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Früher oft wochenlang unterwegs, hat Lars Borck heute mehr Zeit fürs Privatleben. Für ihn ist das Life-Work-BalanceFoto: Bernd Arnold

Als Erstes lade ich euch zu einem kleinen Denkspiel ein: Geht mal in Gedanken durch eure Wohnung oder seht euch an eurem Arbeitsplatz um. Nahezu alle Gegenstände, die ihr seht, wurden irgendwann mal von LKW transportiert. Dasselbe gilt für Orte wie Tankstellen, Supermärkte, Baumärkte oder Fahrradshops. Auch euer Müll wird mit dem LKW abgeholt. Ganze Branchen sind auf uns angewiesen. Und nein: Wir sind nicht das wichtigste Rad im Getriebe der Gesellschaft. Aber ohne uns funktioniert sie ebenso wenig, wie ohne die Menschen in der Pflege, in der Bildung oder der Müllentsorgung.

Ich bin in diesen Beruf, wie viele meiner Kollegen, als Quereinsteiger gerutscht. Erst auf Reise-, Schul- und Linienbussen, anschließend im Event-Bereich auf Tourneebussen. Ich war oft wochenlang unterwegs, da leidet das Privatleben extrem. Ich schlief vier bis fünf Tage im Bus und kam nur am Wochenende nach Hause. Um eine bessere Life-Work-Balance zu haben, beschloss ich, nur noch fünf Tage in der Woche unterwegs zu sein und wechselte auf den LKW. Ja, ich weiß: Es heißt eigentlich Work-Life-Balance. Für mich steht aber das Leben vor der Arbeit. Daher bin ich nach den letzten sechs Jahren in der ADBlue-Kraftstoff-Versorgung jetzt auf einen Tankzug im Lebensmittelbereich gewechselt. Das hat den Vorteil, dass ich jeden Tag zu Hause bin.

Vergleicht das mal!

In der Regel stehe ich morgens um vier auf und beginne um 5 Uhr 30 meinen Arbeitstag. Zur täglichen Aufgabe gehört die gesetzlich vorgeschriebene Abfahrtskontrolle des Fahrzeugs. Sprich Beleuchtung, Flüssigkeiten, Reifen, Bremsen checken, Beschädigungen am Fahrzeug feststellen und so weiter. Anschließend beliefere ich einen Kunden mit Vinasse, einem fermentierten Sirup, oder fahre leer zu einer Ladestelle, um einen Zug Melasse für eine Hefe-Fabrik zu laden. Je nach Entfernung können es auch zwei Ladungen sein. Hängt davon ab, ob ich das innerhalb der gesetzlichen Vorgaben schaffe: Wir dürfen grundsätzlich neun Stunden am Tag lenken, abweichend zwei Mal in der Woche 10 Stunden. In einer Doppelwoche aber insgesamt nicht mehr als 90 Stunden. Dazu kommt in Deutschland das Arbeitszeitgesetz, nach dem wir im Durchschnitt auf 16 Wochen gerechnet nicht mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Vergleicht das mal mit euren Wochenarbeitszeiten.

Aufgrund der wachsenden Konkurrenz, vor allem aus Osteuropa, fährt unsere Branche in Deutschland schweren Zeiten entgegen. Dabei waren 2020 in Deutschland – trotz Pandemie – mehr LKW auf deutschen Straßen unterwegs als je zuvor. Zum Teil hing das mit dem wachsenden Online-Handel zusammen. Aber eben nicht nur. Der LKW ist nach wie vor flexibler und – durch Preisdumping – günstiger als Transporte über Schiene oder Wasser. Und weil die Zahl der LKW wächst, fehlen in Deutschland mittlerweile circa 30.000 Parkplätze für LKW. Und es gibt Berechnungen, denen zufolge die Anzahl der LKW in den nächsten Jahren um bis zu 30 Prozent steigen soll.

Der Preisdruck, hauptsächlich durch Speditionen aus den Mittel- und osteuropäischen Staaten, entsteht dadurch, dass dort viele Arbeitsverträge auf einem niedrigen Grundlohn und hohen Spesen und Zulagen basieren. Das erspart den Arbeitgebern eine große Menge Sozialabgaben und Steuern, da auf Spesen und Zulagen beides nicht berechnet wird. Das wird ausgenutzt. Zum Beispiel durch Amazon. Wenn ihr deren LKW seht, sind die Auflieger in Deutschland zugelassen. Die Zugmaschinen vorne sind aber überwiegend aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Lettland, Estland etc..

Angefangen hat diese Entwicklung mit der EU-Osterweiterung in den 90er Jahren. Es gab so manche westeuropäische Firma, die in Osteuropa eine Filiale aufgemacht und Fahrer zu den dort geltenden Gesetzen eingestellt hat, um über den Preis mehr Druck auf die Konkurrenz auszuüben. Irgendwann verstanden osteuropäische Firmen das Spiel aber auch und begannen ihrerseits, auf den gesamteuropäischen Markt zuzugreifen – mit noch günstigeren Preisen. Durch andere Lohn-Modelle (niedriger Lohn, hohe Zulagen und Spesen), andere Steuer- und Versicherungsbedingungen sparen osteuropäische Unternehmen bis zu 5.000 Euro pro Jahr im Vergleich zu deutschen Spediteuren.

"Leider herrscht auch bei uns ein Fachkräftemangel. Da wurden die Weichen für die Zukunft nicht gestellt."

Das soll aber kein Osteuropa-Bashing sein! Vielmehr ist die Arbeitsmarktsituation etwa in Rumänien so miserabel, dass viele Fahrer darauf angewiesen sind, LKW zu fahren. Dafür stehen sie unter enormem Druck. Sie sind bis zu sechs Monate im Jahr nicht zu Hause. Kündigungen sind schnell ausgesprochen. Näheres dazu könnt ihr unter faire-mobilitaet.de nachlesen – das ist eine DGB-Initiative, die sich für faire Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitendem Arbeiten einsetzt.

Eigentlich gibt es auch in diesen Ländern Gesetze, die diese Firmen zu beachten haben. Aber sie werden viel zu wenig kontrolliert, und die Strafen in Deutschland sind nahezu lächerlich. Die Polizei und das Bundesamt für Güterkraftverkehr (BAG) mussten radikale Einsparungen hinnehmen und haben viel zu wenig Personal für flächendeckende Kontrollen.

Leider herrscht längst auch bei uns ein Fachkräftemangel. Da wurden die Weichen für die Zukunft nicht gestellt. Die Anzahl der Auszubildenden zum Berufskraftfahrer ist im Vergleich zur Anzahl der kurz vor der Rente stehenden Fahrer und Fahrerinnen lächerlich. Viel zu wenig Betriebe bilden Nachwuchs aus. Und es wurde versäumt, unseren Beruf mit einer geänderten Life-Work-Balance und verbesserten Arbeitsbedingungen attraktiv zu gestalten. Die Auswirkungen sieht man gerade in Großbritannien. Dort fehlen zurzeit rund 100.000 Fahrer. In England haben sehr viele osteuropäische Fahrer gearbeitet. Aufgrund des Brexits kehren sie nicht zurück, auch weil die Kosten für die Arbeitsgenehmigung so hoch sind. Das hat dazu geführt, dass Großbritannien Fahrer jetzt mit extrem hohen Löhnen ködert. Ein Beispiel: 4.500 Pfund (ca. 4.400 Euro/Monat) Einstiegsgehalt plus Spesen; Kostenübernahme für Parken, Hotels, Arbeitskleidung, Weiterbildung; 30 Tage Urlaub, Überstunden und Wochenendarbeit werden voll bezahlt; dazu kommen noch diverse Boni. Und das ist nicht einmal das höchste Angebot, von dem ich weiß. Es soll Firmen geben, die pro Tag mehrere hundert Pfund zahlen.

Initiative Kraftfahrerkreise

Während der Lockdowns mussten auch wir Fahrer mit extremen Einschnitten leben. Geschlossene Raststätten und Autohöfe, fehlende sanitäre Einrichtungen und keine Möglichkeit, etwas Warmes zu essen zu bekommen. Gleichzeitig sollten wir aber die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft sicherstellen. Ich will damit sagen, dass auch wir unter den Einschränkungen gelitten haben und teilweise noch immer leiden. Trotz unserer häufig wechselnden Kundenkontakte wurden wir weder bei Schnelltests noch beim Impfen vorgezogen. Mir kommt es vor, dass wir LKW-Fahrer oft übersehen werden.

Ein weiterer Punkt, unter dem allerdings nicht nur wir LKW-Fahrer leiden, sind die vielen Baustellen auf den Autobahnen. Zum Teil durch sehr schlechte Verkehrsführung wird da das Gefahrenpotenzial für Unfälle erhöht. Die Initiative "Hellwach mit 80" hat da interessante Verbesserungsvorschläge, die möchte ich empfehlen.

Natürlich würde es helfen, wenn wir besser organisiert wären. Von schätzungsweise 500.000 Berufskraftfahrern in Deutschland sind gerade mal sechs Prozent gewerkschaftlich organisiert. Seit einigen Jahren gibt es die von ver.di unterstützte Initiative Kraftfahrerkreise Deutschland, eine Informationsplattform und Anlaufstelle. Dort vermitteln wir Fahrerinnen und Fahrern, dass nur eine starke Gewerkschaft Veränderungen herbeiführen kann. Dazu muss man sich allerdings selbst engagieren. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es immer nur wenige waren, die für viele etwas bewegt haben.

Erfreulich ist, dass unsere Gewerkschaft in unserem Bereich wieder aktiver geworden ist, nachdem man eine Zeitlang das Gefühl hatte, dass wir Fahrer eher stiefmütterlich behandelt wurden. Was am Ende aber auch an uns selbst lag. Denn wie heißt es so schön: Eine Gewerkschaft ist nur so stark wie ihre Mitglieder. Ich wünsche mir, dass innerhalb der verschiedenen Berufe mehr Solidarität gelebt wird und wir uns gegenseitig unterstützen.

Infos und Kontakte unter faire-mobilitaet.de; Kraftfahrerkreise.de

Dieser Text ist ein aktualisierter Auszug aus unserem Blog wir-sind-verdi.de. Dort stellen ver.di-Mitglieder regelmäßig ihren Beruf vor.

Kraftfahrer-Fakten

2020 erhielten Berufskraftfahrende in Vollzeit durchschnittlich 14,21 Euro die Stunde. Angelernte erhielten im Schnitt 12,91 Euro. Zum Vergleich: In der Wirtschaft insgesamt lag der durchschnittliche Stundenverdienst für Fachkräfte bei 19,97 Euro brutto, für Angelernte bei 16,02 Euro.

Damit liegt das monatliche Bruttogehalt für ausgebildete Berufskraftfahrende bei monatlich 2.623 Euro brutto und gut 660 Euro unter dem von Beschäftigten mit einer vergleichbaren Ausbildung und Berufserfahrung. Angelernte Kräfte verdienten durchschnittlich 2.313 Euro brutto im Monat und damit 300 Euro unter dem der vergleichbaren Leistungsgruppe.

Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit hat 2020 in Deutschland 937.000 Fachkräfte im Bereich Fahrzeugführung im Straßenverkehr erfasst, zu dem auch Bus- sowie Kurierfahrer und -fahrerinnen zählen. Der Anteil der Männer liegt bei 94 Prozent. Ein Drittel der Fachkräfte war mindestens 55 Jahre alt und wird in den nächsten Jahren ausscheiden. Dem stehen nur 33.400 Einsteiger*innen unter 25 Jahren gegenüber, also knapp 4 Prozent. Quelle: Destatis