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Noch qualmen die häuslichen SchornsteineFoto: imago images/avanti

ver.di publik: Warum steigen die Energiepreise zurzeit so stark?

Frederik Moch: Einer der Hauptgründe ist, dass im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie – auch wenn wir noch mittendrin sind – die Nachfrage nach Rohstoffen angezogen hat. Der zweite Punkt ist, dass wir in Deutschland zum 1. Januar 2021 in die CO₂-Bepreisung bei Öl und Gas eingestiegen sind.

Wie müsste die Politik auf dieses international hohe Preisniveau reagieren?

Auf der einen Seite wäre es gut, wenn sich die Europäische Union beim Thema Gas auf eine gemeinsame Einkaufsstrategie verständigt, um die Versorgung zu vernünftigen Preisen zu sichern. Auf der anderen Seite müssen soziale Härten abgemildert werden. Die Energieversorgung gehört zur Daseinsvorsorge. Es muss gewährleistet sein, dass jeder Mensch Energie nutzen kann.

Wie wirken sich die gestiegenen Preise bei Pendler*innen aus?

Sprit ist um 30 Prozent teurer geworden im Vergleich zum Ende vergangenen Jahres. Das trifft Pendler schon erheblich. Zwar pendeln Menschen mit hohem Gehalt immer noch über deutlich längere Distanzen, aber wenn man sich die vergangenen 15 Jahren anguckt, müssen die kleinen und mittleren Einkommen immer längere Wege auf sich nehmen. Das hat mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu tun. Deshalb muss es eine Aufgabe der Politik sein, für eine Entlastung der Pendler zu sorgen.

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Frederik Moch leitet die Abteilung für Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)Foto: Simone M. Neumann

Wie könnte das aussehen?

Die Pendlerpauschale wirkt vor allen Dingen entlastend bei hohen Einkommen. Um kleine und mittlere Einkommen beim Arbeitsweg zu entlasten, brauchen wir die Mobilitätsprämie*. Sie entlastet unabhängig von dem zu versteuernden Einkommen. Es geht auch darum, über entsprechende Mobilitätsangebote für wirkliche Alternativen zum Auto zu sorgen, etwa einen gut ausgebauten Öffentlichen Personennahverkehr mit gut ausgebildetem und gut bezahltem Personal.

Wie ist die Entlastung bei den Heizkosten möglich?

Wenn wir klimaneutral werden wollen, werden wir nicht daran vorbeikommen, Gebäude zu dämmen, neue Heizungen einzubauen. Ich bin kein Fan davon, dass man die Anreize über erhebliche finanzielle Mehrbelastungen beim CO₂-Preis schafft. Das wird nicht funktionieren, weil man die Menschen überlastet.

Die Frage muss sein, wie kann man durch Förderung und Vorgaben die Sanierungsquote erhöhen. Wir haben nach wie vor das ungelöste Problem bei der CO₂-Bepreisung, dass die Mieterinnen und Mieter einseitig den vollen CO₂-Preis zahlen, selbst aber nicht in der Lage sind, ihre Wohnung zu dämmen oder an der Heizungsanlage etwas zu machen. Wenn der Eigentümer keinen Anreiz hat und die CO₂-Bepreisung einseitig den Mieter trifft, dann ist das in hohem Maße sozial ungerecht.

Wie beurteilst Du die Pläne der Ampelregierung zur Entlastung?

Es gibt auf jeden Fall einige gute Ansätze. Die EEG-Umlage** soll ab 1. Januar 2023 nicht mehr über den Strompreis, sondern aus Steuermitteln finanziert werden. Das entlastet einen Vier-Personen-Haushalt durchschnittlich um rund 200 Euro im Jahr. Es ist angekündigt, dass es für Wohngeldempfänger einen einmaligen Heizkostenzuschuss geben soll, der diese hohen Preise im Moment abfedern soll. Und die CO₂-Bepreisung soll fair zwischen den Mietern und Vermietern aufgeteilt werden.

Es gibt auch eine Vielzahl von Vorschlägen zur Beschleunigung der Energiewende. Dabei ist die Frage, wie werden die Vorschläge etwa beim Windkraftausbau konkret umgesetzt. Meist steckt der Teufel im Detail. Aber auf lange Sicht ist das Wichtigste, dass wir massiv die Energiewende vorantreiben, also Energie einsparen und auf regenerative Energien umsteigen. Das ist langfristig die Versicherung dafür, dass Energiepreise bezahlbar bleiben.

Im Wahlkampf wurde darauf abgehoben, dass die neue Bundesregierung die letzte ist, die die Chance hat, den Klimawandel durch entschlossene Maßnahmen noch rechtzeitig zu gestalten. Kann das mit den Vereinbarungen der Ampelregierung gelingen?

Auch da wird man sehen müssen, was in den nächsten Monaten an konkreten Ausarbeitungen des Koalitionsvertrags vorgelegt wird. Die Vorschläge etwa für die Energiewirtschaft sagen, dass der Kohleausstieg, "idealerweise bis 2030" erfolgen soll, wenn die Energiewende schneller vorankommt und die Versorgungssicherheit gewahrt ist. Auch wenn es schneller geht, müssen die Beschäftigten in den Kraftwerken und Tagebauen abgesichert werden. Und die Strukturentwicklung in den betroffenen Regionen muss zu echten Chancen für gute Arbeitsplätze führen.

Gleichzeitig wird ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien angekündigt, was absolut zu begrüßen ist. Sicherlich wird es bei der Umsetzung offene Fragen geben und auch Konflikte, denn Windräder sind nicht überall beliebt.

Es kommt auch auf uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an, für diesen Veränderungsprozess zu werben. Wir müssen die Vorteile, die das hat, in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Am Ende wird nie ausreichen, was wir in Deutschland machen. Doch wenn wir zeigen können, dass wir den Umbau möglichst schnell hinkriegen und dabei gute Arbeit und nachhaltigen Wohlstand erhalten und schaffen, dann ist das ein großer Beitrag, den wir leisten können, damit andere Länder auch mit ähnlichen Ambitionen vorgehen.

Wie stehen wir im europäischen Vergleich da?

Mich ärgert, dass oft einzelne Beispiele rausgepickt werden. Etwa Portugal: Dort wurde der Kohleausstieg erst auf 2023 vorgezogen und nun kurzfristig schon dieses Jahr vollzogen. In der öffentlichen Debatte werden solche Beispiele dann als Vorreiter gefeiert. Dabei wird verkannt, dass die Wirtschaftsstruktur komplett anders ist. Oder es wird auf den geringen CO₂-Ausstoß in Frankreich verwiesen. Auch das kann man nicht vergleichen, die Franzosen setzen auf Atomstrom, und das wollen wir aus guten Gründen nicht.

Deutschland ist ambitioniert unterwegs, und das Ambitionsniveau wird jetzt erhöht. Das ist richtig und wird unserer Verantwortung in der Welt gerecht. Aber es kommt auf die konkrete Umsetzung an. Da spielen auch gute Arbeitsplätze eine Rolle, ebenso wie soziale Fragen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt muss in diesem Transformationsprozess gestärkt und nicht geschliffen werden.

Ich habe den Eindruck, dass viele der Energiewende negativ gegenüberstehen, weil sie sehen, was ihnen bei den gestiegenen Energiepreisen derzeit noch im Portemonnaie bleibt. Tut Deutschland genug für diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Das ist sicherlich ein Problem. Es kommt kurzfristig zu Kostenbelastungen. Da vergisst man manchmal das langfristige Ziel. Deshalb kommt es darauf an, glaubwürdig zu zeigen, dass kleine und mittlere Einkommen nicht die Hauptlast beim Umbau tragen. Aber man muss deutlich machen, dass es keine Alternative gibt, wenn man das Klima schützen will. Der Umbau ist der Schlüssel, um auch langfristig zu vernünftigen Preisen heizen, Strom verbrauchen und Mobilitätsbedürfnissen nachkommen zu können.

Das vermitteln die politisch Verantwortlichen zu wenig. Dazu können wir als Gewerkschaften einen großen Beitrag leisten, indem wir diese Debatten in die Betriebe und Verwaltungen tragen und mit den Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen, welche Herausforderungen es gibt und wie man damit umgehen kann.

Welche konkreten Einflussmöglichkeiten haben Gewerkschaften da?

Betriebsräte, Personalräte können über die Mitbestimmung Einfluss auf ihre Betriebe nehmen, in diesem Umbauprozess nach vorne zu gehen. Dafür gibt es viele gute Beispiele, etwa bei einem großen Hafenlogistikunternehmen. Auf Druck der Arbeitnehmervertreter hat das Unternehmen weitsichtig in elektrische Krananlagen investiert, weg von den Dieselkränen. Das wollte das Unternehmen erst nicht, weil es kurzfristig teurer war. Jetzt erweist es sich als positiv, weil es die wirtschaftliche Situation des Unternehmens deutlich verbessert. Das ist dem Einsatz der Beschäftigten zu verdanken, weil sie langfristig orientiert darauf gucken, und nicht, wie die Kapitalseite, nur an kurzfristigem Profit interessiert sind.

Wir Gewerkschaften haben viele gute Argumente auf unserer Seite, wenn es darum geht, diesen Wandel aus einer sozialen Perspektive heraus zu gestalten. Und das sorgt letztlich auch für Akzeptanz und Teilhabe. Wir wollen Menschen begeistern, diese gravierenden Veränderungen mitzugestalten.

Wäre das nicht auch eine Aufgabe der Politik?

Bisher hat jede Bundesregierung zu wenig deutlich gemacht, was diese Klimaziele bedeuten – einen dramatischen Veränderungsprozess, auch im Alltagsleben. Veränderung wird von manchen als Problem, als Hindernis wahrgenommen, deshalb entwickeln sie auch Beharrungskräfte. Aber ich glaube, das Entscheidende ist, dass man diesen ökologischen Fortschritt mit spürbarem sozialen Fortschritt verbindet. Dann kann es gelingen, auch gesamtgesellschaftlich große Unterstützung zu finden.

Interview: Heike Langenberg

*siehe auch ver.di publik 7/2021

**Alle Verbraucher*innen zahlen mit dem Strompreis eine Umlage nach dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Damit wird der Ausbau erneuerbarer Energien finanziert.