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Seit dem 21. Februar 2020 bereits blockieren Notimex-Beschäftigte den Zugang zur Nachrichtenagentur – jeden TagFoto: Edgard Garrido/Reuters

Als sie im März 2019 von der Regierung auf den Chefposten der staatlichen mexikanischen Nachrichtenagentur gesetzt wurde, war die namhafte Investigativ-Journalistin Sanjuana Martínez mit offenen Armen empfangen worden. Für die Ablösung des damaligen Gewerkschaftsführers des Sindicato Único de Trabajadores de Notimex (Sutnotimex), dem Korruption vorgeworfen wurde, bekam Martínez breite Zustimmung. "Dann aber blieben Gehaltszahlungen aus, die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich", sagt Adriana Urrea, heute die Gewerkschaftsvorsitzende und Streikführerin. Denn seit nun bereits mehr als 14 Monaten streiken die Notimex-Beschäftigten. Sie protestieren gegen Kündigungen, nicht gezahlte Abfindungen und Verletzungen des Tarifvertrages.

"Wer sich auflehnte, wurde entlassen", erinnert sich Urrea an die Anfänge. Sie war damals Finanzreporterin. Sie habe "nur ihre Arbeit gemacht", an Gewerkschaftsaktivitäten nahm sie nicht teil. Als Mitte 2019 die ersten Kündigungen ausgesprochen wurden, organisierte sich die Belegschaft. Anfang Oktober wurde Urrea, inzwischen gewerkschaftlich aktiv, an die vakante Spitze der Gewerkschaft gewählt. "Sechs Tage später wurde mir gekündigt", sagt sie. Insgesamt verloren drei Viertel der ehemals 328 Mitarbeiter*innen ihren Job – laut Urrea in ihrer Mehrheit Gewerkschaftsmitglieder.

Auch Alejandro Meléndez wurde auf die Straße gesetzt. Dabei war der Fotoreporter von Martínez persönlich in die Agentur geholt worden. Doch in Folge des Arbeitskonfliktes überwarfen sie sich. Abgefunden wurde niemand. "Dabei hatte Martínez Geld von der Regierung erhalten, das ausdrücklich für Abfindungen bestimmt war", sagt der Fotograf. Parallel initiierte die Notimex-Chefin die Gründung einer alternativen Gewerkschaft und drohte den verbliebenen Beschäftigten mit Kündigung, sollten sie sich dieser nicht anschließen.

Das Tagesgeschäft ruht

Alles zusammen führte schließlich am 21. Februar 2020 dazu, dass gekündigte und aktive Angestellte den Zugang zum Notimex-Sitz in Mexiko-Stadt blockierten und die Arbeit der Agentur lahmlegten. Obwohl sich eine überwältigende Mehrheit der Belegschaft für den Streik aussprach, weigerte sich die Notimex-Spitze, diesen als rechtmäßig anzuerkennen.

Zwar ruhe seither das Tagesgeschäft, administrative Tätigkeiten und Lohnzahlungen an die Führung liefen aber weiter, sagt Urrea. Das sei ungesetzlich, nachdem die Regierung den Streik für legal erklärt habe. Auch sei die neue Gewerkschaftsführung nie anerkannt worden. Das mache einen Dialog unmöglich, so Urrea. "Das Unternehmen versucht, unseren kollektiven Tarifvertrag ohne Verhandlung zu eliminieren und die Arbeitsverträge aller Streikenden aufzulösen."

Der Arbeitskampf bei Notimex verweist auf ein generelles Problem des mexikanischen Gewerkschaftssystems, das auf Betriebsgewerkschaften beruht. "In Mexiko war Korporatismus die Regel", sagt Germán Sánchez Daza, Sozialwissenschaftler der Autonomen Universität Puebla. "Das heißt, Gewerkschaftsorganisationen wurden den Interessen des Staates unterworfen", vor allem während der mehr als 70 Jahre währenden Herrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Die neoliberale Wende ab Mitte der 1990er Jahre schwächte die Gewerkschaften weiter. Über Jahrzehnte wurde das Recht von Belegschaften auf freie Vereinigung und freie Wahl ihrer Gewerkschaftsführer immer wieder aufgeschoben. Das hat zu Instabilität und mangelnder Achtung der Arbeitsverträge geführt. "Die Direktorin der prestigeträchtigsten Agentur Mexikos macht einfach ihre eigenen Regeln, ignoriert Anweisungen der Regierung und der Gerichte und setzt sich über diese hinweg, das ist einfach verrückt", sagt Fotograf Meléndez.

"Es ist ein schwieriges Jahr gewesen – ohne Einnahmen", sagt Urrea. Neben Unterstützung durch die Familien hätten viele Streikende versucht, "irgendeine Form von Ersatzeinkommen zu schaffen: eine Kollegin hat begonnen Süßigkeiten zu verkaufen, eine andere Mund-Nase-Masken." Vermittlungsversuche des Bundesschiedsgerichtes scheiterten bislang. Meléndez hofft dennoch auf Vermittlung durch die Regierung. Anders ließe sich der Konflikt nicht lösen. Und trotz allem zieht er ein positives Zwischenfazit. "In einer Krise des Journalismus hat der Streik eine Diskussion darüber eröffnet, wie die Medienunternehmen ihre Angestellten behandeln." Es sei eine große Errungenschaft, der Öffentlichkeit dies aufzuzeigen – "mit Hilfe einer Gewerkschaft, wo viele Medienhäuser oder -unternehmen schon keine Gewerkschaft mehr haben".