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Mehr Personal in der Pflege – damit nicht auch noch der Letzte gehtFoto: Sebastian Lock/laif

Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, ist vom Bundestag gewählt worden, und nach ihm wurden auch die 16 Minister*innen vereidigt. Jetzt kann, 73 Tage nach der Bundestagswahl, das neue Kabinett mit dem Regieren beginnen. Endlich, mögen viele denken, denn besonders bei der derzeitigen Entwicklung der Corona-Pandemie muss die Regierung dringend Verantwortung übernehmen.

Erstmals regiert eine sogenannte Ampel, ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Am 24. November hatten ihre Vertreter*innen ihren 177-seitigen Koalitionsvertrag vorgestellt. "Ein Vertrag mit zahlreichen positiven Reform- und Gestaltungsansätzen", heißt es in einer Bewertung des ver.di-Bundesvorstands. Nicht alles sei ausbuchstabiert, doch das biete Vor- und Nachteile. Wichtig sei, dass die neue Regierung dem Anspruch eines sozial-ökologischen Umbaus, eines handlungsfähigen Staats und einer auf Teilhabe basierenden emanzipatorischen Gesellschaft gerecht werde.

Bereits in einer ersten Stellungnahme kurz nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags hatte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke kritisiert, dass dessen Inhalt nicht zu mehr Steuergerechtigkeit führen werde. Da die drei Parteien auf mehr Steuereinnahmen durch eine gerechtere Besteuerung von Erbschaften und Vermögen verzichtet haben, befürchtet er einen "steuerpolitischen Stillstand" – und das in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich aufspalte, in der gerade im Bereich der Daseinsvorsorge oder zur Gestaltung der Klimawende das Geld dringend benötigt werde.

"Eine ganze Reihe positiver Punkte" sieht der ver.di-Vorsitzende hingegen im Bereich Arbeit und Soziales. Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden, allein davon profitieren rund 8 Millionen Beschäftigte. Aufträge des Bundes sollen künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die einen repräsentativen Tarifvertrag für ihre Branchen anwenden, Tarifverträge sollen zukünftig nachwirken, wenn bei Ausgliederungen der Eigentümer nicht wechselt. "Diese guten Vorhaben schmälern die wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung von Beschäftigten und ihren Familien und stabilisieren tariflich geschützte Arbeit", heißt es in der ver.di-Bewertung.

Nicht angekündigt wird hingegen eine Verbesserung der Allgemeinverbindlichkeitsregelungen, mit denen die Lohndumpingkonkurrenz zwischen tarifgebundenen und -ungebundenen Unternehmen verringert werden könnte. Auch die Anhebung der Einkommensgrenzen für Minijobs auf 520 Euro kritisierte Werneke. Sie verfestige den sozial nicht abgesicherten Arbeitsmarkt und treffe vor allem Frauen. Auch den Missbrauch befristeter Beschäftigung nur für den öffentlichen Dienst anpacken zu wollen, ist aus seiner Sicht ein Fehler. Immerhin hat die Ampelkoalition sich darauf verständigt, Kettenbefristungen über das Teilzeit- und Befristungsgesetz anzugehen.

Als klaren Pluspunkt sieht Werneke, dass die geplanten Öffnungsklauseln für längere Arbeits- und kürzere Ruhepausen über Betriebsvereinbarungen vom Tisch seien. Sie sollen künftig nur noch über Tarifverträge möglich sein. "Wir haben nicht vor, Tarifverträge abzuschließen, die die Ruhezeiten verkürzen und das Arbeitszeitgesetz schwächen", kündigte Werneke an. Er begrüßte auch die Ankündigung, das Renteneintrittsalter nicht weiter zu erhöhen und das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent zu halten. Bei der angekündigten privaten Aktienrente, die die Koalitionär*innen prüfen wollen, fordert ver.di, dass sie über einen öffentlichen Fonds organisiert werden und eine Abwahloption haben sollte. Auch dürfe sie die betriebliche Altersvorsorge nicht schwächen.

"Unter dem Strich aber ist aus Sicht der Arbeitnehmer*innen das Glas halbvoll", lautet das Fazit des ver.di-Bundesvorstands. Jetzt sei es die Aufgabe, das Glas zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter zu füllen.

Bedarfsgerechte Pflege

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sind die Erwartungen an den neuen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD, besonders hoch. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler forderte ihn auf, für die Krankenhäuser kurzfristig ein Gesetz zur Einführung für das bedarfsgerechte Pflegepersonalbemessungsgesetz PPR 2.0 auf den Weg zu bringen. Das haben ver.di, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Pflegerat vor fast zwei Jahren gemeinsam entwickelt. Die Einführung ist auch im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition vereinbart. "Es braucht umgehend diese starke Botschaft der neuen Bundesregierung an die Pflegepersonen, dass es ihr Ernst ist mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern", sagte Bühler.

Schon vor Corona sei die Lage aufgrund der viel zu dünnen Personaldecke mehr als angespannt gewesen. Die Pandemie habe die Lage nochmal verschärft. "Inzwischen brennt die Hütte und die Nerven liegen blank. Die neue Bundesregierung muss jetzt entschlossen handeln, und die Einführung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein wichtiger Meilenstein", so Bühler weiter. Seit Jahren macht ver.di sich für eine bedarfsgerechte Personalausstattung stark.