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Gemeinsamer Streik von Metro und Kaufland in BayernFotos: Sylwia Lech

Sie galten neben Pflege- und Betreuungskräften als "Held*innen" der ersten Corona-Welle: Beschäftigte im Handel, die im vergangenen Frühjahr den Run auf die Regale mit Lebensmitteln und Drogerieartikeln bewältigten. In den laufenden Tarifrunden für den Groß- und Außenhandel (GAH) sowie Einzelhandel ist von Wertschätzung für die Beschäftigten nichts zu sehen: Die Arbeitgeber haben bisher nur mickrige Lohnerhöhungen angeboten.

In Nordrhein-Westfalen präsentierten sie Ende Mai in der zweiten Verhandlungsrunde für den Einzelhandel winzige Entgeltsteigerungen – und nur für Betriebe, die gut durch die Pandemie gekommen sind. Die sollen zum 1. Juli ein schmales Prozent mehr zahlen; die Corona-geschädigten Unternehmen würden erst zum 1. März 2022 dieses Lohnplus übernehmen. Weitere Steigerungen von 1,4 und 2 Prozent sehen die Angebote 2022 und 2023 vor – differenziert nach dem Grad der betrieblichen Pandemieschäden. Insgesamt ergäbe sich eine Laufzeit von 36 Monaten, während ver.di in allen Landesbezirken Tarifabschlüsse für ein Jahr gefordert hat. "So etwas nennen sie ein Angebot? Wir nennen das eine bodenlose Frechheit!", kommentierte Silke Zimmer, ver.di-Landesfachbereichsleiterin und Verhandlungsführerin in Nordrhein-Westfalen. In der Runde für den GAH hatten die Arbeitgeber zuvor vergleichbar geringe Lohnerhöhungen offeriert.

Eine Ohrfeige

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Für sie und ihre Kolleg*innen hat es sich ausgeklascht

Gestreikt wird bereits, weitere Streiks werden folgen – bundesweit und unter Beteiligung von Beschäftigten des tariflosen Online-Riesen Amazon sowie der tarifflüchtigen, noch nicht verkauften Real-SB-Warenhäuser. Die Streiks untermauern, was die Beschäftigten von den Angeboten halten. Als "Ohrfeige" für die Kolleg*innen im Handel hatte ein Mitglied der ver.di-Tarifkommission NRW nach dem Verhandlungsende für den GAH Ende Mai das Angebot bezeichnet – für Menschen, "die sich täglich Risiken bei ihrer Arbeit aussetzen". ver.di NRW fordert 4,5 Prozent plus 45 Euro mehr Entgelt und Ausbildungsvergütung bei einer Laufzeit von 12 Monaten, ein Mindeststundenentgelt von 12,50 Euro und die gemeinsame Beantragung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge.

Auch in anderen Landesbezirken legten die Arbeitgeber in Verhandlungsrunde 1 oft gar nichts vor, um im zweiten Aufschlag mit Kleinsterhöhungen aufzuwarten, die weit unter der aktuellen Inflationsrate bleiben. "Nachdem die Beschäftigten in der Pandemie einen Umsatzrekord von 6,8 Prozent unter schwierigsten Bedingungen erwirtschaftet haben, boten die Arbeitgeber in den Verhandlungen am 8. Juni für 2021 eine Entgelterhöhung von nicht mal 1 Prozent an",sagt Hubert Thiermeyer, ver.di-Landesfachbereichsleiter Handel und Verhandlungsführer in Bayern. "Nicht genug, dass dieses Angebot für die Beschäftigten Reallohnverlust bedeutet, wollen sie diesen im nächsten Jahr mit einer Erhöhung von 1,4 Prozent festschreiben und die Gefahr der Altersarmut dramatisch erhöhen."

In die erste Verhandlungsrunde für den GAH in Berlin und Brandenburg am 27. Mai kamen die Arbeitgeber mit leeren Händen: 2021 sollen die Beschäftigten aus ihrer Sicht keine Entgeltsteigerung bekommen, nur eine kleine Prämie – und das trotz ausgezeichneter Umsätze im Lebensmittel- wie im Pharmagroßhandel. "Die Arbeitgeber setzen auf Konfrontation statt auf Fairness und Wertschätzung. Dieses Angebot ist für uns nicht verhandelbar", erklärte die ver.di-Verhandlungsführerin für den GAH Berlin-Brandenburg, Franziska Foullong. Die Tarifkommission werde "mit ihren Mitgliedern in den Betrieben nun die passende Antwort beschließen, um gestärkt in die zweite Verhandlungsrunde am 30. Juni zu gehen".

Vom Gros der Arbeitgeber setzt sich der Schwarz-Konzern (Kaufland, Lidl) ab, der Ende Mai eine "freiwillige Tariferhöhung um 3 Prozent" ab Juni zusagte. "Sicher sollen damit auch weitere Streiks verhindert werden, aber Kaufland und Lidl gehören zu den wenigen Handelsunternehmen, die Tarif zahlen", sagt Boris Faulstich, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Kaufland Fulda und Mitglied der ver.di-Tarifkommission in Hessen. Außerdem trete die Schwarz-Gruppe für die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Handel ein, womit das Unternehmen ebenfalls eine Minderheitenposition im Arbeitgeberlager einnimmt. "Unter den Kolleg*innen bei uns ist der Wunsch nach allgemeinverbindlichen Tarifverträgen groß", so Faulstich. Wenn Arbeitgeber nicht einfach aus der Tarifbindung gehen könnten, würde der Druck auf Löhne und Arbeits-bedingungen insgesamt nachlassen.

Inzwischen gibt es eine vom Land Bremen gestartete Bundesratsinitiative für die Allgemeinverbindlichkeit, bei der die Arbeitgeberseite nicht mehr die Tarifbindung blockieren könnte wie bisher. Möglicherweise wird es noch ein wichtiges Thema im Wahlkampf.