unter häufig schlechten Bedingungen den Betrieb am Laufen halten und dafür nur selten Dank bekommen. "Das ist längst überfällig."

Markus Dietl war "ziemlich überrascht" über die Einladung. Er arbeitet als Techniker für eine große Supermarktkette und ist unter anderem dafür zuständig, dass die Kassen und Karten- lesegeräte funktionieren. "Wir erleben gerade ganz viele verschiedene Reaktionen: Die einen bringen uns Kaffee und Blümchen, um sich zu bedanken, die anderen lassen ihren Frust raus." Mit dem Begriff "systemrelevant" habe er dennoch seine Schwierigkeiten: "Die Leute, die die Reinigung erledigen oder die LKW fahren, sind genauso wichtig, damit alles am Laufen bleibt." Die wirklichen Helden seien für ihn aktuell Pflegekräfte: "Die machen ihren Job, obwohl sie dabei ihre eigene Gesundheit riskieren."

Robin Rottloff will diese Unterscheidung nicht machen. "Kein Beruf, keine Tätigkeit ist irrelevant", sagt er. Die Krise mache nur gerade besonders sichtbar, wie sehr es auf die Beschäftigten in den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Rettungsdiensten ankomme. Deshalb sammelt ver.di auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Unterschriften, um den Forderungen für die Gesundheitsberufe mehr Druck verleihen zu können. "Wir fordern einen Corona-Bonus für alle Angehörigen der Gesundheits- und Sozialberufe; ihn sollen auch Reinigungs-, Küchen- und Servicekräfte bekommen. Wir wollen eine vernünftige Schutzausrüstung für alle, auch außerhalb der Pandemie. Und wir müssen endlich weg von der Profitorientierung im Gesundheitswesen", sagt Rottloff. Die nämlich sorge seit Jahren dafür, dass viele Beschäftigte extrem überlastet seien.

Dominique Amboss und Marko Schubert stimmen ihm zu. Es bleibe noch viel zu tun, sagt Schubert. Dass das Thema Pflege gerade medial so groß gespielt werde, sei schön und gut. Dennoch ist Schubert kritisch. "Die Prämie, die es für das Pflegepersonal geben soll, kommt mir schon ein bisschen vor wie Schweigegeld, damit wir dann wieder den Mund halten."

Dass es viel zu wenig Personal gebe und die Arbeit nicht angemessen bezahlt werde, "das ist schon seit Jahren bekannt". Zwar sei jetzt etwa mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz und Personaluntergrenzen Wichtiges auf den Weg gebracht worden, "aber das wird immer noch nicht konsequent gemacht, da braucht es viel mehr", sagt der Pfleger. Es sei gut, dass Corona die Pflege in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt habe, ergänzt seine Kollegin, "aber es wäre auch wichtig, dass die nicht wieder nachlässt". Grundsätzlich gehöre die Versorgung kranker Menschen nicht in die Hände von Aktiengesellschaften oder privaten Unternehmen, finden die beiden – diese Aufgabe sei Sache des Staates.

Immenser Druck

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Einer von 460 im Kino: Markus Dietl, Techniker einer SupermarktketteFoto: Benjamin Jenak

Doch auch außerhalb des Gesundheitssektors geraten viele Beschäftigte gerade an ihre Grenzen. Gewerkschaftssekretär Rottloff sagt: "Wir wissen aus dem Handel, dass im Moment extrem viele Überstunden angehäuft und Arbeitszeitgrenzen regelmäßig überschritten werden." Belastet seien zudem insbesondere Mitarbeitende in Kindertagesstätten, Horten und Schulen. Aufgrund der Hygienevorschriften sei der Druck immens gestiegen. "Viele Beschäftigte beklagen, dass man ihnen überhaupt keine Zeit eingeräumt habe, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen und vorzubereiten. Und der Personalschlüssel in den sächsischen Kitas war schon vor Corona einer der schlechtesten bundesweit – mit der übereilten Wiedereröffnung seien viele wichtige Fragen in Sachen Gesundheitsschutz ungeklärt geblieben, so seine Kritik.

Die allermeisten der Eingeladenen hätten sich sehr über den Abend im Autokino gefreut, erzählt Robin Rottloff, "wir haben viel Feedback bekommen, dass das wirklich als Zeichen der Wertschätzung wahrgenommen wurde. Viele haben uns gesagt, dass sie es gut finden, dass die systemrelevanten Berufe jetzt echt mal wahrgenommen werden."

Diskussion im Internet

Pflege: ver.di hat am 12. Mai, dem Tag der Pfleg, ein Townhall-Meeting im Internet abgehalten. Vom heimischen Rechner aus konnten Berichte von drei Kolleginnen aus den Bereichen Kranken- und Altenpflege sowie Labor verfolgt werden. Hunderte von Teilnehmenden redeten Tacheles im Chat, sodass ein breites Bild über die Situation der Beschäftigten in der Pflege entstand. Dabei wurde schnell deutlich, dass sie nicht nur Applaus erwarten, sondern auch grundlegende Verbesserungen. Derzeit bestimmen geringe Bezahlung und Überlastung den Arbeitsalltag. Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke betonte die Notwendigkeit eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für die Altenpflege. Zudem verwies er auf die 17 Tarifverträge zur Entlastung, die ver.di bislang in Kliniken abgeschlossen hat.