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Foto: Sorapop Udomsri/Prisma/Duka [M]

"Die Mütter haben Angst!" Isa Müller (Name geändert, d. Red.) ist selbst Mutter, ihre Tage bei H&M sind gezählt. Zum 30. Juni wird sie ausscheiden, ihr Aufhebungsvertrag ist schon unterschrieben. Mit dem sogenannten "Freiwilligenprogramm", mit dem die schwedische Modekette aktuell durch das Streichen von Arbeitsstunden 800 Beschäftigte loswerden will, hat er nichts zu tun. Aber Isa ist genau der Typ Angestellte, den H&M jetzt versucht, mit Abfindungen rauszukaufen aus seinen bundesweit knapp 400 Filialen: junge Mutter, alleinerziehend.

Noch ist Isa in einem H&M-Store in Süddeutschland beschäftigt. H&M habe sie über ein halbes Jahr immer wieder gedrängt zu gehen, weil sie nicht mehr hinter dem Unternehmen stehe. "Hinter meinen Kolleginnen und der Gemeinschaft in unserem Store stehe ich nach wie vor, aber nicht mehr hinter den Entscheidungen der Geschäftsführung der letzten Jahre, angefangen bei den Geschäftsschließungen, gleichzeitigen Neueröffnungen woanders, aber niemand wird übernommen, bis hin zum Umgang mit Betriebsräten. Da kann man nicht mehr dahinterstehen", sagt Isa.

Und allzeit auf Abruf bereit

Jetzt legt sie sich aber noch einmal ins Zeug für ihre Kolleginnen. Der Betriebsrat ihrer Filiale hat als erstes die von der Geschäftsführung aufgelegte Betriebsvereinbarung zum Freiwilligenprogramm abgelehnt. Isa sieht ganz klar, worauf die Personalpolitik auch mit diesem Programm, nun unter dem Deckmantel der Corona-Krise, zielt: "Die wollen eine komplett neue Vertragsstruktur schaffen."

Waren nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung vor gut 15 Jahren noch rund die Hälfte der Beschäftigten bei H&M Vollzeitkräfte, überwiegen inzwischen längst die Teilzeitbeschäftigten, vor allem Stundenlöhner mit einer Mindeststundenzahl von 10 Stunden pro Woche, allzeit auf Abruf bereit, morgens, abends und natürlich auch am Wochenende. Nur diese Ministundenverträge unterscheiden die Stundenlöhner noch von den Tagelöhnern auf dem Arbeiterstrich. H&M setzt alle personalpolitischen Karten auf den Stundenstrich.

Als parallel zum vermeintlich freiwilligen Ausscheidungsprogramm in Isas Store auch eine Stelle ausgeschrieben wurde, wurde klar, dass es allein um den Umbau des Personals ging. Man will die raushaben, die eben nicht flexibel einsetzbar sind: Mütter in Elternzeit oder mit Kinder-garten- oder schulpflichtigen Kindern, aber auch schwerbehinderte oder ältere Mitarbeiter*innen. "Wer neu dazukommt, ist Schülerin oder Studentin, sehr jung und voll flexibel", sagt Isa. Es sind Zustände, die untragbar sind.

Das gleiche Bild auch in einer bayerischen H&M-Filiale. Eine der Betriebsrätinnen dort möchte anonym bleiben, weil sie nicht aufgeben, sondern ihr Arbeitsleben bei H&M beenden möchte. Eine neue Kanzlei und Psychologen habe H&M jüngst für den Umgang mit den Betriebsräten angeheuert, um ihnen das Freiwilligenprogramm wie ein neues Outfit zu verkaufen. Die Betriebsrätin sagt, auch bei ihnen seien vor allem die Mütter besorgt. Ihr Sohn ist längst erwachsen, aber sie kann nachempfinden, wie es den jungen Müttern heute geht. Über 1.000 Stunden sollen bei ihnen durch Ausscheiden von den vermeintlich unflexiblen Müttern, die abends und auch oft am Wochenende nicht arbeiten können, abgebaut werden. "Es wird Kämpfe geben", sagt sie.

Die ersten Schritte sind getan. Auch in ihrem Store wurde das Freiwilligenprogramm abgelehnt. Man wolle stattdessen endlich über einen Digitalisierungstarifvertrag verhandeln, der Online- und Filialhandel sinnvoll miteinander verlinkt. Schon vor Weihnachten ging eine Petition an den Start.

Im Prinzip ist der gesamte Textileinzelhandel vom Wandel im Handel betroffen. Seit 2019 wurden mehr als 28.500 Beschäftigte in Filialen von H&M, Esprit, Pimkie und anderen entlassen. "Es waren die Geschäftsleitungen, die entscheidende Weichenstellungen bei der Digitalisierung und dem intelligenten Zusammenführen der verschiedenen Vertriebswege im stationären Einzelhandel verschlafen haben und die jetzt die Existenzgrundlage von tausenden Menschen bedrohen", sagt Orhan Akman, ver.di-Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel.

H&M hat seinen Beschäftigten bis zum 7. Februar 2021 eine Frist gesetzt. Sollten dann nicht genügend Beschäftigte aussteigen wollen, wird es betriebsbedingte Kündigungen geben. H&M behält sich zudem laut einer Klausel vor, Freiwillige abzulehnen; die flexiblen Stundenlöhner sollen nämlich bleiben. Der Kampf, er beginnt jetzt erst. Die Beschäftigten werden um jede Stelle und jeden Store streiten.

Zur Petition: kurzelinks.de/7a12