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Galeria-Karstadt-Warenhaus am Wandsbeker MarktFoto: ver.di HH

Corona wird für vieles verantwortlich gemacht, die Krise im Handel war aber schon deutlich vor der Pandemie da. Im Lebensmitteleinzelhandel etwa gibt es seit Jahrzehnten einen Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb, kleine Händler verschwanden und verschwinden vom Markt. Dagegen boomen die großen Ketten im Lebensmitteleinzelhandel, ebenso wie der Versand- und Onlinehandel und die Baumärkte.

Der Boom bedeutet für die Beschäftigten meistens erhöhten Arbeitsdruck und, was die Corona-Pandemie angeht, Gefährdung ihrer Gesundheit, weil der Infektionsschutz oft nicht ausreichend ist. In Branchen wie Mode, bei Warenhausketten oder Fachgeschäften wird die jahrelange Flächenexpansion zum größten Problem, denn der Verdrängungswettbewerb geht weiter, ebenso die Digitalisierung – und am Ende kommt es zu Filialschließungen. Ein Beispiel dafür ist Galeria Karstadt Kaufhof (GKK). Hier mussten Traditionshäuser wie das an der Mönckebergstraße schließen.

Bei einem der geretteten Warenhäuser, Galeria Karstadt Wandsbek, arbeitet Mark-Oliver Thöne, er beschreibt die Situation dort so: "Als Ende September 2020 klar wurde, dass es auch für die Filiale Wandsbek mindestens bis 2024 weitergeht, war die Freude natürlich groß. Es war eine große Aufgabe, die Filiale wiederherzurichten. Wir waren schließlich bereits fast komplett ausverkauft. Mit viel Freude und großen Anstrengungen haben die Kolleginnen und Kollegen es geschafft, die Filiale innerhalb von einigen Wochen wieder an den Start zu bringen. Leider war es notwendig – da die Umsätze in Wandsbek aufgrund der noch nicht wieder hergestellten Warendichte noch nicht wieder erzielt werden konnten – 15-prozentige Kurzarbeit anzumelden. Dann wurde Mitte Dezember, mitten im Weihnachtsgeschäft, wegen Corona der Non-Food-Einzelhandel komplett geschlossen. Also auch die Filiale Wandsbek. Damit war eine 100-prozentige Kurzarbeit für den größten Teil der Kolleginnen und Kollegen erneut notwendig, und es entwickelten sich dann natürlich leider wieder die bereits 2020 während der Schließungsphase bestehenden Existenzängste. Aber unser Motto ist und bleibt 'Aufgeben ist keine Option!' und das, dies ist zumindest unser Ziel, auch über 2024 hinaus!"

70.000 Beschäftigte

In Hamburg arbeiten etwa 70.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Einzelhandel, 75 Prozent der Betriebe im Hamburger Einzelhandel haben Kurzarbeit angemeldet. Jetzt macht ein neuer Begriff die Runde: Click&Collect. Das bedeutet, dass die Kund*innen Waren online bestellen und beim stationären Einzelhandel abholen. Ein möglicher Weg aus der Krise?

Heike Lattekamp, Fachbereichsleiterin Handel bei ver.di Hamburg, ist skeptisch. Das Format Click&Collect könne nur ein erster Ansatzpunkt sein, die Verbindung On- und Offline-Handel müsse weiter ausgebaut werden. "Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Beschäftigten in den Filialen zu Erfüllungsgehilfen der Maschinen gemacht werden", sagt Lattekamp. Wenn statt des Umgangs mit Kund*innen in Verkaufs- und Beratungsgesprächen immer mehr Pack- und Versandtätigkeiten den Arbeitsalltag prägten, trage das zu Frust und Unzufriedenheit bei. "Außerdem stehen etablierte Vergütungsmodelle auf dem Prüfstand, etwa wenn es um Prämien geht, die beim Verkauf in den Filialen gezahlt werden. Einkommensverluste können sich die Kolleginnen und Kollegen aber nicht leisten", warnt die Gewerkschafterin.

Mark-Oliver Thöne fordert eine konsequente Umsetzung der so genannten Omnichannel-Strategien im Unternehmen GKK. Es werde nicht funktionieren, wenn man, wie in der Vergangenheit, einfach ein paar Smartphones in die Filialen schicke und dann davon ausgehe, dass alle schon damit klarkommen werden. "Man muss die Kolleginnen und Kollegen mitnehmen", sagt er.

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Heike LattekampFoto: Daniel Bockwoldt

Außerdem müsse die Qualität des Galeria-Onlineshops schnell verbessert werden. "Es sollte mehr auf die Beschäftigten vor Ort gehört werden, die tagtäglich von den Kundinnen und Kunden erfahren, was die von GKK erwarten. Diese Informationen sind die besten, die man bekommen kann – besser als alle Informationen von teuren Unternehmensberatern! Das Format Warenhaus und damit auch die Filiale Wandsbek hat nach meiner Überzeugung eine große Chance am Markt, aber die Uhr tickt und Veränderungen müssen schnell kommen", so Thöne.

Auf die Wünsche der Kund*innen kommt es an, und die haben sich verändert: Immer wichtiger wird, dass Waren nachhaltigen, sozialen und ökologischen Kriterien entsprechen. Ein Zurück zur alten Normalität eines ökologisch und sozial blinden Wirtschaftssystems dürfe und werde es im Handel nicht geben können, meint Heike Lattekamp. Sie spricht sich für eine Politik aus, die soziale Ungleichheit, die Spaltung des Arbeitsmarktes und den fortschreitenden Raubbau an der Natur überwindet. Bezogen auf den Handel bedeute das, wirksame Maßnahmen gegen die zunehmende Macht- und Marktkonzentration der großen Konzerne und deren ruinösen Verdrängungskampf zu ergreifen. Die Opfer seien vor allem die Beschäftigten.

Zunehmende Hetze

"Um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, begehen immer mehr Unternehmen Tarifflucht und Lohndumping. Dazu kommt außerdem die immer umfangreichere Ausweitung von Öffnungszeiten bis in die Nachtstunden und am Wochenende. Parallel dazu wird Personal abgebaut, um die Kosten zu senken", beschreibt sie die Situation. Das bedeute für die Beschäftigten zunehmende Arbeitshetze, für die Kund*innen schlechtere Beratung und schlechtere Serviceleistungen. Die Gewinner*innen dieser verheerenden Entwicklung waren und seien Handelskonzerne wie Amazon oder die großen Ketten des stationären Lebensmittelhandels, die mit den während der Pandemie errungenen Extraprofiten ihre Vormachtstellung weiter ausbauen oder die Profite in Preiskämpfe mit den Konkurrenten investieren.

Notwendig sei ein grundsätzliches Umsteuern – weg von einem immer schärferen Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb, hin zu einer stärkeren Nachfrageorientierung, so Lattekamp. "Dumpinglöhne verschärfen die Krise im Handel, während spürbare Gehaltssteigerungen auch für die Beschäftigten im Handel direkte Auswirkungen auf die Umsätze der Unternehmen hätten." Dafür bieten die bevorstehenden Tarifrunden im Einzel- und Großhandel laut Lattekamp eine gute Gelegenheit. Zudem sollte die Gelegenheit genutzt werden, die neuen Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, um Tarifflucht und damit unfairen Wettbewerb zu verhindern.