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Foto: Volksinitiative Gesunde Krnakenhäuser

Das deutsche Gesundheitswesen braucht einen Systemwechsel. Und zwar nicht erst seit der Corona-Pandemie. Denn Personalmangel und Arbeitsverdichtung gehören hier schon seit Jahren zum Arbeitsalltag. Darunter leiden sowohl die Patient*innen als auch die Beschäftigten. Allein in den Krankenhäusern fehlen nach Einschätzung von ver.di rund 100.000 zusätzliche Pflegekräfte. Hinzu kommt, dass mit der Daseinsvorsorge zunehmend Geld verdient wird. Gegen dieses Profitstreben stellt sich die Volksinitiative "Gesunde Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen – für ALLE!". Sie nimmt die Landespolitik in die Pflicht und will über die Regierung von Nordrhein-Westfalen auch gleich die Bundespolitik unter Druck setzen.

"Wir dürfen Krankenhäuser nicht als rein kaufmännische Struktur sehen", sagt Susanne Quast. "Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass wir Menschen in jeder Situation versorgen können. Wohnortnah, patienten- und bedarfsorientiert," betont die Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin. Quast ist eine der Sprecherinnen der Volksinitiative "Gesunde Krankenhäuser in NRW" und weiß aus eigener Erfahrung, dass die Beschäftigten in den Kliniken dringend Entlastung brauchen, um dauerhaft eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patient*innen gewährleisten zu können. Gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten und eine gesetzliche Personalbemessung stehen deshalb ganz oben auf der Forderungsliste der Volksinitiative.

Die Personalkosten aber sind ein großer Kostenfaktor. Und so wird vielerorts genau an dieser Stelle gespart. Seit der Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen im Jahr 2004 rechnen die Krankenhäuser nicht mehr nach Tagessätzen ab. Das sogenannte DRG-System – Diagnosis Related Groups – sagt Susanne Quast, "setzt bundesweit klare Fehlanreize". Die Orientierung an wirtschaftlichen Zielen nehme seitdem stetig zu. Und so fordert die Volksinitiative "Gesunde Krankenhäuser in NRW" ihre Landesregierung dazu auf, sich über eine Bundesratsinitiative für die Abschaffung eben dieser Fallpauschalen einzusetzen. Mit der Gesundheit von Menschen dürften in keinem Bundesland Profite erzielt werden.

„Im Stadtteil nehmen wir die Angst vor der Verknappung der Krankenhausbetten wahr“
Jutta Markowski, Ergotherapeutin

Schließen immer mehr Kliniken, ist die Versorgung in Gefahr

Doch die Volksinitiative will noch mehr. Mit Corona-konformen Demonstrationen vor dem Düsseldorfer Landtag erinnert sie die Landespolitik an ihre gesetzlichen Aufgaben. Eine davon: die vollständige Refinanzierung der Investitionskosten der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen. Wenn Krankenhäuser also ihre Gebäude in Stand setzen oder ihre Ausstattung modernisieren müssen, ist das Land verpflichtet diese Kosten zu tragen. "Aktuell haben wir in Nordrhein-Westfalen auf diesem Gebiet aber einen Investitionsstau von über 12,5 Milliarden Euro", kritisiert Quast. Dieser Rückstand müsse schnellstmöglich behoben werden, sonst würden reihenweise Krankenhäuser kaputtgespart.

Dabei ist der Druck auf die Kliniken ohnehin schon immens. Im Sommer 2019 forderte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, mehr als die Hälfte der Krankenhäuser in der Bundesrepublik zu schließen. Das Ansinnen fand prominente Unterstützer*innen. Noch im Februar 2020 wünschte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, mehr Mut in der Debatte um mögliche Klinikschließungen. Und so wird die Zentralisierung der deutschen Krankenhauslandschaft trotz der Corona-Pandemie weiter vorangetrieben. Allein im Jahr 2020 wurden bundesweit rund 20 Krankenhäuser geschlossen. Das Marienhospital und das St. Vincenz- Krankenhaus im Norden von Essen, beide betrieben vom katholischen Krankenhausträger Contilia, gehören dazu.

Die Bürger*innen im Essener Norden sehen die Grund- und Regelversorgung durch die Klinikschließungen in Gefahr. "Für meine Familie und mich fällt auch die wohnortnahe Notfallversorgung weg", sagt Jutta Markowski, die im betroffenen Stadtteil Stoppenberg wohnt. "Die Wege bis zum nächsten Krankenhaus sind jetzt zwei- bis dreimal so lang. Bei einem Herzinfarkt kann das entscheidend sein", sagt die Ergotherapeutin. Im Juni 2020 hat sie deshalb gemeinsam mit anderen Aktiven eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen. Mit einem Bürgerbegehren fordern sie die Stadt Essen auf, die beiden Klinikstandorte zu reaktivieren und die "Kommunale Kliniken Essen gGmbH" zu gründen.

Bei ihren Aktionen und Demonstrationen wird die ortsgebundene Essener Bürgerinitiative von der landesweiten "Volksinitiative für gesunde Krankenhäuser in NRW" unterstützt. "Im Stadtteil nehmen wir ganz klar die Angst vor der Verknappung der Krankenhausbetten wahr", berichtet Markowski. Die Pandemie würde solche Befürchtungen noch verschärfen.

Unbegründet sind die Bedenken nicht. Die Contilia-Gruppe betreibt im nördlichen Essen mit dem Philippusstift noch ein drittes Krankenhaus, das die Versorgung der Patient*innen nun allein übernimmt. Dort arbeitet Christian Schmidt (Name geändert, d. Red.) seit der Schließung der beiden anderen Kliniken. Der Krankenpfleger ist überzeugt, dass ein Krankenhaus im Essener Norden nicht ausreicht. "Die Intensivstation im verbleibenden Philippusstift ist immer voll. Und auch auf den anderen Stationen sind die Betten stark ausgelastet," sagt die Pflegefachkraft. "Das Krankenhaus platzt aus allen Nähten."

Mit Unterschriften in den Landtag

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Öffentlicher Protest der Initiative Gesunde KrankenhäuserFoto: ver.di NRW

Um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, fordert die Volksinitiative "Gesunde Krankenhäuser in NRW" eine Einbindung aller betroffenen Akteure bei der Erstellung des neuen Krankenhausplanes. Solange sollen alle Kliniken im Land erhalten werden. "Es ist immer schwieriger, das Rad wieder zurückzudrehen und Strukturen, die einmal abgeschafft wurden, wieder aufzubauen", begründet Susanne Quast diese Forderung. Die Schließung von kleinen Krankenhäusern drohe derzeit leider noch vielen weiteren Gemeinden. Umso wichtiger sei es, dass die Volksinitiative erfolgreich ist. "Wir müssen genau jetzt aktiv werden", ist die Ärztin überzeugt. "Unser Ziel ist, dass die Menschen verstehen, wieso ein Systemwechsel im Gesundheitswesen wichtig ist, und dass sie uns deswegen unterstützen."

Gut 66.000 Unterschriften braucht die Volksinitiative in Nordrhein-Westfalen, damit der Landtag sich mit ihrem Anliegen befasst. Knapp 10.000 Unterschriften haben Susanne Quast und ihre Mitstreiter*innen seit dem Start der Volksinitiative im September 2020 schon gesammelt. Trotz der Corona-Pandemie und der dadurch bedingten Kontakt-Beschränkungen. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir unser Ziel innerhalb eines Jahres erreichen", sagt die 57-jährige Ärztin. "Meine Vision ist es, dass wir sogar im sechsstelligen Bereich landen."

Um die Volksinitiative bekannt zu machen, setzen die Initiator*innen daher neben Demonstrationen auch auf Video-Konferenzen und Social-Media-Kanäle wie Facebook und Instagram. Mit Erfolg. Zum einen wächst der Kreis der Unterstützer*innen immer weiter, zum anderen ist die Volksinitiative aus Nordrhein-Westfalen auch Beispiel für andere Bundesländer. "Wir haben inzwischen Anfragen von Leuten aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bekommen, die gerne aus unseren Erfahrungen lernen würden," sagt Quast und freut sich auf den zukünftigen Austausch.

Der Trägerkreis

Der Trägerkreis der Volksinitiative setzt sich aus zahlreichen Bündnissen zusammen, die sich in ganz Nordrhein-Westfalen für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen stark machen. Das Besondere dabei: In der Bewegung engagieren sich Patientenvertreter*innen, Aktivist*innen, Beschäftigte, Selbsthilfegruppen und Fachverbände für ein gemeinsames Ziel. Unterstützt werden sie dabei von ver.di. "Wir alle sind uns darin einig, dass die Daseinsvorsorge Aufgabe des Staates ist, die als Selbstzweck funktionieren muss und nicht als Gewinnstruktur", sagt Susanne Quast, Sprecherin der Volksinitiative.