03_HR_181013we17.jpg
Das Galeria-Karstadt-Kaufhof-Haus am Berliner Alexanderplatz ist nahezu immer voll, ob es auch offen bleibt, entscheidet sich vorläufig Ende JuniFoto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Nicht jedem kam die Corona-Pandemie ungelegen. Die Signa-Holding, Eigentümerin der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof (GKK), ist seit Anfang April in einem sogenannten Schutzschirmverfahren, das ihr weitreichende Umstrukturierungen erlaubt. Der Sachwalter Frank Kebekus und der Generalbevollmächtigte Arndt Geiwitz haben tiefe Einschnitte ins Filialnetz, den Abbau von bis zu 10.000 Stellen sowie die Aussetzung des mit ver.di vereinbarten Tarifvertrages angekündigt. Die ver.di-Bundestarifkommission wies diese Ansinnen zurück. Orhan Akman, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel, nannte die Überle- gungen "ideenlos, unkreativ und eine Missachtung von 35.000 Beschäftigten und ihren Familien". Nötig wären stattdessen Investitionen in die Zukunft der Warenhäuser.

Monumentalbau mit Dachterrasse und Turm

Investieren will die Signa-Holding durchaus, sie plant seit längerem einen Neubau – inklusive Ärztehaus und Lokal. Der soll am Hermannplatz in Berlin stehen und architektonisch dem Ende der "Goldenen 1920er Jahre" an diesem Ort errichteten Karstadt-Haus nachempfunden werden: ein Monumentalbau mit Dachterrasse und Turm statt des heutigen Nachkriegskastens, der eine der größeren Karstadt-Filialen der Stadt beherbergt. Bisher ist das Projekt wegen der Auswirkungen auf die umliegenden Stadtquartiere strittig zwischen Signa und dem Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis 90/Grüne). Doch das Unternehmen will das Vorhaben unbedingt realisieren.

Gleichzeitig steht fest, dass Kaufhaus-Schließungen weitreichende Folgen nicht allein für die Beschäftigten und ihre Familien haben würden. Bisher gelten diese Häuser als wichtige Anker, die die Kundschaft in die Einkaufsstraßen der Städte ziehen. Nicht erst seit den coronabedingten Schließungen zwischen Mitte März und Ende April wechselten viele Konsument*innen zu Onlinehändlern. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) ging der Einzelhandelsumsatz im April 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,5 Prozent zurück. Der Rückgang verteilte sich dabei sehr ungleich: So legte der Handel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren um 6,2 Prozent zu, während Kleidung, Schuhe und andere Non-Food-Produkte zu 14,5 Prozent weniger verkauft wurden. Der Onlinehandel verzeichnete mit 24,2 Prozent das größte Umsatzplus, was laut Destatis "selbst in dieser Branche ungewöhnlich und somit zu einem erheblichen Teil auf einen Sondereinfluss der Corona-Pandemie zurückzuführen" sei. Offen ist, wie viele Kund*innen dem Onlinehandel nach überstan- dener Pandemie erhalten bleiben.

Und die Zukunft der Innenstädte?

verdi-bundestarifskommissionsmitglieder-essen-karstadt-zentrale-2-druck.jpg
Beschäftigte protestieren vor der Konzernzentrale in EssenFoto: ver.di

Tatsache ist aber: Ein erklecklicher Teil der Kaufhäuser verschwindet aus den Innenstädten. Wo in letzter Zeit schon viele Filialisten und inhabergeführte Läden geschlossen haben, ist ihre Zukunft ungewiss. Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Leipzig, verbreitete Ende Mai in einem Interview dennoch Optimismus. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den innerstädtischen Handel stellten einen Rückschlag dar. Doch er sei zuversichtlich, dass es "weiter lebendige Innenstädte geben" werde.

Die ver.di-Bundestarifkommission Galeria Karstadt Kaufhof findet Optimismus hingegen nur dann angebracht, wenn der geplante Kahlschlag im Schutzschirmverfahren gestoppt und durch ein tragfähiges Zukunftskonzept ersetzt wird. "Es geht nicht nur um die Zukunft der Warenhäuser, sondern auch um die Zukunft der Innenstädte", heißt es in einem Positionspapier der Tarifkommission von Ende Mai. Die Warenhäuser "sorgen für Attraktivität und haben eine Schlüsselfunktion für andere Händler und tausende Einzelhandelsbeschäftigte in den Innenstädten".

Bis Ende Juni nun müssen Sachwalter und Generalbevollmächtigter ihr Zukunftskonzept präsentieren. Ob sie dann auf Prestigeobjekte wie am Berliner Hermannplatz setzen oder auf den Erhalt lebendiger Innenstädte und tausender Arbeitsplätze? Am 15. Juni wurden die Verhandlungen mit Kebekus und Geiwitz mangels Zugeständnissen an die Beschäftigten unterbrochen. 450 Millionen Euro für einen Konsumtempel sind offenbar da, nur kein Geld für die 35.000 Beschäftigten. Dabei ist der bestbezahlte Mitarbeiter schon mal weg. Konzernchef Stephan Fanderl hat hingeschmissen, die Scherben müssen jetzt andere einsammeln.

Kaufhof und Karstadt – die Chronik

1879 gründet Leonhard Tietz in Stralsund ein Geschäft für Stoffe, Wolle, Knöpfe. Zehn Jahre später entsteht in Elberfeld eine zweite Filiale. 1891 geht Tietz in Köln mit einem ersten Kaufhaus an den Start. 1905 wird das Unternehmen zur Aktiengesellschaft. 1929 arbeiten in Produktion und 43 Filialen 15.000 Beschäftigte.

Rudolph Karstadt gründet 1881 in Wismar das "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt". Drei Jahre später öffnet eine Filiale in Lübeck. 1900 übernimmt Rudolph Karstadt 13 Geschäfte seines verschuldeten Bruders, 1920 die Firma Althoff. Karstadt hat 44 Filialen, bis 1931 werden es 89.

Die Nazis bezeichnen Warenhäuser als "jüdische Erfindung", die jüdische Familie Tietz wird von ihnen enteignet. Die daraus entstehende "Westdeutsche Kaufhof AG" gehört nun Commerzbank, Deutscher und Dresdner Bank. Nach dem 2. Weltkrieg wird Familie Tietz entschädigt.

In den 50er Jahren beginnt die Expansion beider Kaufhausketten. Neben Neugründungen gibt es Übernahmen. 1977 erwirbt Karstadt die Mehrheit an der Neckermann Versand AG. Karstadt verbucht 10,62 Milliarden D-Mark Umsatz, Kaufhof 9,94 Milliarden. 1978 haben Warenhäuser in der Bundesrepublik einen Marktanteil von 11 Prozent. 1984 übernimmt Karstadt Neckermann vollständig. Kaufhof gehört 1988 zu den Gründungsmitgliedern des Börsenindex DAX.

Nach dem Ende der DDR werden aus den Centrum-Warenhäusern Karstadt- und Kaufhof-Filialen. 1994 schluckt Karstadt Hertie – inklusive KaDeWe, Wertheim und Wehmeyer. Kaufhof übernimmt die Kaufhauskette Horten. Kaufhof fusioniert 1996 mit Metro. Mitte 1999 fusionieren Karstadt und Quelle zur KarstadtQuelle AG mit 113.000 Beschäftigten und einem Börsenwert von 3,3 Milliarden Euro. 2003 beträgt der Gesamtumsatz 15,2 Milliarden Euro. Doch es kriselt, während es für Kaufhof wirtschaftlich besser läuft.

2004 rutscht der Karstadt-Konzern in die Miesen. Die Beschäftigten verzichten auf Sonderleistungen von 745 Millionen Euro. 5.500 Arbeitsplätze sollen abgebaut werden. 77 kleinere Karstadt-Häuser werden zu "Kompakt"-Häusern. ver.di handelt eine Standort- und Beschäftigungssicherung aus. Der Umsatz sinkt, neue Chefs geben sich die Klinke in die Hand, Immobilien und Konzerntöchter werden verkauft. Zur "Karstadt Warenhaus GmbH" gehören noch 90 Waren- und 32 Sporthäuser. 2006 werden KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger zur Premium-Group. Die neue Holding für Karstadt- Quelle heißt "Arcandor". Obwohl Kaufhof gut dasteht, möchte Metro 2008 die Kaufhauskette loswerden, findet aber keinen Käufer. Das Unternehmen wird zur Galeria Kaufhof GmbH.

2009 beantragt Arcandor die Insolvenz. Die Tarifkommission stimmt einem Sanierungstarifvertrag zu mit einem Verzicht auf Sonderzahlungen bis 2012; dafür werden Standorte und Beschäftigtenzahl gesichert. Das Versandhaus Quelle wird aufgelöst. Karstadt geht 2010 für 1 Euro an den Investor Nicolas Berggruen. 2011 wird Karstadt in 83 Warenhäuser, 26 Sportfilialen, 3 Premiumhäuser auf- geteilt. 2012 kehrt Karstadt in die Tarifbindung zurück. 2.000 der 24.400 Stellen fallen bis Ende 2014 weg. Im Dezember kauft René Benko mit seiner Signa-Holding für 1,1 Milliarden Euro 17 Kar- stadt-Immobilien, darunter das KaDeWe. Zuvor war er bei Oberpollinger und einem Karstadt Sporthaus in München eingestiegen. Warenhäuser haben in Deutschland nur noch einen Marktanteil von 2,7 Prozent. Im Mai 2013 kündigt Karstadt die Tarifflucht an. Am 14. August übernimmt Signa für 1 Euro die restlichen Anteile von Premium, Karstadt-Sport und alle Warenhäuser.

Die kanadische Hudson's Bay Company (HBC) kauft Galeria Kaufhof zum 30.9.2015. Die Kaufhäuser verlieren massiv an Umsatz. Das Minus beläuft sich 2016 auf 360 Millionen Euro. Im Jahr darauf bietet die Signa-Holding 3 Milliarden Euro für Galeria Kaufhof; HBC stimmt im Sommer 2018 dem Einstieg zu.

Karstadt-Chef Stephan Fanderl verordnet Galeria Kaufhof den Abbau von bis zu 5.000 Beschäftigten. Die Tarifbindung wird aufgekündigt. Zum 25. März 2019 werden beide Ketten zur Galeria Karstadt Kaufhof. Im Sommer verkauft HBC für 1,5 Milliarden US-Dollar die restlichen Anteile an Signa. Karstadt und Galeria Kaufhof fusionieren zum 31.1.2020. ver.di handelt Tarifbindung und eine Standort- und Beschäftigungssicherung aus.

Während der Corona-Pandemie müssen die Warenhäuser schließen, was sie in eine wirtschaftliche Schieflage bringt. Zum 1. April 2020 beantragt Galeria Karstadt Kaufhof ein Schutzschirmverfahren.