Ausgabe 04/2021
Das war längst überfällig
Die Pandemie hat ihren Höhepunkt überschritten. Die Infektionswelle ebbt ab und immer mehr Menschen sind geimpft. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen werden aber noch lange spürbar sein. Der notwendige staatliche Rettungseinsatz – Soforthilfen, Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen – war teuer. Die Zeche der Krise beläuft sich auf rund 1,5 Billionen Euro. Die Schuldenbremse zwingt die Kassenwarte schon bald, jedes Jahr über 10 Milliarden Euro in die Tilgung der Corona-Schulden zu stecken.
Doch wer soll das bezahlen? Zu Recht diskutiert die Republik darüber, die Profiteure der Krise zur Kasse zu bitten. Schließlich bescherte der pandemie-bedingte Digitalisierungsschub Amazon, Apple, Zalando & Co milliardenschwere Extraprofite. Allein der Versandhändler aus Seattle steigerte seinen Umsatz hierzulande um ein Drittel auf rund 25 Milliarden Euro. Doch damit nicht genug. Automobilkonzerne schütteten Dividenden aus, während sie mit Kurzarbeitergeld und Konjunkturhilfen gestützt wurden. VW, BMW und Daimler erzielten im Corona-Jahr 2020 einen Gewinn von 20 Milliarden Euro.
Jahrzehntelang förderte eine neoliberal gestaltete Globalisierung das weltweite Steuerdumping
Die Verteilungsfrage stellt sich auch im Ausland. US-Präsident Biden muss ein zwei Billionen schweres Infrastrukturprogramm bezahlen. Finanznot macht erfinderisch. Deswegen wollen die Schatzmeister der sieben führenden Industriestaaten (G7) jetzt dafür sorgen, dass Großunternehmen und Tech-Konzerne mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Janet Yellen, Olaf Scholz und Kollegen einigten sich auf ihrem letzten Gipfeltreffen darauf, eine weltweite Mindeststeuer und eine neue Digitalsteuer einzuführen. Und das ist längst überfällig. Jahrzehntelang förderte eine neoliberal gestaltete Globalisierung das weltweite Steuerdumping. Die nationalen Regierungen senken seit 1980 ihre Firmensteuern. Der durchschnittliche globale Unternehmenssteuersatz halbierte sich von 45 auf 23 Prozent. Doch selbst das war den Konzernen noch zu viel. Deswegen rechneten die Multis ihre Gewinne klein und verschoben sie in Steueroasen. Mit legalen Steuertricks drückten die Großunternehmen ihre tatsächliche Steuerbelastung. Heute zahlen sie in fast keinem europäischen Land den gesetzlichen Steuersatz. Apple, Ikea und die Deutsche Bank entrichten in Luxemburg ein Prozent Steuern. In Ungarn liegt die tatsächliche Steuerlast bei 8 Prozent, in Bulgarien, Zypern und Holland bei 10 Prozent.
Aber auch in Deutschland zahlen die Konzerne mit 20 Prozent nur zwei Drittel des regulären Unternehmenssteuersatzes. Aber damit nicht genug. In einer digitalisierten Wirtschaft sind Gewinne nicht mehr an physische Betriebstätten gebunden. Amazon, Facebook und Alphabet überweisen ihre Steuern nicht dort, wo sie verkaufen, ihre Werbeeinnahmen lenken sie in Steueroasen um. Deswegen zahlen Amazon und Facebook auf der ganzen Welt nur 12 Prozent Steuern. Nach Schätzungen des Tax Justice Network verlieren die nationalen Regierungen jährlich 427 Milliarden US-Dollar durch Steuerflucht.
Damit soll zukünftig Schluss sein. Die Finanzminister wollen bei allen Unternehmen, für die sie steuerlich zuständig sind, mindestens 15 Prozent Steuern kassieren. Wenn Konzernmütter oder -töchter im Ausland zu gering besteuert werden, soll der Fiskus einen Nachschlag verlangen können. Der künftige Steuerkuchen soll aber nicht nur größer, sondern seine Stücke sollen auch neu zugeschnitten und gerechter verteilt werden. Großunternehmen sollen auch in Ländern Steuern zahlen, wo sie ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Dies soll für Konzerne mit einer Profitmarge von mindestens zehn Prozent gelten. Ein Fünftel des Profits, oberhalb dieser Schwelle, soll dort besteuert werden, wo der Umsatz anfällt.
Diese geplante neue globale Steuerarchitektur geht in die richtige Richtung. Die internationale Mindeststeuer kann den weltweiten Steuersenkungswettlauf stoppen. Der Mindeststeuersatz von 15 Prozent ist aber zu niedrig. Mindestens 25 Prozent wären vor dem Hintergrund der Steuersenkungen der letzten Jahrzehnte und der hohen öffentlichen Investitions- und Ausgabenbedarfe angemessen. Eine gerechtere Verteilung des Kuchens ist ebenfalls dringend erforderlich. Kritisch ist jedoch, dass nur ein Fünftel des Gewinns oberhalb einer zehnprozentigen Gewinnmarge besteuert werden soll. Und besser als die Neuaufteilung der Besteuerungsrechte nach Umsatz wäre eine Aufteilung der globalen Gewinne nach realer Wertschöpfung – eine Gesamtkonzernsteuer. Trotz allem: Die wachsende Internationale für mehr Steuergerechtigkeit ist ein Fortschritt.