08_HR_MOJ-UVW-2.jpg
"Wir sind nicht der Dreck, den wir wegmachen" – UVW-Gewerkschafter*innen, nachdem sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall errungen habenFoto: Gordon Roland Peden

Es ist vielleicht ungewöhnlich, einen Artikel über Covid-19 in Großbritannien mit einer gewerkschaftlichen Erfolgsmeldung zu beginnen. Doch am 30. Juli konnte die Gewerkschaft "United Voices of the World (UVW)" verlautbaren, als gewerkschaftliche Vertretung für die im Justizministerium arbeitenden Reinigungskräfte, das Sicherheitspersonal sowie die Pförtner anerkannt worden zu sein. In einer als Briefwahl durchgeführten Urabstimmung hatten sich 70 Prozent der Belegschaft dafür ausgesprochen. Dem war ein viele Monate andauernder Arbeitskampf vorausgegangen.

Krank zur Arbeit

Der UVW-Aktivist Emanuel Gomes hat diesen Erfolg nicht mehr erlebt. Der aus dem an der afrikanischen Westküste gelegenen Staat Guinea-Bissau stammende Gebäudereiniger war einige Monate zuvor an den Folgen einer Covid-19 Erkrankung verstorben. Die Gebäudereinigung ist im Justizministerium an ein privates Unternehmen ausgelagert. Die dort beschäftigten Reinigungskräfte haben großteils einen Migrationshintergrund – sie kommen aus afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten oder sind als Asylsuchende aus unterschiedlichsten Ländern nach Großbritannien gekommen. Wie viele seiner Kolleg*innen hatte Gomes kein Recht auf Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Zweimal beteiligte er sich an Streiks der UVW, obwohl über ihm und seinen Kolleg*innen dabei immer die Drohung des sofortigen Rauswurfs durch den Arbeitgeber lag.

Den wirtschaftlichen Zwängen konnte sich der Gewerkschaftsaktivist Gomes nicht entziehen. Als er an Covid-19 erkrankte, ging er weiter zur Arbeit. Hätte er sich krank gemeldet, hätte er für die ersten drei Tage seines Krankenstands überhaupt keinen Lohn bekommen. Erst danach hätte er ein staatliches Krankengeld in Höhe von 19,17 Pfund (ca. 21 Euro) pro Tag bekommen. Die UVW schreibt dazu in einer Erklärung: "Wie Millionen anderer Arbeiter*innen im ganzen Land konnte es sich Emanuel einfach nicht leisten, krank zu werden. Das hätte es ihm unmöglich gemacht, weiter Nahrung zu kaufen oder die Miete zu zahlen. Der Zwang diese Entscheidung zu treffen, kostete ihn schließlich das Leben."

Emanuel Gomes verstarb an Covid-19, nachdem er sich trotz immer schwerer werdender Symptome an seinen Arbeitsplatz schleppte. In den Stunden vor seinem Tod, so die Gewerkschaft, sei er sehr schwach gewesen, er habe kaum noch gewusst, wo er sich befand oder wie er nach Hause kommen sollte. Wenn sein Tod überhaupt irgendeinen Sinn hatte, dann den, dass die UVW-Gewerkschaft den öffentlichen Druck nach Bekanntwerden des Vorfalls nutzen konnte, um für die Beschäftigten der Reinigungsfirma die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erkämpfen. Viel zu spät – aber immerhin.

Covid-19 trifft nicht alle gleich. Als Ende Juli über größere Teile Nordenglands Ausgangssperren durch die Regierung verhängt wurden, beschwerte sich der konservative Gesundheitsminister Matt Hancock in verschiedenen Medien darüber, dass insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund gegen von der Regierung verordnete Corona-Maßnahmen verstoßen würden. Beweise führte er keine an.

Auch ohne Corona gefährliche Arbeitsbedingungen

Tatsächlich sind Menschen mit Migrationshintergrund in Großbritannien überdurchschnittlich stark von dem Virus betroffen. Über die mittelenglische Stadt Leicester wurde im Juli eine Ausgangssperre verhängt, weil die miesen Arbeitsbedingungen in den völlig unregulierten Sweatshops der dortigen Textilindustrie immer wieder zu Infektionsketten führten. Menschen mit dunkler Hautfarbe arbeiten in Großbritannien oft in schlecht bezahlten Arbeiterjobs mit auch ohne Covid-19 gefährlichen Arbeitsbedingungen. Covid-19 bringt diese miesen Bedingungen an die Öffentlichkeit. Laut der britischen nationalen Statistikbehörde ONS haben schwarze Männer und Frauen ein zweimal so großes Risiko, an den Folgen einer Covid-19 Erkrankung zu sterben, als weiße Männer und Frauen. Bei Pakistani und Bangladeshi ist das Sterblichkeitsrisiko um 1,6 bis 1,8 Prozent höher als bei Weißen.

Die "Independent Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE)" ist eine Expertengruppe, welche sich Anfang Juli damit befasst hat, wie Covid-19 in Großbritannien lebende Lohnabhängige mit dunkler Hautfarbe betrifft. Demnach haben 21 Prozent der Pflegekräfte im öffentlichen Gesundheitswesen eine dunkle Hautfarbe, jedoch gehören 63 Prozent aller Corona-Toten unter englischen Krankenpfleger*innen zu dieser Personengruppe. 95 Prozent aller an Corona verstorbenen Mediziner*innen gehören zur sogenannten "BAME-Bevölkerungsgruppe". Der Begriff steht im englischen für "Black, Asian, Muslim, Ethnic Minority".

Zusätzlich hat das britische öffentliche Gesundheitssystem NHS in den letzten Jahren zunehmend fremdenpolizeiliche Aufgaben übernommen. So ist seit 2014 der kostenlose Zugang zum Gesundheitswesen an den Aufenthaltsstatus gekoppelt. Viele Krankenhäuser und Arztpraxen fragen diesen routinemäßig ab. Kein Wunder also, dass laut dem Bericht der SAGE-Gruppe vom Juli 70 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund trotz des Verdachts auf eine Corona-Infektion keinen Kontakt mit dem Gesundheitswesen aufgenommen haben. Hier zeigt sich, warum das gewerkschaftliche Engagement von Organisationen wie der UVW so wichtig ist.