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Bei einem Netzwerktreffen der Neuen Deutschen Medienmacher*innen 2019Foto: Thomas Lobenwein

Übers Wetter reden alle, überall und jeden Tag. Doch warum hatten die Hochs früher männliche Namen und die Tiefs weibliche? Und warum haben sie bis heute oft nur deutsche Namen? "Eine kleine Korrektur fürs Wetter, eine große für unsere Gesellschaft", haben sich die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) gedacht und Anfang des Jahres Patenschaften für den Wetterbericht erworben. Und so hießen die ersten 13 Hoch- und Tiefdruckgebiete in den ersten Wochen des Jahres 2021 statt Elke und Wolfgang nun Ahmet und Dragica.

Ums Wetter ging es den Neuen deutschen Medienmacher*innen dabei eigentlich gar nicht. Sie wollten schlichtweg deutlich machen, dass es Menschen in Deutschland mit anderen Namen gibt. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Und sich das in den Medien nicht wirklich widerspiegelt. Laut statistischem Bundesamt hat heute über ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland eine Zuwanderungsbiografie. Doch in den Medien wird diese gesellschaftliche Realität nicht in gleichem Umfang abgebildet, Stimmen von Menschen mit Migrationshintergrund fehlen häufig. Das belegt auch eine neue Studie des gemeinnützigen Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen (NdM) zur sichtbaren Diversität in den deutschen Medien.

Das Gefühl allein zu sein

Um für mehr Präsenz von migrantisch wahrgenommenen Personen sowohl in der Berichterstattung als auch in den Redaktionen zu sorgen, vernetzen sich bundesweit rund 2.000 Medienschaffende aus den Bereichen Fernsehen, Hörfunk, Print und Online bei den NdM. Im Jahr 2008 sei "das Gefühl des Alleinseins" der Antrieb gewesen, die Neuen deutschen Medienmacher*innen zu gründen, sagt Ferda Ataman. Die Journalistin und Buchautorin ist Gründungsmitglied und eine der Vorsitzenden des Vereins. "Es gab früher nicht viele Menschen mit migrantischen Namen und Geschichten im Journalismus," sagt Ataman. "Und es gibt auch heute noch zu wenige." Selbst, wenn die Abendnachrichten oder auch das Morgenmagazin von ARD und ZDF inzwischen ein anderes Bild vermitteln mögen.

Um ihre Beobachtung zu untermauern, befragten die Neuen deutschen Medienmacher*innen im Jahr 2019 die zu diesem Zeitpunkt 126 Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten Medien in Deutschland. Das Ergebnis: Nur sechs Prozent der Chefredakteur*innen hatten einen Migrationshintergrund. Wie hoch der Anteil der Beschäftigten mit Migrationsgeschichte in ihren Medienhäusern insgesamt ist, dazu konnten die Befragten keine Angaben machen. Denn mit Ausnahme des Westdeutschen Rundfunks (WDR) erheben die deutschen Medienhäuser keine entsprechenden Zahlen.

Der WDR fragt seit 2014 bei Neueinstellungen auf freiwilliger und anonymer Basis die Einwanderungsgeschichte seiner Mitarbeiter*innen ab. Nach Angaben der WDR-Integrationsbeauftragten Iva Krtalic bei der diesjährigen Verleihung der "Goldenen Kartoffel", dem Negativ-Preis der NdM, kommen aktuell 50 Prozent der neuen Volontär*innen beim Westdeutschen Rundfunk aus Einwandererfamilien. Einen Rückschluss auf die Vielfalt der Mitarbeitenden im gesamten WDR lässt diese Zahl allerdings nicht zu. Diversität aber lässt sich nur dort effektiv fördern, wo es auch verlässliche Zahlen gibt. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen fordern die Medienhäuser daher auf, kontinuierlich Angaben zur Vielfalt all ihrer Beschäftigten zu erheben.

Eine größere Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte, vor allem in Redaktionen wie des WDR, sei zwar nicht automatisch eine Garantie dafür, dass Rassismus auch tatsächlich abgebaut werde. Aber wenn Diversität fehle, wenn man also rein weiße Redaktionen habe, dann könne das nur ein Beweis dafür sein, dass rassistische Strukturen vorherrschten, ist sich Ferda Ataman sicher.

Rassismus im Alltag

Öffentlich über strukturelle Benachteiligungen und Alltagsrassismus sprechen, das wollen und können nicht alle Medienschaffenden. In Hintergrundgesprächen mit der ver.di publik berichten Journalist*innen mit Migrationshintergrund jedoch von Rassismus im Arbeitsalltag. So berichtet einer unserer Gesprächspartner, die Kolleg*innen muslimischen Glaubens innerhalb seiner Redaktion seien beispielsweise automatisch zu Expert*innen für Terrorismus und Islamismus erklärt worden, obwohl sie eigentlich das Wirtschafts- und Kulturressort besetzen.

Eine andere Kollegin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, erzählt von der Berichterstattung über die Black-Lives-Matter-Bewegung und die rassistischen Anschläge von Hanau. Qualifizierte Kolleg*innen aus den betroffenen Communities hätten zwar an den Redaktionssitzungen zu diesen Themen teilgenommen, ihre Expertise aber sei nicht berücksichtigt worden. Darunter leide nicht nur die Qualität der Berichterstattung, darunter leiden auch die Kolleg*innen, die übergangen werden, so die Journalistin. Andererseits sei sie selbst als Journalistin immer wieder mit der Annahme konfrontiert, eine Person mit migrantischem Namen könne stellvertretend für 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sprechen.

Problem Populismus

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Die Kartoffel ist eine Einwanderin, auch daran erinnert der Preis der NdMFoto: NDM

"Wir sind in Deutschland ein Entwicklungsland, was das Thema Rassismus angeht", sagt Ferda Ataman. Häufig sprächen Medienvertreter*innen über Migrant*innen und ihre Nachkommen, nicht mit ihnen. Im Januar 2021 lieferte die WDR-Talkshow "Die letzte Instanz" so ein trauriges Beispiel, als vier weiße Talkshow-Gäste über diskriminierende Sprache und Rassismus diskutierten. Eine Frage der Sendung lautete "Das Ende der Z*sauce: Ist das ein notwendiger Schritt?". Sinti*ze und Roma*nja aber wurden nicht in die Talkshow eingeladen, um sich zu dieser Frage zu äußern.

Ein weiteres Problem im Umgang mit Rassismus in den Medien sieht Ferda Ataman beim Thema Meinungsspektrum. "Es ist eine mehr als problematische Form des Journalismus, wenn rassistischen und populistischen Stimmen Raum gegeben wird", betont sie. "Denn Rassismus ist keine Meinung." Schließlich sind die Menschenrechte im Grundgesetz verankert und somit nicht verhandelbar. Ihre "Goldene Kartoffel" verliehen die NdM im Oktober 2021 dann auch an die Debatte über "Identitätspolitik" in den bürgerlichen Medien, die rechtsradikale Thesen normalisiert und salonfähig gemacht habe.

Um die gesellschaftliche Realität des Einwanderungslandes Deutschland auch abbilden zu können, fordern die NdM eine Diversity-Quote. Ihr Vorschlag: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der Journalist*innen in den Medienhäusern aus Einwandererfamilien stammen. Doch in einer umfassenden Anti-Rassismus-Strategie sei Diversität nur ein Baustein, ergänzt die Vorsitzende der NdM die Forderung nach einer Vielfalts-Quote. "Sensibilisierung von Sprache und Fortbildungen sind weitere Bausteine, auf die Medienhäuser setzen müssen."

Und genau hier setzt der Verein mit seinen unterschiedlichen Projekten an. Ein Mentoring-Programm für Nachwuchsjournalist*innen, Medientrainings oder das Glossar für eine diskriminierungssensible Berichterstattung sind nur einige Angebote der NdM. Und auch wenn der notwendige Strukturwandel in der deutschen Medienlandschaft noch nicht vollzogen sei, so habe die NdM-Studie zur Diversität in deutschen Chefredaktionen auch schon etwas Positives gezeigt. "Der Sinn für die Wichtigkeit von Diversität und die Notwendigkeit von Veränderung in den Redaktionen steigt", sagt Ferda Ataman. Und das ganz unabhängig vom Wetter, das kann man sich schließlich nicht aussuchen.

NdM: Diversity Guide

"Wie deutsche Medien mehr Vielfalt schaffen": Der Diversity Guide der Neuen deutschen Medienmacher*innen enthält einen Gastbeitrag von Tina Groll, der Bundesvorsitzenden der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Er ist online erhältlich unter: dju.verdi.de/service/veranstaltungen

dju: Journalismustag 2022

Konstruktiver Journalismus wird das Thema des 35. Journalismustags am 29. Januar 2022 in Berlin sein. Mehr Infos unter: neuemedienmacher.de/wissen-tools/ diversity-im-medienhaus