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Pflegekammern sind auch Thema beim Protest gegen den Pflegenotstand wie hier 2019 in LeipzigFoto: Renate Stiebitz

Ein Zusammenschluss von Pflegefachkräften zu sein, eine Art Standesvereinigung für Pflegekräfte, ähnlich wie die Ärztekammern, eine Aufwertung der Pflegeberufe, das sind hehre Ansprüche, mit denen die Pflegekammern antreten. In einigen Bundesländern gibt es sie bereits, die erste nahm Anfang 2016 in Rheinland-Pfalz ihre Arbeit auf. In Baden-Württemberg wurde die Pflegekammergründung auf die Zeit nach der Landtagswahl im März verschoben. In Nordrhein-Westfalen ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, ein Errichtungsausschuss hat seine Arbeit aufgenommen. In anderen Bundesländern wie Thüringen gibt es aktuell keine Pläne. In Niedersachsen wird die Pflegekammer nach einer Abstimmung von Pflegekräften voraussichtlich Mitte des Jahres aufgelöst, in Schleswig-Holstein steht eine solche Abstimmung Mitte bis Ende Fe-bruar an.

Verbunden ist das System der Pflegekammern mit Zwangsmitgliedschaften für die in der Pflege Beschäftigten und damit auch mit Zwangsbeiträgen. Einzige Ausnahme ist die Vereinigung der Pflegenden in Bayern, die nicht nur Einzelmitglieder sondern auch Verbände zusammenbringt. Hier gibt es keine Zwangsmitgliedschaft.

ver.di sieht Pflegekammern aus einer Reihe von Gründen sehr kritisch und positioniert sich klar dagegen. "Pflegekammern können auch nicht mehr Einfluss nehmen als schon jetzt Gewerkschaften", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Und die hätten die zentralen Probleme in der Pflege längst erkannt und angepackt. Auch eine bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, die sich viele Kammerbefürworter*innen unter den Beschäftigten von einer solchen versprechen, könnten die Kammern nicht durchsetzen.

Denn über Tarife verhandeln die Tarifparteien. Der Schlüssel für die Aufwertung der Pflegeberufe liege unter anderem in gesetzlichen Vorgaben für mehr Personal, um die Pflegekräfte zu entlasten. Trotz erster Erfolge bei diesenThemen entlasse ver.di den Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung. Gewerkschaftliche Aktionen hätten dafür gesorgt, dass das Thema in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion angekommen ist, und diese Erfolge erst möglich gemacht.

Drei Beispiele aus verschiedenen Bundesländern:

Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein gibt es seit April 2018 eine Pflegekammer, die Pflegeberufekammer. Vom 15. bis zum 28. Februar können deren Mitglieder jetzt darüber abstimmen, ob die Kammer weiter bestehen soll. Eine solche Abstimmung war eine Forderung von ver.di, denn nach der Einrichtung der Pflegeberufekammer waren tausende Pflegekräfte im Land zwischen den Meeren Sturm gegen die Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträge gelaufen.

„Pflegekammern können auch nicht mehr Einfluss nehmen als schon jetzt Gewerkschaften“
Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvorstandsmitglied

Von den rund 27.000 zahlungspflichtigen Pflegekräften hatten nur rund 6.000 ihre Einkünfte offengelegt, nach ihnen bemessen sich die Jahresbeiträge. Der Kammer drohte daher zwischenzeitlich die Pleite, sie konnte nur mit einem Zuschuss des Landes in Höhe von 3 Millionen Euro abgewendet werden. Allerdings war die Finanzierung an die Bedingung geknüpft, die Beiträge für 2019 auszusetzen und alle beruflich Pflegenden zu befragen, ob die Kammer fort-bestehen soll oder nicht.

Im Norden Deutschlands hat sich aber auch gezeigt, dass Pflegekräfte gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft etwas erreichen können. So gibt es an den Uni-Kliniken Schleswig-Holsteins (UKSH) eine erfolgreiche Tarifbewegung für Entlastung. Auch wurde im Land durchgesetzt, dass auch die Beschäftigten in den Krankenhäusern von der Pflegeprämie profitieren, die das Land gezahlt hat. In zahlreichen anderen Bundesländern war deren Auszahlung Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen vorbehalten.

"Die Pflegekammer kann für mich nichts erreichen", sagt Ines Lobitz, Fachkrankenschwester für Anästhesie am UKSH, in einem Podcast des ver.di-Landesbezirks Nord zu diesem Thema. "Und dennoch soll ich auch noch bezahlen." Für sie beträgt der Beitrag pro Jahr rund 150 Euro. Für ver.di-Gewerkschaftssekretär Christian Wölm ist auch die Spaltung der Beschäftigten im Gesundheitswesen nach Berufsgruppen nicht nachvollziehbar. "Wir waren schon bei der Einrichtung gegen die Pflegeberufekammer", sagt er.

Er hofft wie Ines Lobitz auf eine hohe Beteiligung an der Abstimmung und auf eine Mehrheit für die Abschaffung der Pflegeberufekammer. Dazu mobilisiert ver.di derzeit trotz Corona auf breiter Basis, informiert die Beschäftigten in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen über ihre Kritikpunkte. Bis zum 31. März soll dann das Ergebnis vorliegen, auf dessen Basis der Landtag über Fortbestand oder Abschaffung entscheidet.

Niedersachsen

Im Herbst vergangenen Jahres hatten sich 70,6 Prozent der abstimmenden Pflegebeschäftigten in Niedersachsen gegen den Fortbestand der Pflegekammer ausgesprochen. Jetzt soll die Pflegekammer voraussichtlich im kommenden Sommer aufgelöst werden. ver.di hatte von Anfang an gegen die Einrichtung der Kammer mobilisiert. Ein Kritikpunkt war unter anderem fehlende Transparenz.

Jetzt gehe es für ver.di in Niedersachsen darum, endlich gemeinsam die tatsächlichen und drängenden Probleme in der Pflege anzupacken. Dazu lädt ver.di-Landesfachbereichsleiter David Matrai alle Beteiligten zum Dialog ein. "Wir dürfen uns nicht spalten lassen", sagt er in einem Interview auf der Website des ver.di-Landesbezirks. Anderen Bundesländern rät er, aus den Erfahrungen in Niedersachsen zu lernen.

Rheinland-Pfalz

Hier nahm am 1. Januar 2016 die erste Pflegekammer in Deutschland ihre Arbeit auf – gegen den Widerstand ver.dis. Als deren Einrichtung aber nicht mehr zu vermeiden war, hat die Gewerkschaft eine eigene Liste für die Wahl zur Vertreterversammlung aufgestellt. Doch mit 13 von 81 Sitzen konnte ver.di bislang auf deren Beschlüsse keinen wirklichen Einfluss im Sinne der Interessen der Beschäftigten nehmen, sagt Silke Praefke. Die Personalrätin am Bundeswehrkrankenhaus Koblenz ist Mitglied der Vertreterversammlung. Sie schätzt, dass mehr als die Hälfte von deren Mitgliedern zum mittleren und gehobenen Management zählen.

Jetzt zieht ver.di wieder mit einer Liste in den Wahlkampf, gewählt werden soll am 16. Juli. Der Wahltermin wurde von der Landesregierung auf diesen Termin verschoben, das hatte der Vorstand gefordert, ohne dies mit der Vertreterversammlung abzusprechen. Für Silke Praefke ist dies ein weiteres Beispiel für den intransparenten Informationsfluss innerhalb der Kammer. Auch wurde über ver.di-Anträge, mit denen die Gewerkschaft feste Mandate für die Altenpflege sichern oder die Zahl der Stützunterschriften senken wollte, noch nicht abgestimmt. Derzeit kann die Vertreterversammlung nicht tagen, weil die Satzung auch ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie noch nicht so geändert wurde, dass digitale Versammlungen möglich sind.

Silke Praefke ärgert sich unter anderem auch über die Berufsordnung, die die Pflegekammer verabschiedet hat. Mit ihr wäre es sogar möglich, Verhalten außerhalb des Berufs als "Berufspflichtverletzung" in einem Berufsgerichtsverfahren zu ahnden. "Theoretisch könnte die Pflegekammer Whistleblowing bestrafen", befürchtet die Gewerkschaf-terin. Sie kritisiert auch, dass die Berufsordnung den Beschäftigten etliche Pflichten auferlegt, für deren Erfüllung sie aber nur wenig tun können, weil die dafür notwendigen organisatorischen Voraussetzungen von den Arbeitgebern geschaffen werden müssten. Auf deren Handeln kann die Kammer aber keinen Einfluss nehmen. "So üben die Kammern lediglich zusätzlichen Druck auf die beruflich Pflegenden aus, ohne deren Situation zu verbessern", sagt Praefke.

Auch zu Fort- und Weiterbildung verpflichte die Pflegekammer die Beschäftigten. Lebenslanges Lernen im Beruf hält Praefke für wichtig und sinnvoll. Doch solange die Arbeitgeber dafür keine freien Tage und Gelder bereitstellen müssten, sieht sie den von der Pflegekammer vorgegebenen Zwang kritisch. Sie hofft, dass die Kammer durch das Wahlergebnis zu einem "Instrument des Pflegeaufstands" wird – indem die ver.di-Liste viele Stimmen bekommt und dann die Sicht der abhängig Beschäftigten ins Zentrum von deren Beschlüssen rücken kann.

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