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Inzwischen müssen mangels Personal wieder viele geplante Operationen abgesagt werdenFoto: Christian Charisius/dpa

Seit Beginn der Pandemie im März 2020 haben nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) rund 9.000 Pflegekräfte ihrem Job den Rücken zugekehrt. Und noch immer steigen viele aus. Ständige Überlastung, Personal-Unterdeckung, die Gefährdung der eigenen Gesundheit und der Familie sowie permanenter Stress sind dafür die Hauptgründe. Entlastung und faire Bezahlung, Wertschätzung für die Leistung, die die Beschäftigten in den Krankenhäusern erbringen, sind längst überfällig.

Lotta* arbeitet seit zweieinhalb Jahren als Gesundheits- und Krankenpflegerin im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) auf der Intensivstation. Durch Personalengpässe kommt es regelmäßig dazu, dass sie auch auf anderen Stationen, auch im COVID-Bereich, eingesetzt wird.

"Psychisch, physisch und mental wird man stark gefordert. Das liegt grundsätzlich in der Natur des Berufs", sagt sie. Allerdings sei der Personalmangel, der seit Jahrzehnten in der Pflege herrsche, gerade jetzt deutlich spürbar – und ein angemessener Personalschlüssel sei nicht in Sicht. Eine Pflegekraft müsse zu viele Patient*innen betreuen. "Im Alltag fällt eine individuelle Betreuung und eine gute Pflege oft hintenüber, weil man priorisieren muss", sagt Lotta. Die dünne Personaldecke sorge für viele Situationen, in denen die Patientensicherheit gefährdet werden könne. "Das ist auf Dauer auslaugend, man hat das Gefühl seine Arbeit nicht zu schaffen, obwohl man unter hohem Druck arbeitet. Oft kann man die eigenen Ansprüche nicht erfüllen, das Wort ,moral distress' – moralischer Stress – beschreibt dieses Phänomen sehr gut", sagt die Gesundheits- und Krankenpflegerin.

Das größte Thema der Beschäftigten ist neben der fairen Bezahlung die hohe Arbeitsbelastung. Das war auch vor Corona schon der Fall. "Aktuell ist im UKE wegen des Personalmangels eine große Anzahl an Betten gesperrt. Nach Protesten der Beschäftigten hat das Direktorium reagiert," berichtet Stefanie Ullmann, zuständige Gewerkschaftssekretärin bei ver.di Hamburg. Die Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung schreibt für die Intensivbetreuung einen Schlüssel von eins zu zwei vor, eine Pflegekraft für zwei Patient*innen. "Das wurde häufig unterschritten, das heißt, dass eine Pflegekraft im schlimmsten Fall für bis zu drei oder vier Patient*innen zuständig war", sagt Ullmann.

Lange überfällig

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Stefanie Ullmann, Gewerkschaftssekretärin ver.di HamburgFOTO: VER.DI HAMBURG

Nur durch Bettensperrung könne die Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung wieder öfter eingehalten werden: "Das war lange überfällig. Die Kolleg*innen sind völlig überlastet, sie nehmen den Stress und die Arbeitsüberlastung mit nach Hause. Diese Unzufriedenheit beeinträchtigt auch die Familiensituation nachhaltig, weil im Kopf teilweise einfach gar kein Platz mehr sein kann für Probleme des Partners, der Partnerin oder des Kindes", so Ullmann.

Seit November wird eine Impfpflicht fürs Krankenhauspersonal ernsthaft erwogen. Lotta und die meisten Kolleg*innen, mit denen sie eng zusammenarbeitet, sind bereits geschützt. "Angst vor Ansteckung auf der Arbeit habe ich persönlich nicht. Alle Mitarbeiter*innen und die Patient*innen werden regelmäßig getestet und wir tragen die meiste Zeit FFP2 Masken", sagt Lotta. Was ihr Sorge macht, ist die rasant steigende Zahl an Ansteckungen mit dem mutierten Corona-Virus. Dabei belastet sie die Ungewissheit, wie sich die Pandemie entwickelt. "Einige Kolleg*innen sind frustriert, weil ein Großteil der Patient*innen auf der Intensivstation nicht geimpft ist. Der Intensivaufenthalt wäre vermeidbar gewesen", sagt Lotta. Zudem binde die Versorgung der COVID-19-Patient*innen sehr viel Personal durch die Isolierung."

Der Personalmangel ist seit langem bekannt. Und jetzt flüchtet auch noch Personal aus dem Beruf. Lotta sagt, dass sich erst die Arbeitsbedingngen verbessern müssten, damit wieder mehr Personal in die Pflege komme. Sie wünscht sich eine 1-zu-2-Betreuung für den Intensivbereich. Dabei könne ein Entlastungstarifvertrag helfen, wie ihn die Beschäftigten gemeinsam mit ver.di in den Unikliniken Jena, Mainz und zuletzt bei den landeseigenen Krankenhausbetrieben Vivantes und Charité in Berlin erkämpft haben. Von der Politik wünscht sich Lotta, dass solche Tarifverträge verpflichtend sind.

Beim Thema Entlastung des Pflegepersonals agiert ver.di auf drei Ebenen. Auf der politischen Ebene hat ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat das Instrument PPR 2.0 entwickelt. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass es als Übergangsinstrument in den Krankenhäusern eingeführt werden soll. Es orientiert sich am tatsächlichen Personalbedarf der Pflege. Außerdem verspricht die zukünftigte Bundesregierung höhere Löhne in der Pflege sowie die Auszahlung eines Pflegebonus, aber die Umsetzung des Vorhabens ist noch unklar. ver.di macht sich dafür stark, dass alle Beschäftigtengruppen in den Krankenhäusern, Langzeitpflege, Reha und Behindertenhilfe berücksichtigt werden. "Die Arbeit im Gesundheitswesen ist Teamarbeit", sagt Stefanie Ullmann.

Auf der betrieblichen Ebene versucht ver.di mit Interessenvertretungen und Beschäftigten das Thema "Entlastung" im Betrieb immer wieder sichtbar zu machen und in der öffentlichen Diskussion zu halten. Auf der tariflichen Ebene haben die Beschäftigten in mehreren Krankenhäusern bundesweit gemeinsam mit ver.di bereits Tarifverträge zum Thema Entlastung erstritten. "Trotzdem sehen wir die Politik in großer Verantwortung, jetzt Schritte zu gehen und Wege zu weisen, die auf eine strukturelle Verbesserung der Pflege abzielen", sagt Ullmann. Gesundheit dürfe sich nicht an Gewinnen orienterien. Aus ver.di-Sicht gehört dieser Systemfehler, behoben.

Und der Nachwuchs? 60 Prozent der Azubis an Hamburger Krankenhäusern haben bei einer Befragung gesagt, dass sie sich nicht vorstellen können, bis zur Rente in diesem Beruf zu bleiben. An sie appelliert Stefanie Ullmann, in dem Beruf zu bleiben: "Es ist ein schöner und anspruchsvoller Beruf. Aber er braucht auch gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen! Organisiert euch in der Gewerkschaft, gründet Jugend- und Auszubildendenvertretungen und kämpft, damit euer Job so wird, dass ihr gesund in die Rente kommt."

*Name von der Redaktion geändert