Ausgabe 07/2021
Da muss mehr Gewerkschaft rein
Eine weitere Regierung unter Führung der CDU/CSU nach der Nach-Merkel-Ära galt lange Zeit als gesetzt. Dann hatten sich die politischen Verhältnisse nicht zuletzt aufgrund interner Machtkämpfe der Unionsparteien und Fehlern ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet nach und nach zugunsten der SPD und ihres Kandidaten Olaf Scholz verschoben. Schließlich landete die Union bei der Bundestagswahl sogar hinter der SPD und fuhr mit 24,1 Prozent ein Allzeittief ein. SPD und Bündnis 90/Die Grünen gingen hingegen als klare Gewinner aus der Wahl hervor und konnten gegenüber der letzten Bundestagswahl jeweils um gut fünf Prozentpunkte zulegen. Und das mit sozial und ökologisch engagierten Wahlprogrammen, in denen sich viele Forderungen der Gewerkschaften wiederfinden.
So wird in beiden Programmen etwa zur Stärkung der Tarifbindung eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gefordert und ein Tariftreuegesetz, das die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an die Einhaltung von Tarifverträgen bindet. Des Weiteren: die Verbesserung der Bezahlung in der Pflege, ein Mindestlohn von 12 Euro, keine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, die Sicherung des Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent. Der weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters wird eine Absage erteilt. Zur Finanzierung dringender öffentlicher Investitionen und als Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit wurde von beiden Parteien ausdrücklich die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine höhere Erbschafts- und Schenkungssteuer gefordert.
Da eine nach dem Wahlergebnis mögliche große Koalition niemand mehr will, einer Dreierkoalition aus Rot-Grün-Rot fünf Sitze fehlen, bleibt Olaf Scholz zur Kanzlerschaft letztlich nur die "Ampel", ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP. Und darauf läuft nun ja auch alles hinaus. Das Problem ist nur, dass das Wahlprogramm der FDP sich in weiten Teilen wie ein Gegenentwurf sowohl zu den Positionen der Gewerkschaften wie zu denen von SPD und Grünen liest: Der "satte und träge" Staat solle sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und stattdessen die "Stärke des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs" nutzen. Gewerkschaften kommen im Wahlprogramm der FDP bezeichnenderweise gar nicht vor, kein Wort zur Problematik abnehmender Tarifbindung, dafür Beschwörung von Markt und Flexibilität, unter anderem im Arbeitszeitgesetz durch Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit. Einer Erhöhung von Steuern, gar die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, wird nicht nur explizit ausgeschlossen, sondern im Gegenteil eine Steuerentlastung auch von hohen Einkommen gefordert.
nsofern durfte man auf die Ergebnisse der Sondierungsgespräche gespannt sein. Das nun vorliegende Ergebnis hat mit Blick auf die gewerkschaftlichen Anliegen Licht-, aber auch deutliche Schattenseiten. Positiv ist zweifellos das grundsätzliche Bekenntnis zur Stärkung der Tarifautonomie, wenngleich konkrete Maßnahmen gerade an dieser Stelle fehlen. Hervorzuheben ist auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 12 Euro, die Festlegung auf ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent bei gleichzeitiger Ablehnung einer Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters und die Einführung eines existenzsichernden Bürgergeldes statt Hartz IV.
"Gewerkschaften kommen im Wahlprogramm der FDP gar nicht vor"
Auf der Schattenseite, die klar die Handschrift der FDP trägt, steht jedoch die Ankündigung einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes im Rahmen von "Experimentierräumen", etwa mit der Möglichkeit von der Tageshöchstarbeitszeit mittels Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen abzuweichen. Statt Eindämmung der Mini- und Midi-Jobs wird eine Ausweitung angekündigt, indem die jeweiligen Einkommensgrenzen angehoben werden. In der Gesetzlichen Rentenversicherung soll ein Einstieg in die Kapitaldeckung erfolgen. Statt einer solidarischen Bürgerversicherung wird es bei dem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Kranken- und Pflegeversicherung bleiben. Schwer wiegt aus sozial- und verteilungspolitischer Sicht, dass Steuererhöhungen oder der Einführung neuer Steuern explizit eine Absage erteilt und gleich-zeitig an der Schuldenbremse festgehalten wird.
Über das alles wird in den laufenden Koalitionsgesprächen verhandelt. Bleibt zu hoffen, dass am Ende ein Koalitionspapier steht, das gegenüber den vorliegenden Sondierungsergebnissen deutlicher auch gewerkschaftliche Forderungen aufgreift und konkret umsetzt. Dies würde auch dem politischen Gewicht, dem Gestaltungsanspruch von Rot-Grün und nicht zuletzt dem Wählerauftrag entsprechen.