Ausgabe 06/2020
"Das fühlt sich an wie Leiharbeit"
Eine Befristung nach der anderen, in den Sommerferien arbeitslos, Lohnabzug an den Feiertagen, das sind die typischen prekären Arbeitsbedingungen in der Schulbegleitung. Eine Schulbegleiterin, die anonym bleiben möchte, hat schon zweimal mit Hilfe von ver.di erfolgreich für Verbesserungen geklagt:
Ich arbeite seit acht Jahren in der Schulbegleitung und betreue momentan ein behindertes Kind in einer Regelschule. Meine Arbeit in der Inklusion mache ich wirklich gerne. Doch die unsicheren Arbeitsbedingungen machen mir zu schaffen. Wir bekommen immer nur Jahresverträge. Darin unterscheiden sich die verschiedenen Träger auch nicht. In den Sommerferien müssen wir uns arbeitslos melden. Tausend Sachen hängen da dran: Anträge, die man ausfüllen muss. Man kriegt keinen Mietvertrag. Man kann sich kein Auto kaufen und vieles mehr. Die Schulbegleitung sind typische Frauenjobs mit niedrigen Löhnen. Bei 20 Stunden die Woche verdiene ich zwischen 800 und 1.000 Euro netto, je nach Träger.
Ich habe studiert, bin Biologin, wurde Mutter, setzte beruflich ein paar Jahre aus und wollte wieder arbeiten. Ich erkundigte mich, wie man Schulbegleiterin wird, weil ich eine Halbtagsstelle suchte. Für den Beruf wird keine Ausbildung verlangt. Die Begleiter müssen vor allem empathisch sein, gut mit dem Kind umgehen können, es verstehen und sich einfühlen können. Die Eltern haben großen Einfluss auf die Wahl der Begleiter und müssen einen wollen. Die Arbeitsbedingungen aber sind bei allen Trägern katastrophal.
Zuerst habe ich mich bei einem Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte beworben und dort meinen ersten befristeten Vertrag bekommen. Das war vor acht Jahren. Die Lohnabrechnungen waren so, dass ich da nicht durchblicken konnte. Immer wieder habe ich den Verwaltungschef angesprochen, er solle mir die Abrechnungen erklären. Ich wollte das verstehen, weil ich das Gefühl hatte, zu wenig Geld zu bekommen und da auch noch Fehltage auf dem Papier standen. Deshalb habe ich solange nachgebohrt, bis meine Chefin sagte, Feiertage kriegen Sie natürlich nicht bezahlt, denn da können Sie ja nicht arbeiten. Das war für mich ein Hammer.
Erste Klage
Dank ver.di habe ich erfolgreich beim Arbeitsgericht geklagt und eine Lohnerhöhung für alle Schulbegleiterinnen und -begleiter meines damaligen Arbeitgebers durchgesetzt. Was mich ärgert ist, dass die Träger das Geld von der Stadt bekommen, dort aber niemand kontrolliert, wie sie damit umgehen. Es sind doch auch Steuergelder, die da ausgegeben werden. Bei meinem ersten Arbeitgeber handelte es sich um einen großen Träger mit über 500 Beschäftigten, davon arbeiten 200 in der Inklusion wie ich. Insgesamt gibt es in meiner Stadt schätzungsweise 1.000 Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter.
"Der Beitritt in ver.di ist ein erster Schritt, sich zu wehren"
Jedes Jahr erhielt ich eine neue Befristung, arbeitete in verschiedenen Schulen und hatte nie eine Festanstellung. Jeden Sommer war ich wieder arbeitslos. Als ich ein Kind in einer Waldorfschule begleitete, lernte ich auch die Gebärdensprache dazu. Mit der Fähigkeit habe ich mich dann bei einem anderen Träger beworben, wo das gesucht wurde. Ich bekam die Stelle. Daraufhin hat mir mein alter Arbeitgeber zum ersten Mal eine Festanstellung angeboten. Die habe ich nicht angenommen, denn sonst hätte es ja so ausgesehen, als wäre ich gekauft worden. Als einzige Schulbegleiterin, die im Betriebsrat ist und eine feste Stelle bekommt, das wollte ich nicht und ging.
Wir Schulbegleiter sind immer im Unterricht mit dabei. Wir unterstützen das Kind, sind auch für die anderen Kinder da. Manche Kinder haben Fragen oder Vorurteile. Zum Beispiel habe ich erlebt, dass Schülerinnen und Schüler um ein Mädchen mit Down-Syndrom einen Bogen machten. Sie sagten, da will ich mich nicht anstecken. Ich erklärte ihnen, dass das nicht ansteckend sei. Wir helfen den Kindern, die Betreuung brauchen, vor allem bei der Kommunikation, wir vermitteln. Wir sind wie Mütter, die verstehen, was ihr Kind will, auch wenn es sich nur schwer verständlich ausdrücken kann. Unsere Arbeit ist wichtig. Sie sollte auch gut bezahlt sein.
Zweite Klage
Bei meinem jetzigen Arbeitgeber, beim Deutschen Roten Kreuz, bin ich vor einem halben Jahr schwer an Krebs erkrankt. Erst hieß es, wenn ich wieder am Arbeitsplatz bin, gibt es ein Wiedereingliederungsmanagement. Doch kurz darauf hat mein Arbeitgeber die Gelegenheit genutzt, mich daran zu erinnern, dass mein Arbeitsvertrag zum 31. Juli ausläuft und ich mich beim Arbeitsamt arbeitslos melden sollte. Das war nicht schön, so etwas zur Krankheit noch obendrauf zu bekommen. Mit Hilfe von ver.di habe ich mich auch hier erfolgreich gewehrt. Mein Arbeitgeber hat nach der Einreichung der Klage beim Arbeits-gericht sehr schnell angeboten den Arbeitsvertrag zu verlängern. Jetzt steht im neuen Vertrag, alles bleibe bestehen wie im alten Vertrag. Zudem ist der Zweck jetzt aufgeführt – die Begleitung. Die wird das Kind aber auch in Zukunft benötigen. Deshalb machen Befristungen eigentlich keinen Sinn mehr. Das meint auch meine Anwältin. Ich habe unterschrieben. Bis der Vertrag vom Arbeitgeber unterschrieben zurück ist, zieht ver.di die Klage vor dem Arbeitsgericht nicht zurück.
Für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in meinem Beruf fühlt sich niemand zuständig: Die Stadt – wie gesagt – zahlt, aber überprüft nichts. Die Träger auf der anderen Seite geben wenig von dem Geld an uns weiter und verdienen sich eine goldene Nase. Als Dank dürfen wir uns am Ende des Schuljahres arbeitslos melden. Bei mir sind es nun schon acht befristete Verträge. Das ist eine prekäre Situation und fühlt sich an wie Leiharbeit. Wenn man dann noch ernsthaft krank wird und weiß, die Befristung läuft aus, ist das schwer auszuhalten.
Egal, wie das jetzt für mich ausgeht, insgesamt brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Der Beitritt in ver.di ist ein erster Schritt, sich zu wehren. Mir hat die Gewerkschaft schon zweimal geholfen. Protokoll: Marion Lühring