Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Wirecard AG, Markus Braun, sitzt im Untersuchungsgefängnis, das ehemalige Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist auf der Flucht. Sie sind vermutlich die Hauptschuldigen im Betrugsskandal der in München ansässigen Wirecard AG, in dem Aktionär*innen und Investor*innen um Vermögen gebracht wurden.

Die beiden Manager dürften ihre Schäfchen im Trockenen haben – die Beschäftigten nicht. Sie müssen um ihre Zukunft bangen. Allein in Deutschland wurden in einer ersten Welle 800 Mitarbeiter*innen entlassen. Die Nachricht von der Insolvenz schlug ein wie ein Blitz. Bis zuletzt glaubte die Belegschaft den Worten des Vorstands. Andere Informationen hatten sie nicht.

Wie denn auch? Das DAX-Unternehmen Wirecard hatte weder einen Betriebsrat noch Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat. Diese hätten auch einmal hinter die Kulissen schauen können. Für das Personal folgte so ein Absturz ohne Netz.

In letzter Minute

"Die Belegschaft war größtenteils arglos, Gewerkschaften und Betriebsräte schienen nicht notwendig", beschreibt Gregor Völkl, zuständiger Gewerkschaftssekretär bei ver.di München & Region, die Situation. Sie wähnten sich in einem Erfolgsunternehmen, das Einkommen war nicht schlecht und mit dem Vorstand war man per Du.

Dass ihnen etwas Wichtiges fehlt, nämlich eine Interessenvertretung, hätten die Mitarbeiter*innen erst gemerkt, als die Pleite feststand. Quasi in letzter Minute hat eine Gruppe Kontakt mit ver.di aufgenommen und mit gewerkschaftlicher Hilfe Betriebsratswahlen in Teilen der Wirecard-Gruppe durchgeführt. Wenn jetzt im Insolvenzverfahren Entscheidungen über die Zukunft der Arbeitsplätze und über das Schicksal der Beschäftigten getroffen werden, können die Betriebsräte wenigstens Einfluss nehmen.

Für die Wahl eines Betriebsrates ist es zwar (fast) nie zu spät. Günstiger ist es allerdings, sich frühzeitig dafür zusammenzutun. Die Situation ist für Gregor Völkl nicht neu: "In vielen Betrieben kümmern sich die Beschäftigten zu wenig um ihre Rechte, weil es vermeintlich gut läuft. Mit Desinteresse schlagen wir uns regelmäßig rum und stoßen dabei oft gegen Gummiwände." Zwar schreibt das Betriebsverfassungsgesetz vor, dass in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigen ein Betriebsrat zu wählen ist. Ein verbrieftes Recht, das aber real oft nicht beachtet wird.

Weil es viele Widerstände geben kann und die Betriebsratswahl korrekt abgewickelt werden muss, sollte die Einleitung gut vorbereitet sein. Wichtig ist es, dass die einzelnen Akteur*innen nicht alleine stehen, sondern auf die Unterstützung der Belegschaft vertrauen können. Am besten ist es, wenn sich viele Beschäftigte in der Gewerkschaft organisieren: Das schafft Rückhalt und Gegenmacht. Ob es einen Betriebsrat und eine aktive Gewerkschaft gibt oder nicht, entscheiden die Beschäftigten selbst. "Gerade Besserverdienende glauben oft, darauf verzichten zu können", stellt Gregor Völkl fest. Ein Trugschluss, wie der Fall Wirecard wieder einmal zeigt.

Ernst Edhofer