Ausgabe 06/2021
Der Schwarm weiß nicht alles
Die Frage in der Facebook-Gruppe ist einfach. "Ich bin gerade im Schwarzwald und würde gerne weiter an den Bodensee fahren. Wer weiß, ob es da noch freie Kapazitäten auf den Campingplätzen gibt." Ich denke, die Platzbetreiber*innen würden es sicherlich wissen, doch davon gibt es reichlich. Bei der oberflächlichen Suche auf einer Karte im Internet zähle ich auf die Schnelle etwas mehr als 60 Camping- und Wohnmobilstellplätze, Angabe ohne Gewähr.
Die Fragestellerin setzt jedoch auf ihre Facebook-Gruppe. Einige der dort Angesprochenen nennen Plätze, die sie persönlich gar nicht kennen, andere schreiben, dass sie vor einer Woche vor Ort gewesen seien, "da war alles entspannt". Der Tipp, sich Plätze, die ihren Vorstellungen entsprechen, aus dem Internet zu suchen und dort anzurufen, kommt bei der Fragenden nicht gut an: "Wozu haben wir denn hier die Gruppe?"
Immer mehr Menschen setzen auf solche Erfahrungen, auf die sogenannte Schwarmntelligenz. Der Schwarm weiß scheinbar alles, und was zählt es da schon, dass ein Campingplatzbetreiber vielleicht wegen seines Hygiene-Konzepts nur einen Teil seiner Stellplätze vergeben kann oder ab dem kommenden Wochenende mit vorliegenden Reservierungen ausgebucht ist. Klar kann das Wissen des Schwarms weiterhelfen, aber nur bei ganz gezielten Suchen.
Meist wird der Schwarm weit überschätzt. Da wird ein Campingplatz gesucht im Umkreis von stattlichen Kilometern rund um eine Stadt mitten in Deutschland. Keine Vorlieben, keine Hobbys, keine Interessen werden angegeben. Die Zahl der Antworten ist dennoch erstaunlich hoch, meist sind es kurze Angaben von Namen oder Web- adressen. Und die muss ich mir alle genauso einzeln ansehen, als wenn ich eine Suchmaschine genutzt hätte. Einziger Vorteil: Ich war mal in einer Facebook-Gruppe präsent.
Steht doch in der Facebook-Gruppe
Dass in diesem Text bislang nur von Campingplätzen die Rede ist, liegt daran, dass ich dort aus persönlichem Interesse häufig unterwegs bin. Und mich wundere, warum sich andere wundern, dass man das Zelt bei acht Grad Außentemperatur nicht gut heizen kann. Ich frage mich auch, warum Menschen in ihrer Facebook-Gruppe nach Hilfe beim Zeltaufbau suchen – und nicht einfach das Naheliegende tun und die anderen Gäste auf dem Platz ansprechen.
Aber egal, der Schwarm kennt hoffentlich auch die Route, mit der man in sieben Tagen alle Highlights Schottlands abhaken kann, weiß, wie das Wetter in diesem Jahr Ende Oktober in Kroatien ist und ob und welche Papiere man für den Hund bei der Einreise in die Niederlande braucht. Nötig sind übrigens ein Chip, mit dem der Hund identifiziert werden kann, und der EU-Heimtierausweis, in dem auch die Tollwutimpfung dokumentiert wird. Diese Information findet man über eine Suchmaschine in Sekunden bei einer seriösen Seite wie der des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Im Schwarm wissen hingegen viele, dass gar kein Nachweis nötig ist, schließlich reise man seit Jahren nach Texel und sei noch nie kontrolliert worden. Und dann stelle ich mir vor, wie jemand bei einer Stichprobenkontrolle nach Chip und Papieren gefragt wird – und erklärt, das mit der Quarantäne für das Tier sei wohl ein Scherz, denn die Facebook-Gruppe habe doch gesagt ... Heike Langenberg