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Foto: ddp/abaca press

"Wir haben eine kollektive Verantwortung, diese Pandemie zu bekämpfen", sagt Sascha Heribert Wagner. "Dem kann sich kein EU-Staat, keine Nation auf der nördlichen Halbkugel entziehen." Der gelernte Kranken- und Gesundheitspfleger ist Mitinitiator der Europäischen Bürgerinitiative (EBI), die er gemeinsam mit zehn weiteren EU-Bürger*innen Mitte des Jahres 2020 ins Leben gerufen hat.

Für eine weltweit gemeinsame Nutzung

Ein Blick auf die Impfquoten beispielsweise in Afrika, sagt Wagner, reiche aus, um zu verdeutlichen, wie ungleich und ungerecht der Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zwischen Industrieländern und den Ländern des globalen Südens derzeit aufgeteilt sei. "Da gibt es ganze Staaten, die bisher nur 1.300 Impfstoff-Portionen bekommen haben. Das ist ja irrsinnig." Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut Bundesgesundheitsministerium bis Ende Juli 2021 über 90 Millionen Impfdosen verabreicht. Weltweit sind es Anfang August 2021 nach Angaben der Johns-Hopkins-University über vier Milliarden gewesen, ein Großteil davon wurde in finanzstarken Industriestaaten verimpft.

"Da gibt es Staaten, die bisher nur 1.300 Impfstoff-Portionen bekommen haben. Das ist irrsinnig."
Sascha Heribert Wagner, Mitinitiator EBI "Kein Profit durch die Pandemie"

Um weltweit lizenzfrei und somit kostengünstiger mehr Impfstoff produzieren zu können, haben Südafrika und Indien im Oktober 2020 einen Vorschlag bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereicht. Dieser sieht vor, vorübergehend das Patentrecht für alle Produkte auszusetzen, die zur Vorbeugung, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 notwendig sind. Mehr als 100 Länder und zahlreiche internationale (Gewerkschafts-⁠)Organisationen unterstützen den Vorschlag, der offiziell TRIPS-Waiver genannt wird (siehe Kasten unten). Auch ver.di befürwortet den TRIPS-Waiver. Doch Länder wie Norwegen, Großbritannien und die Schweiz, aber auch die Europäische Union blockieren die Aufhebung der geistigen Eigentumsrechte für die Dauer der Pandemie. Sie verweisen darauf, dass private Unternehmen hohe Forschungskosten in die Entwicklung neuer Impfstoffe stecken würden. Bei einer Aufhebung der Patente gäbe es für Pharmakonzerne zukünftig nur noch wenig Anreize, neue Impfstoffe und Arzneimittel zu entwickeln.

Und genau deswegen wendet sich die europäische Bürgerinitiative "Kein Profit durch die Pandemie" direkt an die Europäische Kommission. Die EBI fordert die EU-Kommission auf, eine rechtliche Verpflichtung einzuführen, welche die Empfänger von EU-Mitteln zu mehr Transparenz anhält. Denn auch die Erforschung und Entwicklung der aktuellen Corona-Impfstoffe wurde mit öffentlichen Mitteln gefördert.

Die EBI möchte unter anderem die Veröffentlichung von Verträgen zwischen öffentlichen Behörden und Pharmaunternehmen erreichen. Dort also, wo öffentliche Gelder und Steuermittel in die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungsmethoden fließen, fordert die EBI die Möglichkeit einer öffentlichen Kontrolle. Öffentliche Mittel, so die Begründung, sollten immer eine Garantie für die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit der durch sie finanzierten Forschungsergebnisse sein. Daher fordert die EBI die Europäische Kommission auch dazu auf, rechtliche Verpflichtungen einzuführen, die eine schnelle, weltweit gemeinsame Nutzung der neuen Gesundheitstechnologien in Bezug auf Covid-19 ermöglichen.

"In dieser besonderen Situation darf der Patentschutz nicht im Wege stehen."
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

Zudem soll die EU-Kommission über entsprechende Rechtsvorschriften sicherstellen, dass ein privates Pharmaunternehmen nicht entscheiden kann, wer Zugang zu Behandlung oder Impfstoffen hat und zu welchem Preis. Denn Patente geben einem einzigen Unternehmen die Monopolkontrolle über einzelne Arzneimittel. Das begrenzt automatisch deren Verfügbarkeit, und die Kosten, etwa für Impfstoffe, steigen. Deshalb können derzeit nur wirtschaftlich starke Länder ausreichend Covid-19-Impfstoff für ihre Bevölkerung ordern. Trotz bereits bestehender Initiativen wie der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) initiierten globalen Impfkampagne COVAX stehen den Ländern des globalen Südens bisher noch nicht ausreichend Impfstoffe zur Verfügung, um ihre Bevölkerung zu immunisieren. Was wiederum die Eindämmung der Pandemie verhindert und das Entstehen neuer Mutanten wahrscheinlich macht.

Angesichts der weltweit hohen Infektions- und Sterberaten seien die wirtschaftlichen Interessen der Pharmakonzerne daher nicht wesentlich, so der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. "Maßgeblich ist einzig und allein, über welchen Weg, möglichst schnell, möglichst sicher und möglichst kostengünstig Vakzine hergestellt und weltweit verimpft werden können," sagt der Gewerkschafter und unterstützt die Hauptforderung der Europäischen Bürgerinitiative. "In dieser besonderen Situation darf der Patentschutz dem nicht im Wege stehen."

Markt regelt es nicht

Dass der Markt allein eine global flächendeckende und gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen nicht regelt, davon sind auch die Initiator*innen der EBI überzeugt. Sie alle engagieren sich ehrenamtlich, um die Initiative öffentlich bekannt zu machen. Bis zum 1. August 2022 müssen sie europaweit mindestens eine Million Unterschriften sammeln, damit sich die EU-Kommission mit ihrem Anliegen befasst. Und alle EU-Staaten müssen dafür eine Unterschriften-Quote erfüllen.

In Deutschland werden dafür genau 67.680 Unterzeichner*innen benötigt. "Bisher haben wir in Deutschland knapp 20 Prozent dieses Quorums erreicht", sagt Sascha Heribert Wagner. In Ländern wie Italien oder Belgien, in denen die Corona-Zahlen während der ersten und zweiten Welle massiv in die Höhe schnellten, sind die nötigen Unterschriften-Quoten schon jetzt erfüllt. Wagner ist zuversichtlich, dass dies auch in Deutschland noch gelingt. "Ich zähle da natürlich auch auf meine Kolleginnen und Kollegen in ver.di."

Auch die Vorsitzende des ver.di Gewerkschaftsrats, Martina Rössman-Wolf, empfiehlt allen ver.di-Mitgliedern ausdrücklich, die EBI zu unterschreiben, um Druck auf die Bundesregierung aufzubauen. "Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sehr zögerlich, die Aufhebung des Patentschutzes zu unterstützen", so die Gewerkschafterin. Solidarität aber dürfe nicht an Grenzen aufhören, betont die Vorsitzende des höchsten ehrenamtlichen Gremiums in ver.di. "Wir brauchen diese Aufhebung, um die Produktion der Impfstoffe bei hoher Qualität zu beschleunigen." Und davon würden dann wirklich alle profitieren.

Wofür steht TRIPS?

Das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) ist das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (engl. Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights). Die temporäre Aussetzung von Patenten wird WAIVER genannt.

Noch mehr Infos

Unter noprofitonpandemic.eu/de gibt es weitere Informationen und den Link zum Unterzeichnen der Europäischen Bürgerinitiative „No Profit on Pandemic“ („Kein Profit durch die Pandemie“).

ver.di unterstützt die Europäische ­Bürgerinitiative „No Profit on Pandemic“. Darüber hinaus ist ver.di Teil des Bündnisses „Make them Sign!“ (make­themsign.eu) in dem zivilgesellschaft­liche ­Akteure gemeinsam die Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe und Medizinprodukte zur Bekämpfung des Corona-Virus fordern.