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Notruf aus den Kliniken Ostallgäu Kaufbeuren im Winter 2021 – am Limit arbeiten aber dort auch heute noch täglich viele BeschäftigteFoto: picture alliance/dpa

Von einer „Revolution“ sprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Dezember. Mit einem entsprechenden Gesetzesvorhaben will er sie lostreten. Vieles soll sich verändern bei der Finanzierung und Struktur der Krankenhauslandschaft in Deutschland. Doch Lauterbachs Konzept, für das die 17-köpfige "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" aus verschiedenen medizinischen Expert*innen verantwortlich zeichnet, ist alles andere als revolutionär.

Einigkeit besteht bei immer mehr Fachleuten, dass seit langem auch von ver.di stark kritisierte Fallpauschalen-System zu überwinden, weil es vor allem die Rationalisierung in den Krankenhäusern vorangetrieben hat. Lukrative Hüft- und Kniegelenk-Operationen wurden so gefördert, während zugleich wichtige, aber pflegeintensive Bereiche wie die Behandlung kranker Kinder und alter Menschen immer mehr auf der Strecke blieben.

Die fehlenden Pflegekräfte

Wie sehr es mittlerweile an Krankenhausbetten, Ärzt*innen und Pflegekräften für Kinderheilkunde fehlt, zeigte gerade erst die heftige Infektionswelle bei Babys und Kleinkindern, die im November und Dezember viele Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen brachte. Für diesen Sektor will der Bundesgesundheitsminister künftig mehr Geld zur Verfügung stellen. "Das ist ein ganz netter Ansatz", findet die Kinderkrankenschwester Nadine H. aus einer Klinik des landeseigenen Vivantes-Konzerns in Berlin. "Aber bis die Kapazitäten wieder aufgebaut sind, dauert es, denn wir haben in den letzten Jahren massenhaft Kolleg*innen verloren."

Bei genauerer Betrachtung des vorgelegten Konzeptes aus dem Hause Lauterbach wird zudem schnell klar, dass allenfalls in Teilbereichen eine Ablösung des Fallpauschalen-Systems vorgesehen ist: Mit sogenannten Vorhaltebudgets soll zwar dafür gesorgt werden, dass bestimmte Abteilungen, Stationen und ihre Ausstattung unabhängig von ihrem "ökonomischen Nutzen" finanziert werden. Das zumindest betrachtet der ver.di-Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft als positive Entwicklung. Zugleich kritisieren die Kolleg*innen den halbherzigen Ansatz, bei dem in weiten Teilen des Krankenhaussystems auch weiterhin nach Fallpauschalen abgerechnet werden soll. Zudem sind auch im Vorschlag zu den Vorhaltebudgets weiterhin Leistungsanreize enthalten.

Dass zwei Systeme für die Krankenhausfinanzierung nebeneinander bestehen, sei viel zu kompliziert und diene nicht der Sache, heißt es in einer ver.di-Stellungnahme. Vor allem aber löse das teilweise Festhalten an den Fallpauschalen die bestehenden Probleme nicht. Lauterbach ist mit dem Anspruch angetreten, die Krankenhausfinanzierung unter vorwiegend wirtschaftlichen Maßstäben zu reformieren. Diesem Versprechen werden die Vorschläge nicht gerecht.

Krankenhäuser nach Level eingeteilt

Der Gesundheitsminister und seine Expert*innen schlagen weiter vor, die Krankenhäuser noch strikter als bisher verschiedenen Kategorien zuzuordnen: denen der Grundversorgung (Level I), der Regel- und Schwerpunktversorgung (Level II) sowie der Maximalversorgung (Level III). Level-I-Häuser sollen flächendeckend die wohnortnahe Versorgung sicherstellen, wobei sie unterteilt werden in Kliniken mit Notfallversorgung (Level I n) und solche, die eine integrierte ambulante und stationäre Versorgung anbieten (Level I i). Diese Gruppe soll die Trennung zwischen ambulant und stationär überwinden.

Die Honorierung über Tagespauschalen in diesen künftigen Level-I-i-Häusern stößt bei ver.di auf Kritik, weil eine Pauschalfinanzierung immer den Anreiz berge, bei den Personalkosten zu sparen, so dass ausgerechnet die belasteten Beschäftigtengruppen, etwa in der Pflege, einmal mehr unter Kostendruck gesetzt würden. Zudem sei zu befürchten, dass die neue Klinik-Einteilung vor allem kleinere Häuser in schwach besiedelten Gebieten in ihrer Existenz gefährden könne. Das würde aber gerade Menschen im ländlichen Raum die Grundversorgung mit medizinischen Leistungen wie Blinddarm-OPs, Geburtshilfe oder der Versorgung von Knochenbrüchen kosten und natürlich auch die dort besonders wichtigen Arbeitsplätze.

Die möglicherweise drohende Schließung von Krankenhäusern ist ein weiterer großer Kritikpunkt ver.dis am Klinikkonzept: Es fehlt an präzisen Aussagen zu dringend notwendigen Investitionen in diesem Bereich. Zuständig sind dafür zwar formal die einzelnen Bundesländer, doch die investieren schon seit Jahren nicht die Milliarden in die Krankenhäuser, die nötig wären. Aus ver.di-Sicht ist ein tragfähiges Konzept dafür dringend erforderlich.

Vermutlich werden aber auch die Länder selbst darauf drängen, denn sie sind in den anstehenden Gesetzgebungsprozess eng eingebunden. Bisher hat sich Lauterbach erst einmal mit den Länderminister*innen getroffen, um die Vorschläge für die künftige Krankenhausstruktur zu besprechen.

Immerhin: Mit der Umsetzung des "Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz" wird ein großer Schritt gemacht. Mehr als zehn Jahre hat ver.di für Personalvorgaben per Gesetz Druck gemacht. Für die notorisch überlasteten Pflegekräfte in den Krankenhäusern könnte es in Zukunft etwas entspannter aussehen – zumindest, wenn das Gesetz flächendeckend umgesetzt wird. Das Anfang Dezember 2022 verabschiedete Gesetz sieht die Einführung einer bedarfsgerechten Personalbemessung für Pflegekräfte in allen Kliniken vor. Endlich werde die Überlastung der Pflegebeschäftigten in Krankenhäusern vom Gesetzgeber konkret angegangen, sagt Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für Gesundheit. Die von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelte Pflegepersonalregelung PPR 2.0 müsse nun allerdings zügig und verbindlich umgesetzt werden. Dass die Regierungskoalition dem Bundesfinanzminister ein Mitspracherecht bei der Um- setzung der Personalausstattung in den Kliniken eingeräumt habe, sei jedoch ein großer Fehler, so Bühler. "Der Pflegebedarf orientiert sich ausschließlich an den Patientinnen und Patienten und nicht an der Haushaltslage." Das durchzusetzen gehört nun zu den nächsten Aufgaben der Gesundheitsministerien des Bundes und der Länder.

Editorial zum Spezial „Gesundheit“: Alles auf dem Prüfstand

Nach drei langen Jahren bekam ich eine erste Diagnose: "Vielleicht ist ihr Zopf zu eng!" Heute frage ich mich, ob mir ein KI-gesteuerter Dr. Roboter bei meinen Migräne-Symptomen ebenfalls nur eine neue Frisur und Ibuprofen verschrieben hätte. Eines jedoch ist sicher: Unser Gesundheitswesen wird sich drastisch verändern. Während die Digitalisierung stetig voranschreitet und neue Techniken Einzug gewinnen, kämpfen Pflegekräfte für Entlastung und höhere Löhne. Kann das eine das andere ermöglichen? Wir sind mitten in einem transformativen Prozess. Medikamentenversorgung, Krankenhausdichte, Arbeitsbedingungen, Forschung – alles steht auf dem Prüfstand.

Rita Schuhmacher