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Foto: Jens Lucking/plainpicture

Viele Märchen enden mit: Und so lebten sie glücklich weiter ... Inzwischen ist fast allen klar, dass ein Weiter-so beim Klimaschutz nicht funktioniert. Zum Klimaschutz-Märchen gehörte aber auch die Behauptung, dass eine engagierte Umweltpolitik Ärmere benachteiligt. Soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz gingen angeblich nicht zusammen. Profitiert von diesem Märchen haben Leute mit viel Geld.

In Deutschland sind die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung für mehr CO₂-Ausstoß verantwortlich als die gesamte ärmere Hälfte. Anders gesagt: 8,3 Millionen Leute haben das Treibhaus Erde seit Anfang der 1990er Jahre stärker aufgeheizt als 41,3 Millionen andere. Das belegt eine Oxfam-Studie.

Die politischen Rahmenbedingungen haben diese Entwicklung befeuert, zum Beispiel durch das Dienstwagenprivileg. Jährlich drei bis sechs Milliarden Euro hat das Steuersparmodell den deutschen Staat gekostet. Profitiert haben vor allem Gutverdienende und ihre Arbeitgeber – und zwar umso mehr, desto teurer das Auto ist. Die Folge: SUV wurden zum zweitgrößten Emissionstreiber.

Haushalte mit 8.000 Euro Einkommen verbrauchen durchschnittlich 2,5-mal so viel Heizenergie und warmes Wasser wie diejenigen, die 1.000 Euro zur Verfügung haben. Doch für Betuchte sind die Kosten kaum relevant: Sie müssen monatlich gerade einmal 1,6 Prozent ihres Einkommens fürs Heizen einplanen, während dieser Posten bei den armen Haushalten mindestens 5 Prozent wegfrisst.

Bei Strom und Wärme zeigt sich die soziale Schieflage ebenfalls. Haushalte mit 8.000 Euro Einkommen verbrauchen durchschnittlich 2,5-mal so viel Heizenergie und warmes Wasser wie diejenigen, die 1.000 Euro zur Verfügung haben, hat das Ökoinstitut ausgerechnet. Doch für Betuchte sind die Kosten kaum relevant: Sie müssen monatlich gerade einmal 1,6 Prozent ihres Einkommens fürs Heizen einplanen, während dieser Posten bei den armen Haushalten mindestens 5 Prozent wegfrisst. Die aktuell nach oben schießenden Gas- und Strompreise belasten diese Menschen deshalb auch unverhältnismäßig stark.

Fundierte Konzepte

Die Märchenstunde muss dringend beendet werden – durch Fakten und eine engagierte Politik, die Umweltpolitik und sozialen Ausgleich gemeinsam angeht. Konzepte gibt es längst, die ver.di und viele andere unterstützen.

Klar ist zunächst: Höchste Priorität haben der Schutz des Klimas und der Artenvielfalt – denn sonst riskieren wir alle zusammen, dass die Erde für Menschen unbewohnbar wird. Deshalb muss die Verfeuerung von fossiler Energie durch Autos, Haushalte und Industrie möglichst rasch sinken. Neben einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien muss es vor allem um eine Reduzierung des Verbrauchs gehen. Dafür nötig sind mehr Wärmedämmung und verbrauchsärmere Heizungspumpen, weniger und kleinere Autos und ein besserer ÖPNV, um nur einige Aspekte zu nennen. Damit sich hier rasch etwas tut, braucht es staatliche Förder- und Beratungsprogramme und eine Abschaffung klimaschädlicher Gesetze wie das zum sogenannten Dienstwagenprivileg.

Innovativ sind aber vor allem Vorschläge zur Einführung eines Mobilitäts- und Energiegeldes. Die Hans-Böckler-Stiftung hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums schon 2019 fundierte Berechnungen geliefert, ebenso die Denkfabrik Agora Energiewende. Die Grünen haben das Konzept zu einem zentralen Punkt in ihrem Wahlkampf gemacht. "Damit sich Normalverdiener und erst recht Leistungsbezieher die Energiewende leisten können und dies nicht ein Projekt für Reiche bleibt", begründet der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, warum auch die Dienstleistungsgewerkschaft das Energiegeld als eine Hauptforderung an die Koalitionsverhandelnden stellt.

Umverteilungswirkung

Das Konzept fußt darauf, dass Gas, Benzin und Diesel mit einem CO₂-Preis belegt werden. Das macht sie teurer als bisher und motiviert zum Sparen. Der Clou an der Sache: Wird das hierdurch vom Staat eingesammelte Geld komplett an alle in Deutschland lebenden Menschen ausgeschüttet – und zwar pro Kopf – findet eine deutliche Umverteilung statt. Den größten Beitrag müssen nämlich die Wohlhabenden aufbringen, schließlich verursachen sie mit ihrem Lebensstil gegenwärtig mit Abstand die meisten klimaschädlichen Gase. Bei ihnen gleicht die Rückzahlung ihre Kosten bei weitem nicht aus – vor allem, wenn sie allein oder zu zweit eine große Wohnung bewohnen und womöglich mehrere Autos besitzen. Dagegen können kinderreiche Familien, Menschen mit niedrigem Einkommen und mit geringer Wohnfläche mit einem satten Plus in der Kasse rechnen.

Sozial ausgewogen

Die wissenschaftliche Abteilung der Mercator-Stiftung, an der auch das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung beteiligt ist, hat das für einen Preis von 60 Euro pro Tonne CO₂ einmal durchgerechnet. In diesem Fall bekämen alle Bürger*innen vom Säugling bis zum Greis jährlich 162 Euro überwiesen. Ein kinderloses, in der Stadt lebendes Spitzenverdiener-Paar würde durchschnittlich 153 Euro im Jahr draufzahlen. Eine vierköpfige Normalverdienerfamilie aus ihrer Nachbarschaft hätte dagegen am Ende des Jahres 236 Euro mehr in der Haushaltskasse. Auch die alleinlebende Seniorin mit 1.300 Euro Rente könnte sich über ein Plus von 60 Euro freuen. Steigt der CO₂-Preis an, wird der CO₂-Ausstoß nach und nach sinken, während sich die Umverteilungswirkung weiter verstärkt. ver.di geht in seinen Forderungen an die Politik sogar noch einen Schritt weiter: Die Einnahmen sollten in großen Teilen in Form einer sozial gestaffelten Klima-Prämie pro Kopf an die Haushalte zurückfließen.

Prinzipielle Gegner einer Erhöhung der CO₂-Preise führen häufig das Beispiel eines auf dem Land lebenden Beschäftigten mit geringem Lohn an, der einen weiten Weg zur Arbeit hat: Er würde übermäßig belastet. Doch auch hier lohnt ein Blick auf die Fakten. Die derzeitige Entfernungspauschale, die sogenannte Pendlerpauschale, bringt Wohlhabenden deutlich mehr als Haushalten mit niedrigem Einkommen, auch wenn der Weg zur Arbeit exakt gleich weit ist. Ursache sind die unterschiedlich hohen Steuersätze. Hinzu kommt, dass es in der Mehrzahl Gutverdienende sind, die besonders weite Pendelwege haben.

Ob das Mobilitätsgeld die höheren Kosten für Benzin oder Diesel ausgleicht, wird aber vor allem an der Größe des Haushalts liegen. Weil in ländlichen Regionen durchschnittlich mehr Menschen zusammenwohnen, werden die pro Kopf berechneten Rückzahlungen in vielen Fällen die höheren Spritkosten ausgleichen oder sogar übertreffen. Das alles hat die Denkfabrik Agora-Energiewende in der Studie "Wie eine CO₂-Bepreisung sozial ausgewogen wirkt" aufgedröselt. Um trotzdem auftretende Härtefälle zu vermeiden, schlagen die Forschenden einen Ausgleichsfonds in Höhe von 300 Millionen Euro vor. Wichtig sei, das Geld nicht mit der Gießkanne an bestimmte Gruppen zu verteilen, sondern Haushalte mit geringem Einkommen zu unterstützen, für die am Ende tatsächlich ein deutliches Minus entstehen würde.

In den nächsten Wochen werden diese Themen in den Medien breit diskutiert werden – und mit Sicherheit wird der überforderte Pendler mit niedrigem Gehalt als Argument gegen die Neuerungen herhalten müssen. Schließlich haben die Reichen ein Interesse daran, dass das Märchen, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz gingen nicht zusammen, weitererzählt wird. Doch die Wahrheit ist genau umgekehrt: Nur mit mehr sozialer Gerechtigkeit kann Umweltschutz rasch vorankommen.

Editorial: Was es braucht

Digitalisierung und Klimawandel sind die großen Themen unserer Zeit – auch im Verbraucherschutz. Der aktuelle Verbraucherreport des Verbraucherzentrale Bundesverbands zeigt, dass sich Verbraucher bei den Themen Internet und Digitales immer schlechter geschützt fühlen. Wie uns die Selbstbestimmungsfähigkeit von Digitalkonzernen wie Amazon genommen wird, und was es braucht, um in ­einer veränderten digitalen Konsumwelt selbstbestimmt handeln zu können, erklärt der Soziologe und Verbraucherschützer Jörn Lamla im Interview auf der Seite V5 unseres Spezials. Der Report zeigt weiter, dass viele Menschen um den Klimawandel besorgt sind. Sie fordern von der Regierung nicht nur besseren Verbraucher-, sondern auch einen besseren Klimaschutz – mit sozialem Ausgleich. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte das von ver.di geforderte Mobilitäts- und Energiegeld sein. Was dahinter steckt, ist auf dieser Seite zu lesen. schmol